© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/04 26. März 2004

Risiken und Nebenwirkungen
Bundespräsidentenwahl: Horst Köhler sorgt mit seinen Aussagen für Irritationen / Der Unionskandidat besitzt "Heitmann-Potential"
Paul Rosen

Die Unionsparteien haben ihre Probleme mit dem bürgerlichen Präsidentschaftskandidaten Horst Köhler. Zwar konnte FDP-Chef Guido Westerwelle in einer Nacht- und Nebelaktion auf den ehemaligen Präsidenten des Internationalen Währungsfonds eingeschworen werden, doch seitdem hängt der Haussegen zwischen CDU und CSU wieder schief. Köhler empfahl CDU-Chefin Angela Merkel als Kanzlerkandidatin für 2006 und brachte damit die CSU auf die Palme.

Mit Mühe und Not versuchten die Unionsführer, den Fehler ihres Präsidentschaftskandidaten wieder auszubügeln. Die CDU-Zentrale intervenierte bei Köhler, er solle in München anrufen und sich beim beleidigten CSU-Chef Edmund Stoiber entschuldigen. Von der CSU wiederum kam ein trotziges Knurren von Landesgruppenchef Michael Glos. Glos meinte, Köhler könne gar nicht genug Fehler machen, als daß die CSU ihn nicht wählen würde.

Danach traten Heckenschützen auf den Plan. Via Bild-Zeitung ließ ein nicht näher bezeichneter CSU-Abgeordneter wissen, etwa fünf Abgeordnete würden Köhler nicht mitwählen wollen. Grund: Das Auswahlverfahren habe ihnen nicht gefallen, und im übrigen würde Merkel zu mächtig. Der Schuß traf. Die CDU tobte. Der stellvertretende Parteichef Christoph Böhr forderte von der CSU, ihre Spielchen zu beenden und Frieden in der Union eintreten zu lassen.

Von Frieden dürften die zänkischen Schwestern jedoch noch weit entfernt sein. Das Problem von CDU und CSU ist die nach wie vor ungelöste Führungsfrage der Union. Natürlich hat Merkel in der letzten Zeit ihre Position stabilisiert. Aber sicher kann sich die CDU-Chefin nach wie vor nicht fühlen. Das zeigte bereits der Fall des wegen seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit ausgeschlossenen Abgeordneten Martin Hohmann: Obwohl die Fraktionsführung mit einem fast einstimmigen Votum der Fraktion für den Ausschluß rechnete, stimmten 20 Prozent gegen den Ausschlußantrag. Und eine Mehrheit der Abgeordneten dürfte mit der Faust in der Tasche für den Ausschluß gestimmt haben.

Da sind noch einige Rechnungen zu begleichen, und dies könnte bei der Bundesversammlung geschehen. Zu viele in der CDU sehen sich von Merkel düpiert: Da ist die allerdings kleiner werdende Zahl der Kohl-Anhänger. Da ist Fraktionsvize Friedrich Merz, der seinen von der CDU-Chefin initiierten Sturz immer noch nicht verwunden hat. Merkels Vorgänger Wolfgang Schäuble, der unter unwürdigen Umständen für Köhler Platz machen mußte, ist zutiefst gekränkt. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch hat ebenfalls Ambitionen auf höhere Ämter: Den CDU-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur hat Koch weiter im Blick, auch wenn er auf dem Landesparteitag der hessischen CDU erklärte, er strebe nicht in die Bundespolitik. "Von mir wird es keine Initiative für eine Kanzlerkandidatur geben", sagte Koch wörtlich. Kaum jemand registrierte, daß der Satz eine Hintertür enthält: Der Ruf an Koch kann natürlich auch von anderer Seite kommen oder initiiert werden. Und Stoiber hat ebenfalls noch nicht aufgegeben.

In den Wochen bis zur Bundesversammlung, die den Nachfolger von Johannes Rau am 23. Mai wählen wird, könnte noch einiges passieren. Kandidat Köhler birgt einige Risiken in sich. Bisher ist fast alles gut gelaufen. Er verbreitete über das Fernsehen und in Interviews nette Geschichten über sich und seine Familie. Aber ein anderer kleiner Fehler sorgte für Ärger: Köhler als Kandidat der Bürgerlichen lobte die Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD).

Das sorgte für Überraschung in der Union, aber zugleich fanden endlich auch jene Stimmen Gehör, denen der Name Köhler noch aus Bonner Zeiten bekannt war. Damals galt der Staatssekretär von Finanzminister Theo Waigel (CSU) als überheblich, besserwisserisch, unbeherrscht, und man sagte ihm einen Hang zu unbedachten Äußerungen nach. Das soll alles besser geworden sein? Viele wollen nicht an Besserung glauben und sehen, wie es in Berlin heißt, ein hohes "Heitmann-Potential" in Köhlers Äußerungen.

Das könnte die Union bereits vor der Bundesversammlung in Schwierigkeiten bringen. Man erinnere sich an den sächsischen Justizminister Steffen Heitmann, der vor zehn Jahren von Kohl als Präsidentschaftskandidat auserkoren worden war. Heitmann wurde unter anderem wegen Äußerungen über die Stellung der Frau in der Gesellschaft Zielscheibe einer Kampagne. Die Union knickte ein und fand mit dem Verfassungsgerichtspräsidenten Roman Herzog einen Ersatzkandidaten. CDU-Chefin Merkel ist nicht in einer so starken Position wie Kohl damals, der den Untergang seines Kandidaten Heitmann überstand. Sie könnte in den Strudel hineingerissen werden und untergehen.

Wenn der Kandidat die Zeit bis zur Bundesversammlung durchhalten sollte, sind die Probleme auch noch nicht zu Ende. Manche Rechnung könnte in dieser Versammlung beglichen werden. Union und FDP haben derzeit knapp 20 Stimmen Vorsprung vor den anderen Parteien. Merkel-Gegner und bayerische Unzufriedene könnten die Wahl von Köhler zu einer Zitterpartie werden lassen. Es würde dann System dahinter stecken: Wenn Köhler nicht im ersten oder zweiten Wahlgang durchgesetzt werden kann, würde dies in erster Linie Merkel angelastet werden, die ihre Truppen nicht hinter sich habe bringen können. Darauf spekulieren ihre Gegner. Köhler könnte, so das ungünstige Szenario, dann erst im dritten Wahlgang gewählt werden.

Es dürfte gezündelt, aber die Flamme nicht an die zum Pulverfaß führende Lunte gelegt werden. Keiner derjenigen, die überlegen, mit Köhler ihre Spielchen zu treiben, in Wirklichkeit aber Merkel meinen, wird das Lager wechseln und seine Stimme für die SPD-Kandidatin Gesine Schwan abgeben. Immerhin gilt der parteipolitische Wechsel im obersten Staatsamt als Verbote eines Machtwechsels 2006 - egal, wer die Union dann anführen wird.

Foto: Laurenz Meyer, Angela Merkel, Horst Köhler: Die Wahl könnte zur Zitterpartie werden


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