© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/04 02. April 2004

Neue Satrapen
Die Osterweiterung der Nato nützt hauptsächlich den USA
Alexander Griesbach

Nun ist es also amtlich - die Nato wächst mit dem Beitritt der drei baltischen Staaten, Rumäniens, Bulgariens, der Slowakei und Sloweniens auf 26 Mitglieder an. Abgesehen von Bulgarien und Rumänien werden fünf der sieben Beitrittsstaaten am 1. Mai auch Mitglied der EU werden. Alle Nato-Neulinge haben eine enge Beziehung zu den USA. Den von diesen vom Zaun gebrochenen Irak-Krieg haben sie ohne Bedingungen unterstützt. Die USA wissen diese Unterstützung zu schätzen - auch in Form von Truppenstützpunkten, was unmittelbare Konsequenzen für Deutschland haben wird. In den Medien wird kolportiert, daß sie bis zu sechzig Prozent ihrer in Deutschland stationierten Soldaten verlegen. Auch aus Asien, insbesondere aus Südkorea, sollen US-Soldaten, wenn auch in weit geringerem Ausmaß, abgezogen werden.

Die vom Nato-Gipfel im November 2002 beschlossene Einladung an sieben Ost-Länder, bis 2004 Mitglied des Bündnisses zu werden, muß auch als symbolischer Akt verstanden werden. Der größte Teil des ehemaligen Warschauer Pakts und drei ehemalige Sowjetrepubliken sind seit Montag dieser Woche Teil des westlichen Militärbündnisses. Allerdings tragen die neuen Mitglieder militärisch wenig zur Stärkung der Nato bei. Estland verfügt gerade einmal über 5.600 Soldaten, Lettland über 6.500 und Slowenien über 7.600. In vielen westeuropäischen Nato-Staaten stoßen die neuen Mitglieder hinter den Kulissen auf ein zwiespältiges Urteil. Die neuen Mitglieder seien, so zitierte Der Spiegel in einem Hintergrundbericht einen europäischen Diplomaten, "willfährige Aspiranten, die sich jetzt schon 'amerikanischer als die Amerikaner' benähmen". Weiter wurde in diesem Beitrag wenig diplomatisch von einem "inneren und äußeren Ring der Satrapenstaaten" gesprochen, die sich bei den abendlichen Diners um George Bush gruppierten wie um einen absolutistischen Monarchen - allen voran der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi.

Die hier durchscheinenden Aversionen sind auch ein Reflex auf die Negativkonsequenzen, die insbesondere aus westeuropäischer Sicht mit der Nato-Osterweiterung verbunden sein werden. Die Aufblähung der Zahl der Mitglieder wird die Nato inhomogener und zum kollektiven Handeln unfähiger machen. Dadurch wird eine noch größere Dominanz der USA wahrscheinlicher, die als einzig verbliebene Supermacht die Macht und Autorität hat, ihre Interessen durchzusetzen. Daß sie dabei von den neuen osteuropäischen Bündnispartnern ohne Wenn und Aber flankiert werden, zeichnete sich bereits in den letzten beiden Jahren ab. Dies dürfte sich im Falle eines möglichen Nato-Beitritts von Kroatien, Albanien und Mazedonien nicht anders verhalten, deren Regierungschefs US-Präsident Bush zur Beitritts-Zeremonie für die sieben neuen Mitglieder im Weißen Haus eingeladen hat. Deshalb fällt es US-Außenminister Colin Powell auch nicht schwer, die Ambitionen dieser Balkanstaaten, eines Tages der Nato beizutreten, zu unterstützen.

Mit der Ostweiterung wird die Metamorphose der Nato von einem regionalen Verteidigungs- in ein global agierendes Offensivbündnis weiter vorangetrieben. Mit ihrer Beteiligung an der Operation "Enduring Freedom" und der Zustimmung zur Nato Response Force haben die europäischen Mitglieder diese Verwandlung im Grundsatz längst akzeptiert. Akzeptiert wurde auch die sogenannte Bush-Doktrin, sprich die Legitimierung von Präventivschlägen gegen potentielle Gegner, die US-Interessen im Wege stehen. Diese Doktrin ist beim Nato-Gipfel in Prag offizielle Nato-Doktrin geworden.

Obwohl die Bruchlinien zwischen Westeuropa und den USA inzwischen unverkennbar sind, dürfte ein offener Konflikt aufgrund der vielfältigen ökonomischen und militärischen Abhängigkeiten von der Supermacht USA ausgeschlossen sein. Diese verfolgt mit der Nato-Osterweiterung handfeste geostrategische Interessen. Welcher Art diese Interessen sind, darüber berichtete die britische Zeitung The Economist (6. April 2002) ganz offen. "Es ergebe Sinn, die Nato in einem Teil von Europa auszubauen, der ganz nahe am Nahen Osten liegt", war dort vor gut zwei Jahren zu lesen.

Und weiter: "Die Einbeziehung der beiden politischen 'Nachzügler' Rumänien und Bulgarien würde der Nato gleichzeitig eine größere Ausgangsbasis am Rande des Schwarzen Meeres verschaffen. Schon jetzt benutzen die USA bulgarische Flughäfen für den Transport von Soldaten und Kriegsmaterial nach Afghanistan und in die zentralasiatische Region der ehemaligen Sowjetunion." Mit anderen Worten: die Osterweiterung versetzt die vor allem die USA in die Lage, ihre eigene Einfluß- und Interessensphäre weiter ausbauen zu können.

Daß sich die USA auch die innereuropäischen Verwerfungen im Sinne eines divide et impera nutzbar zu machen verstehen, zeigte die Unterscheidung in ein altes und neues Europa durch US-Verteidigungsminister Rumsfeld. "Sie denken bei Europa an Deutschland und Frankreich. Ich nicht. Das ist altes Europa", sagte Rumsfeld wörtlich und fügte sinngemäß hinzu, daß die Erweiterung der Nato der vergangenen Jahre bedeute, daß sich der Schwerpunkt nach Osten verlagert habe. Wie sich die erweiterte Nato auch immer entwickeln wird: sicher ist, daß Deutschland an Gewicht verlieren wird.


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