© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/04 26. März 2004

Konservative Blamage
Die Taktik des spanischen Ministerpräsidenten Aznar führte ins Abseits
Alain de Benoist

Die überraschende Niederlage des spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar bei den Parlamentswahlen am 14. März - nachdem noch acht Stunden zuvor niemand, am wenigsten seine Gegner, am Sieg seiner Volkspartei (PP) gezweifelt hatte - ist die offensichtliche Folge seines ungeschickten Verhaltens nach den Anschlägen in Madrid: Aznar beharrte darauf, den Verdacht auf die baskische Terroristenorganisation ETA zu lenken, weil es ihm wahltaktisch vielversprechender schien. Da die Ermittlungen nun von einer Tat "islamistischer" Extremisten ausgehen, wirken die Attentate zugleich wie eine Konsequenz seiner Außenpolitik, und manche halten Aznar sogar für den Hauptverantwortlichen für ihre fürchterliche Bilanz. Ihm wird vorgeworfen, die Öffentlichkeit hinters Licht geführt und das Massaker zumindest indirekt mitverschuldet zu haben - für beides haben die Wähler ihn brutal abgestraft.

Die Machtübernahme der sozialistischen Opposition bedeutet vor allem eine außerordentliche persönliche Niederlage für einen Mann, der sicher davon ausging, die politische Bühne siegreich verlassen zu können, und statt dessen unter dem Hohn und den Beleidigungen einer entfesselten Menschenmenge abtreten muß. Für Europa kann sich der Sieg der spanischen Opposition aber auch als Glücksfall erweisen, der einen echten Umbruch in der politischen Landschaft auslösen könnte.

In den letzten Jahren hatte Aznar versucht, sich dem amerikanischen Präsidenten als privilegierter europäischer Gesprächspartner neben Tony Blair aufzudrängen. George W. Bush wurde schnell warm mit dem spanischen Ministerpräsidenten, der seine eigenen Werte und Gesellschaftsvorstellung zu teilen behauptet und nach seinem Abschied aus der aktiven Politik die Aktivitäten einer Stiftung unterstützen will, die Washingtons Standpunkt in Lateinamerika vermitteln soll.

Aznar war es, auf dessen Betreiben im Januar 2003, als Frankreich und Deutschland an ihrer Opposition gegen eine Intervention im Irak ohne Uno-Mandat festhielten, acht europäische Staaten einen Brief unterzeichneten, in dem sie der amerikanischen Politik Unterstützung versprachen. Dank dieser Initiative konnte dann der amerikanische Verteidigungsminister das "neue Europa" dem "alten" gegenüberstellen. Aznar, dem das Gespann Frankreich-Deutschland sowieso ein Dorn im Auge war, stellte sich gemeinsam mit Blairs Großbritannien und den neuen EU-Mitgliedstaaten an die Spitze dieses "neuen", pro-amerikanischen Europa, das sich dem französisch-deutsch-belgischen Bündnis gegen einen unilateralen Angriff auf den Irak entgegenstellte.

Es war wieder Aznar, der - immer noch mit der Unterstützung Polens - auf dem Brüsseler Gipfel im Dezember 2003 die Annahme der EU-Verfassung verhinderte, indem er auf dem 2000 in Nizza ausgehandelten Status als "großer Staat" beharrte.

Als er sein Land in einen Krieg hineinzog, den über achtzig Prozent der Bevölkerung (darunter viele Mitglieder seiner eigenen Partei) ablehnten, ging Aznar das Risiko ein, daß sich diese mächtige Opposition bei nächster Gelegenheit wieder gegen ihn erheben würde. Dies ist in der Folge der Madrider Anschläge geschehen.

Der neue sozialistische Ministerpräsident José Luis Zapatero hat seinerseits schon für Juni den Abzug der im Irak stationierten Truppen angekündigt. Daneben hat der Vorsitzende der Sozialisten (PSOE), dessen pro-europäische, föderalistische Ansichten bekannt sind, jedoch eine "Wende um 180 Grad" im außenpolitischen Bereich versprochen. "Ich verpflichte mich, für eine Stärkung der Europäischen Union zu arbeiten - dafür, Europa eine Verfassung für alle zu geben, dafür, daß das Völkerrecht geachtet wird und die Beschlüsse der Vereinten Nationen ausschlaggebend sind und nicht die unilaterale Entscheidung dieses oder jenes Staates."

Am 9. März sagte Aznar der Pariser Zeitung Le Monde noch in einem Interview, Europa müsse "die transatlantische Verbindung wiederherstellen". Genau das Gegenteil wird geschehen. Auf diplomatischer Ebene kann man mit einer Annäherung Spaniens an Frankreich und Deutschland rechnen. Befürworter der "Achse" zwischen Paris, Berlin und Moskau hoffen, daß diese Achse bald in Madrid beginnt.

Mittelfristig scheint es unabdingbar, daß sich die künstlich geschaffene Kluft zwischen "altem" und "neuem" Europa wieder schließen wird. Die spanische Wahl hat bereits eine ansteckende Wirkung gezeitigt. Am 18. März erklärte der polnische Präsident Alexander Kwasniewski öffentlich, in der Frage der angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen von den Amerikanern getäuscht worden zu sein. Dabei deutete er an, nach Spaniens Rückzug keine zusätzlichen Truppen in den Irak entsenden zu wollen (wo sich derzeit 900 polnische Soldaten befinden). Wenige Tage später gab der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi zu, die Intervention im Irak sei "vielleicht ein Fehler" gewesen.

Bush hat somit mehr verloren als seinen treuesten Gefolgsmann in Kontinentaleuropa. Vor seinen Augen bricht die Front des "neuen Europa" zusammen, die er gegen Frankreich und Deutschland instrumentalisieren wollte, während ihm zu Hause ein Wahlkampf mit unsicherem Ausgang bevorsteht und das Chaos im Irak jeden Tag ein bißchen schlimmer wird.

Seit dem Tod Francos ist in Spanien kein so wichtiges politisches Ereignis mehr passiert wie dieses.


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