© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/04 09. April 2004

Die Passion Christi
Mel Gibsons Leinwand-Epos bewegt die Gemüter. Stimmen aus Europa zum Kinofilm des Jahres.

Seelischer Anthrax
Ungarn: Scharfe Kritik von Theologen und Philosophen
Alexander Barti

Der Film ist schlecht, aber nicht im herkömmlichen Sinne,... er ist absolut mies, ... ein satanischer Film, ... ein unwürdiger Film, ... er zwingt die Zuschauer auf die Knie und drückt ihre Gesichter in den Staub, ... Gibson zeigt sich als ausgesprochen schwacher Regisseur" - der linksliberalen Népszabadság, Ungarns größter Tageszeitung, war jedes Mittel recht, um die "Passion Christi" in den Dreck zu ziehen.

Nicht anders verhielt es sich mit den anderen tonangebenden Zeitungen, die fast ausnahmslos links-libertäres Gedankengut verbreiten. Natürlich immer mit dem Hinweis, man sei "neutral" und "ausgewogen". Die Népszava titelte mit "Filmbrutal: sein Leib, sein Blut". Und wenn der Papst angeblich sagte, so sei es wirklich gewesen, fragt die Népszava, woher wisse man denn, wie es wirklich war? Ganz offensichtlich wußte der Kritiker weder etwas mit dem Wort "Offenbarung" anzufangen, noch hat er jemals das Neue Testament gelesen.

Die Kritiker in Ungarn sind deswegen so außer Rand und Band, weil ein Film zum Kassenschlager wurde, obwohl keines seiner Parameter "marktkonform" ist. Darauf verweist auch der bürgerliche Publizist István Lovas in der Magyar Nemzet. Besonders deshalb seien die Linken in Aufruhr und würden Gibson ungewollt eine kostenlose Werbekampagne schenken. Ein Kollege in der gleichen Zeitung bedauert, daß er nicht Atheist sei, denn dann hätte er jetzt den Glauben finden können, so überwältigend sei der Film.

Auf der anderen Seite bezweifelt die regierungsnahe Magyar Hirlap - wahrscheinlich als einzige Zeitung der Welt - sogar trotzig den finanziellen Erfolg des Films: In dem tausend Personen fassenden Saal seien "kaum fünfzig Zuschauer" gewesen. Klare Schlußfolgerung: Dieser Film ist ein Flop.

Aber damit nicht genug, das Blatt dokumentierte am 24. März auch einen Aufruf von fünf Theologen und Philosophen, die den Film massiv diffamieren. Demnach komme der Film nicht "aus dem Licht", seine Diktion mißachte das Evangelium, er sei mal tendenziell verfälscht, mal einfach nur primitiv. Zudem wird in dieser Stellungnahme der Vorwurf des Antisemitismus erhoben. Gibson, der sich als treuer Katholik sehe, beleidige seine Kirche, denn diese habe seit dem Zweiten Vatikanum (1962-65) ihre Position zum Judentum geändert. Gott weine daher, weil er nun dieses Machwerk sehen müsse. Denn der Film sein pornographisch und "eine seelische Anthrax-Aktion".

Die Unterzeichner halten außerdem für besonders abscheulich, daß der Film just in dem Jahr und Monat gezeigt wird, in dem vor 60 Jahren die Juden - auch aufgrund der christlichen Tradition - auf die Schlachtbank geführt worden seien.

Einer der Initiatoren des Aufrufs ist der methodistische Pastor Gábor Iványi, der für den linksliberalen Bund der Freidemokraten (SZDSZ) im ungarischen Parlament sitzt. Gott sei mit den Juden und habe sein Volk nie verlassen, so Gábor Iványi, und überhaupt müsse man über die in Auschwitz "ausgehungerten, gequälten, erniedrigten und von Mengele zerstückelten Juden" sprechen, wenn von Christi Leiden die Rede sein. Weil Gibson statt dessen bei der Auferstehung einen "gut gekämmten Jesus" zeige, sei das ganze Werk die "Vision von Gibsons kranker Seele".

 

 

Aversion statt Mitgefühl
Niederlande: Gibsons Film löst ein geteiltes Echo aus / Fernsehsender zeigen Interesse
Jerker Spits

In den Niederlanden sorgt "The Passion of the Christ" für Diskussionsstoff. Während die offiziellen Kritiker die Bibelverfilmung verreißen, spricht die katholische Kirche von einer "Meditation", die helfen kann, Christus dem Menschen näherzubringen.

Mel Gibson habe einen der umstrittensten Filme der letzten Jahre gedreht, schreibt der Filmkritiker Marco Weijers in De Telegraaf, der größten Tageszeitung der Niederlande. Gibson sei ein Fachmann, der ein gutes Auge für das Medium Film habe, doch habe er mit seinem aufwühlenden Leinwandepos sein Blatt überreizt. Die Verwendung von Latein und Aramäisch trage zwar zur Authentizität des Films bei, die "äußerst gewalttätige und blutige Verfilmung" führe aber eher zur Aversion als zum Mitgefühl. Der Film sei aber "nicht antisemitischer als die Evangelien selbst".

Die "Passion Christi" sei ein "erbarmungsloser, christlich-fundamentalistischer Film", der für viele Amerikaner genau im richtigen Moment komme, schreibt der Kritiker Jos van der Burg in der Amsterdamer Zeitung Het Parool. Nach dem 11. September würden die Amerikaner nicht nach Reflexion, sondern nach einem "polemisch-religiösen Statement" verlangen. Mit "shock und awe" versuche Gibson, seine Zuschauer zu beeindrucken.

Daß Gibson Pilatus als von Gewissensbissen geplagt und die Hohepriester als blutdurstige Anstifter vorstelle, sei eine "Unverfrorenheit". Geprägt durch Gibsons "orthodox-katholische Vorstellungen" stehe der Film in der Tradition des "christlichen Antisemitismus", so Van der Burg. Gibson sei nur auf Effekt und "voyeuristisches Schwelgen in Leid" aus. Auch die Tageszeitung Trouw kritisierte, es gebe "viel Horror und Action", aber wenig Raum für Besinnung und Spiritualität.

Überwiegend positiv sind hingegen die Bewertungen von Kinobesuchern auf der Internet-Seite moviecity.nl. Die durchschnittliche Bewertung des Films liegt bei 9,6 erstaunlich hoch. "Ich verstehe die ganze Aufregung nicht, der Film ist einfach so schön", heißt es hier. "Ein Meisterwerk von Gibson, das sehr beeindruckt. Aber wie üblich gerät ein Film, der realistisch ist, in die Kritik." Und: "Ein sehr guter Film. Empfehlenswert! Und sehr bibeltreu. Manche Szenen sind erschreckend, aber man erfährt dadurch auch, wie unbarmherzig Menschen sein können", meint ein Kinobesucher aus Amsterdam.

Gibson bringe Christus dem Menschen näher, so der katholische Bischof Antoon Hurkmans aus Den Bosch. Die "Passion Christi" sei eine "Meditation", die Gibson und seine Schauspieler aus "edler Motivation" gemacht hätten, meint auch der Hilfsbischof Everard De Jong aus der Stadt Roermond. Die explizite Gewalt im Film sei kein Selbstzweck, sondern stehe im Zusammenhang mit dem Leben Jesu.

Auch die protestantischen Kirchen haben großes Interesse an Gibsons Film. Kinosäle werden gemietet, Gesprächskreise ins Leben gerufen. Die evangelische Stiftung Agapè hat eine eigene Internet-Seite eingerichtet mit Informationen über Gibsons Film und das Leben Jesu (thelife.nl). Die niederländische Reformierte Kirche betrachtet den Film als ein wichtiges Mittel für die Verbreitung des christlichen Glaubens. Gibson sei ein "positiv-christlicher Filmemacher", so Reinier Sonneveld, gläubiger Christ und Autor des Buches "Sehe der Mensch".

Auch die niederländischen Fernsehanstalten haben bereits Interesse an dem Film bekundet. Nicht nur der Evangelische Rundfunk (EO), sondern auch die kommerzielle Holland Media Gruppe, zu der unter anderem die niederländischen RTL-Sender gehören, haben sich gemeldet. 

 

 

Der Mann, der die Welt veränderte
Schweden: Der Film "The Passion of the Christ" wird - trotz vereinzelter Kritik - überwiegend wohlwollend beurteilt
Helmut Salz

In Schweden hatte "The Passion of Christ" vorige Woche ohne größere Aufregung Premiere. Bereits vor Monaten waren in den größten Medien warnende Ansprachen - hauptsächlich aus den USA - veröffentlicht worden. In der größten Abonnementszeitung Skandinaviens, Dagens Nyheter, warf der amerikanische Film- und Theaterkritiker Stan Schwartz, der viel für schwedische Zeitungen schreibt, dem Film antisemitische Klischeebildung vor. Sehr ähnlich äußerte sich in einem groß aufgemachten Artikel im größten Abendblatt, Expressen, Mike Davies, "Schriftsteller, Universitätslehrer und ehemaliger LKW-Fahrer" aus Kalifornien. Davies scheute sich nicht davor zurück, den Film mit "Jud Süss" zu vergleichen: "Kurz und bündig: Die mittelalterliche Offenbarung eines Judentums, mit Hollywoodklischees und Special Effects ausstaffiert."

Von der schwedischen Kritik wurde der Film wohlwollend aufgenommen, auch wenn manche den blutigen Realismus als spekulativ empfinden. Nicht unbedeutend für die Rezeption war die Mahnung der amerikanischen Produktionsgesellschaft Mel Gibsons (Icon), man möge sich doch auf den tatsächlichen Inhalt konzentrieren und nicht den florierenden Vorurteilen anheimfallen. Bereits im voraus konnte sich die schwedische Christenheit durch Sondervorführungen des christlichen Netzwerkes Agapè eine eigenständige Auffassung bilden. Der Christenrat (SKR), d.h sowohl die katholische wie die orthodoxe wie die sonst in diesen Fragen politisch korrekte Schwedische Kirche, hat gemeinsam eine Schrift produziert, die in 50.000 Exemplaren gedruckt wurde und in den ersten Tagen vor allen Kinos in Stockholm kostenlos an Kinobesucher verteilt wird. Das Buch trägt den Titel "Der Mann, der die Welt veränderte" und besteht aus den vier Evangelien.

Schweden ist bekanntlich ein weitgehend säkularisiertes Land. Die schwedischen Kirchen stehen leer oder doch halbleer und die Kirchenleitung unter Führung von Erzbischof Karl Gustav Hammar versucht deshalb auf anderen Wegen Aufsehen zu erregen. So entflammte in den Jahren 1998ff. eine hitzige Debatte über die Haltung der Kirche zur Homosexualität, nachdem im Dom von Uppsala die Ausstellung "Ecce Homo" mit Fotos von Jesus zusammen mit Homosexuellen und Transvestiten gezeigt wurde.

Ursprünglich sollte der Film nur in den Großstädten Stockholm, Malmö und Göteborg gezeigt werden. Nach dem Druck von Agapè hat sich aber der der Medienfamilie Bonniers zugehörigen Kinobetrieb SF (Svensk Filmindustri) entschieden, die Vorführungen auf weitere Städten zu erweitern. Jetzt ist der Film in 52 Kinos in 44 verschiedenen schwedischen Städten zu sehen.

Kritik an dem Film kam in erster Linie von linken Theologen und jüdischen Kreisen in Schweden. So befürchtete der Botschafter Israels in Stockholm, Zwi Mazel - kürzlich bekannt geworden durch seine Demolierung einer israelkritischen Installation im Stockholmer Historischem Museum -, daß der Gibson-Film von antisemitischen Kreisen ausgenutzt werden kann.

 

 

Blitzkrieg gegen die Sinne
England: Die Urteile über den Gibson-Film "The Passion of the Christ" gehen weit auseinander / Nahost-Konflikt wirft seine Schatten
Derek Turner

In Großbritannien, wo "Die Passion Christi" am 26. März anlief, hat es unterschiedliche Reaktionen auf den Film gegeben. Soviel Aufregung wie in den USA hat der Film hierzulande allerdings nicht ausgelöst. Religion spielt für die Briten eine weit weniger wichtige Rolle als für die Amerikaner; inzwischen leben hier mehr praktizierende Muslims als praktizierende Anglikaner.

Einig sind sich die allermeisten Kritiker - ob sie den Film bewundern oder ablehnen - über seine gleißende visuelle Kraft. Uneinigkeit besteht in der Bewertung seines intellektuellen Gehalts sowie darüber, ob die extremen Gewaltdarstellungen gerechtfertigt sind und ob "Die Passion Christi" antisemitisch ist oder nicht. Ian Bradshaw gehörte zu den wenigen, auf die der Film einen vergleichsweise geringen Eindruck machte. In der linken Zeitung The Guardian nannte er ihn "dümmlich und seicht", ein "Tsunami roter Soße". An der Antisemitismus-Debatte mogelte er sich geschickt vorbei, indem er sie als "Frage des Akzents" und als "intra-jüdischen Konflikt" bezeichnete.

In Empire, der wichtigsten Fachzeitschrift der britischen Filmindustrie, nannte Ian Nathan den Film einen "pop-profunden Blitzkrieg gegen die Sinne", zeigte sich aber überzeugt, daß "ein zu großer Teil des Films die Geschehnisse als jüdische Verbrechen darstellt und nicht als in der Heiligen Schrift vorherbestimmtes Opfer". Sukhdev Sandhu, der Filmkritiker des konservativen Daily Telegraph, sah ihn als "blutrünstiges Traktat, ... das Neue Testament als Todesporno". Antisemitisch sei er jedoch nicht - "der Mob ist eher ein undefinierter Pöbel als eine Horde Juden".

In der Times sprach James Christopher von einer "Gefühlsorgie, in der filmische Effekte an die Stelle der Vernunft treten", fügte aber hinzu, "Behauptungen, der Film sei antisemitisch, sind völlig unangebracht", da Gibson sorgfältig darauf geachtet hatte, einigen Pharisäern abweichende Meinungen in den Mund zu legen.

Der nachhaltigste Angriff auf Gibson erfolgte in einer Sondersendung des kommerziellen Fernsehsenders Channel 4, die am 28. März in Anspielung auf seine populären Action-Spektakel unter dem Titel "Mel Gibson: God's Lethal Weapon?" ausgestrahlt wurde. Diese Sendung befaßte sich mehr mit Gibsons Vater - einem prominenten ultra-traditionalistischen katholischen Wortführer - als mit Gibson selbst. Sie legte aber eindeutig den Schluß nahe, daß die Ansichten seines Vaters - von der Legitimität des Papstes und des Zweiten Vatikanischen Konzils (in dem der Vatikan die Juden formell von der Schuld an der Kreuzigung freisprach) bis hin zu der Frage, ob der Holocaust stattgefunden hat - den Schauspieler und Regisseur stark beeinflußten.

Bei einer Sondervorführung Ende Februar wallten die Gefühle für und gegen den Film auf. Die Mehrzahl der befragten jüdischen Gäste äußerten sich negativ. Neville Nagler, Vorsitzender des Jewish Board of Deputies, der Vertretung aller in Großbritannien ansässigen Juden, sagte: "Es wäre besser gewesen, wenn dieser Film nie gedreht worden wäre", und bezeichnete ihn als "äußerst gefährlich". Lord Janner, Labour-Abgeordneter im Oberhaus und Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses, "haßte" den Film: "Ich glaube, daß er sehr viel Schaden verursachen könnte." Für den reformierten Rabbiner Jonathan Romain zählt er zu "den schlimmsten Fällen der Gruppenverleumdung", während sein Kollege Yitzchak Schochet hoffte, der Film würde verboten oder wenigstens zensiert, weil er "mit Sicherheit Rassenhaß auslösen wird".

Christen, die an der Sondervorführung teilnahmen, sprachen sich sehr viel positiver aus. Ein Pfarrer aus East Anglia sagte, der Film könne nicht antisemitisch sein, denn "Jesus selbst war Jude", während ein prominenter Methodist die Hoffnung äußerte, daß die Freigabe von 18 auf 15 Jahre herabgesetzt werde, damit auch junge Menschen den Film sehen könnten. In Kent zahlten anglikanische Pfarrer 20.000 Pfund (30.200 Euro) für eine Sondervorführung in ihren Gemeinden.

Auch wenn die Briten nicht besonders religiös sind, wird der Film sicherlich mehr Reaktionen hervorrufen, wenn mehr Menschen ihn gesehen haben - erst recht in dem derzeitigen Klima, in dem der Schatten der Nahostpolitik über der gesamten britischen Bevölkerung hängt. 

 

 

Schmerzschwelgerei
Frankreich: Kritiker und Fürsprecher befehden sich heftig
Jean-Marie Dumont

In den französischen Kinos lief Mel Gibsons "La Passion" am 31. März an. Den Verleih hat der Tunesier Tarak Ben Amar übernommen, nachdem die anderen großen Verleihfirmen den Film abgelehnt hatten - allen voran Marin Kamitz, Chef des MK2-Konzerns, der ihn als "faschistisch" und "revisionistisch" bezeichnete.

Nach wenigen Tagen brach - wie nicht anders zu erwarten war - der Streit los. Die Hauptvorwürfe gegen den Film lauten, er sei antisemitisch und zu extrem in seinen Gewaltdarstellungen. Die Vertretung jüdischer Institutionen, der Conseil représentatif des institutions juives de France (CRIF), prangerte die "extreme und ungesunde Gewalt" und die "antisemitischen Elemente" an, die "diese mittelalterliche Interpretation der Geschichte Jesu" enthalte. Er sah in dem Film "Elemente von Antisemitismus, wie sie die Kirche vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil so lange förderte, mit den bekannten Konsequenzen", und befürchtete einen politischen Mißbrauch: Gibsons Jesus könnte mit den von Israel getöteten palästinensischen "Märtyrern" verglichen werden. Dennoch wies das Pariser Gericht die Klage der Brüder Benlolo zurück, die den Verleih des Films in Frankreich verbieten lassen wollten: "Der betreffende Film ... kann nicht als Aufhetzung zum Haß oder zur Gewalt gegen Personen jüdischen Bekenntnisses oder als Angriff gegen deren Würde und Sicherheit verstanden werden", begründete der Richter sein Urteil.

Die große linksliberale Tageszeitung Le Monde widmete der Frage viel Raum. Am 30. März war im Leitartikel von einem "theologischen Rückfall" die Rede: "Wenn die Gewalt der 'Passion' die Gewalt der Zeit Jesu wie die Gewalt der modernen Welt behandelt, ist diese überzogene Schmerzschwelgerei antichristlich", befand der Kritiker. Das Figaro-Magazin veröffentlichte dagegen eine Eloge aus den Federn des Journalisten Etienne de Montety und des Philosophen René Girard: Nie zuvor sei die Passion so realistisch auf die Leinwand gebracht worden. Die linke Libération behauptete wiederum, dieser Film enthalte "sehr wohl antisemitisches Ferment. Jesus ist lediglich wehrloses Opfer eines jüdischen Komplottes, den die Mächtigen des Jerusalemer Tempels mit den sadistischen römischen Soldaten geschmiedet haben".

Wenn es auch noch zu früh ist, eine genaue Analyse aufzustellen, wissen insbesondere konservative Katholiken den 127minütigen Film zu schätzen. Sie sehen ihn als wahrheitsgetreue Darstellung des Opfers Christi und begrüßenswerte Erinnerung an die Bedeutung des Leidens für das Christentum. Mitglieder des Missionswerkes Missio nutzen die Gelegenheit, um an den Kinoausgängen tätig zu werden.

Der Erzbischof von Paris, Kardinal Lustiger, hat sich vorsichtshalber von einer "Hollywood"-Darstellung des Todes Jesu distanziert und ihre Gewaltszenen kritisiert: Kein Film könne einen traditionellen Kreuzweg ersetzen.

Die episkopale Bischofskonferenz nahm ebenfalls einen reservierten Standpunkt ein. In einem langen Schreiben begrüßt Pater Philippe Vallin, Sekretär der Doktrinalkommission des französischen Episkopats, "persönliches Engagement und Aufrichtigkeit" des Regisseurs, greift ihn aber auf theologischem Gebiet an: Gibson habe die Leidensgeschichte zu sehr von der Verkündigung und der Auferstehung Jesu "isoliert" und ein Kreuz gezeigt, das "unnachahmlich, abstoßend, absurd" sei.

Die progressiven Christen sind außer sich. In Témoignage chrétien bezeichnete der Jesuit Paul Valadier den Film als "antihuman", "antichristlich", "anti-evangelikal": "Er ist auf einer Ebene unterhalb des Menschlichen angesiedelt, jener der sadistischen Triebe, die sich unendlich wiederholen, gemäß einem undefinierbaren Zwang, dem Gibson nicht Herr zu werden scheint. Genau wie bei einem pornographischen Film. Denn nachdem die Soldaten mit Jesus fertig sind, geht es auf dem Weg nach Golgotha wieder los."

Auf jeden Fall beweist der Erfolg des Films, den am ersten Tag 80.000 Zuschauer sahen, und das Ausmaß des Streites, wie aktuell die Passion Christi selbst im laizistischen Frankreich des 21. Jahrhunderts geblieben ist.

 

 

Folterungen finden auch heute statt
Schweiz: Große Diskrepanz zwischen Publikum und veröffentlichter Meinung
Frank Liebermann

Auch in der Schweiz erregt der Film "Die Passion Christi" große Aufmerksamkeit. Auf den Kulturseiten toben sich die Rezensenten aus, jeder meint einen Beitrag leisten zu müssen.

Die Stellungnahme der evangelisch-reformierten Kirche ist entspannt. So war die Kirchenrätin Irene Gysel in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) der Meinung, daß der Film eine Kreuzestheologie verbreite, von der sich die reformierte Kirche schon lange verabschiedet habe. "Gott will keine Gewalt", so ihr Statement, und eine Gewalttat könne nie Grundlage für die Erlösung sein. Eigenwillig ist die Auffassung der Kirchenrätin, der Film sei in seiner Machart zu patriarchalisch und Frauen würden hinter die Männer zurückgesetzt.

Mit dem Antisemitismusvorwurf setzt sich die Luzerner Zeitung auseinander. Der Chefredakteur der jüdischen Wochenzeitung Tachles, Yves Kugelmann, verbreitet sich dort im Interview: "Ich finde es unwichtig, mit welcher Absicht der Film gemacht wurde, und möchte Gibson keine antisemitische Haltung anlasten. Entscheidend ist die Wirkung des Filmes, der historische und theologische Fragestellungen nicht löst, sondern eher verdrängt. Diese Wirkung ist potentiell antisemitisch."

Der Tagesanzeiger, die größte Zeitung in Zürich, nimmt die vermeintliche Authentizität Gibsons ins Visier. Hier wird vor allem kritisiert, daß sich der Regisseur aus allen vier Evangelien bedient, ungeachtet den Erkenntnissen der modernen Religionswissenschaft: "Die nach Jesu Tod, erst nach dem jüdisch-römischen Krieg und der Zerstörung des Jerusalemer Tempels geschriebenen Evangelien projizieren den Konflikt zwischen Synagoge und der jungen Kirche in die Evangelien." Daß die Entlastung von Pontius Pilatus aus politischen Gründen erfolgt und die Schuld der Juden viel geringer sei als im Film dargestellt, kritisiert der Autor außerdem.

Einen völlig anderen Ansatz wählt die größte Sonntagszeitung der Schweiz, Die Sonntagszeitung. Hier finden vor allem die Folterszenen mißfallen: "Eine weitere Konsequenz von Gibsons Ansatz ist die Idealisierung des göttlichen und die Verleugnung des menschlichen Leidens. Unzählige Menschen sind zwölf Stunden lang gefoltert worden; zahllose haben dies nicht überlebt, einige haben Zeugnis davon abgelegt. Dies spielte sich nicht nur vor zweitausend Jahren ab, Folterungen finden auch heute statt. (...) Würde ein außerirdisches Wesen den Film ansehen, müßte es annehmen, nur Gott müsse so gelitten haben: Barrabas, der Mörder, wird freigelassen, und die beiden mit Jesus verurteilten Verbrecher werden schonender behandelt als dieser."

Fazit: Die Diskussion in der Schweiz läuft in ähnlichen Bahnen ab wie in Deutschland. Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied: Die Diskussion ist weniger hektisch, über den Antisemitismusvorwurf regt sich hier niemand auf. Leserbriefe zeigen die große positive Resonanz beim Publikum, die im krassen Gegensatz zu der Journalistenmeinung steht. Und manch ein Leserbriefschreiber stellt klar, was bei der Diskussion nur selten beachtet wird: "Wie kommt es, daß wir unsere Kinder sich jeglichen Schund an Gewalt und Sex am TV reinziehen lassen, uns aber über diesen neuen Jesusfilm so erbosen?"

 

Aramäisch ohne Untertitel
Libanon: Erfolgreicher als "Titanic" und "James Bond" / Kirche empfiehlt den Film
Khalil Ansari

Im Libanon scheint Mel Gibsons "Passion Christi" einen ganz besonderen Nerv zu treffen. In den ersten elf Tagen nach dem Filmstart sahen bereits über 142.000 Menschen den vieldiskutierten Film - und das obwohl er dort erst ab 15 Jahren freigegeben ist. Damit ist er erfolgreicher als Produktionen wie "Titanic" oder der James Bond Film "Stirb an einem anderen Tag". Der Marketing-Chef eines der größten Filmverleihe des Nahen Ostens, Berthe Zeeni, frohlockt, man habe mit dem Film "alle Rekorde gebrochen".

Dreißig Prozent der Libanesen sind Christen, was das besondere Interesse an der "Passion" erklärt, allerdings läuft der Film selbst in islamisch dominierten Staaten wie Katar, Syrien und Jordanien äußerst erfolgreich - was mitunter auch daran liegen wird, daß das die einzige Region der Welt ist, wo noch Menschen leben, die nicht auf die Untertitel im Film angewiesen sind, da sie das dort gesprochene Aramäisch zumindest verstehen können.

Auch von kirchlicher Seite wird der Film empfohlen. So lobte der Patriarch der Maronitisch Katholischen Kirche, Kardinal Nasrallah Sfeir, bereits Mitte März den Film ausdrücklich und entkräftete den Vorwurf, es handle sich um ein antisemitisches Machwerk. Der Film halte sich "an die biblischen Fakten", so Sfeir. Es sei ein bewegendes und schmerzhaftes Erlebnis, die Leiden Christi so realistisch zu sehen. "Nun haben die Libanesen die Möglichkeit selbst zu sehen, wie sehr Christus leiden mußte, um die Menschheit von ihren Sünden zu erlösen".

Selbst der libanesische Staatspräsident Emile Lahoud hat den Film mit großer Begeisterung gesehen - ebenso wie Palästinänserführer Jassir Arafat, der die "Passion Christi" als "bewegend" bezeichnete.

 

Fotos: 

Jesus (Jim Caviezel) mit den Aposteln beim Letzten Abendmahl: "Gefühlsorgie, in der filmische Effekte an die Stelle der Vernunft treten"

Jesus (Jim Caviezel) am Kreuz: "Manche Szenen sind erschreckend", so ein Zuschauer in Amsterdam, "aber man erfährt dadurch auch, wie unbarmherzig Menschen sein können."

Jesus im Garten Gethsemane: "Edle Motivation"


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