© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/04 19. März 2004

"Vor dem Terror knicken alle ein"
Die spanische EU-Abgeordnete Barbara Dührkop - selbst Terroropfer - über die Anschläge von Madrid und die Verantwortung der Regierung Aznar
Moritz Schwarz

Frau Dührkop, schon lange haben Experten davor gewarnt, daß auch Europa zum Ziel islamistischer Anschläge werden könne. Ministerpräsident Aznar hat diese Gefahr ignoriert, die Bürger - zweihundert Tote, Tausende von Verletzten - müssen nun die Zeche zahlen. Deutschland hat sich zwar nicht an der US-Irak-Kriegs-Politik beteiligt, aber die Bundeswehr steht am Hindukusch und am Horn von Afrika. Droht auch uns eine solche Konsequenz?

Dührkop: In der Tat hat sich Europa offenbar für unverwundbar gehalten, zu lange hat man sich Terror eines solchen Ausmaßes bei uns einfach nicht vorstellen können. Zwar haben einige Länder ein regionales Terrorproblem, aber den islamistischen Terror betrachtete man als Sache der USA und Israels. Seit dem 11. März, dem Tag der Anschläge von Madrid, ist aber endgültig klar, daß das ein Irrtum ist.

Eine falsche Politik hat Spanien ins Fadenkreuz der Islamisten manövriert?

Dührkop: Es besteht für die Spanier kein Zweifel daran, daß es die Unterstützung Aznars für Präsident Bushs Irak-Politik war, die dazu geführt hat, daß Spanien das erste Land Europas ist, das getroffen wurde.

Der außenpolitische Sprecher der Volkspartei (PP) Gustavo di Aristegui stellt diesen Zusammenhang in Abrede: Die Frage, ob die spanische Irak-Politik Anlaß für die Attentate gewesen sei, verbat er sich in einem Interview mit der Abqualifizierung dieser Frage als "absurd, bösartig und infam", denn damit würden die Anschläge in Beziehung zur Außenpolitik Aznars gesetzt, womit sich nach seiner Meinung die nachfragenden Journalisten der "Legitimierung dieser Terrorakte" schuldig machten.

Dührkop: Absurd ist allein diese Argumentation Aristeguis. Und wenn etwas infam ist, dann die Unterstellung, man legitimiere die Terrorakte, indem man die politischen Zusammenhänge benennt. Es ist natürlich nachvollziehbar, daß die verantwortlichen Politiker versuchen, diese Frage zu delegitimieren, denn sie trifft genau den Punkt! Und vor der Aussicht, nun für ihre Politik Verantwortung übernehmen zu müssen, zittern natürlich alle Politiker in Europa, die der Irak-Politik Bushs bedingungslos das Wort geredet haben.

Auch Angela Merkel und die CDU/CSU-Opposition in Deutschland?

Dührkop: Das weiß ich nicht, ich will mich auch nicht zur deutschen Situation äußern, aber ganz allgemein würde ich sagen, es ist zu vermuten.

Glauben Sie, daß nun im PP eine Diskussion über diese Zusammenhänge einsetzt?

Dührkop: Bestimmt, offiziell wird man natürlich zurückhaltend sein, aber intern beginnt man zweifellos, anderes über die Irak-Politik Aznars zu denken. Erste "nachdenkliche" Stimmen gibt es ja schon, wenn auch noch sehr verhalten.

Vermuten Sie, daß auch mancher in der CDU/CSU still zu reflektieren beginnt, daß mit einer Unionsregierung in Deutschland und einer daraus resultierenden deutschen Unterstützung des Irak-Kriegs vor Jahresfrist die Bomben von Madrid vielleicht in Berlin explodiert wären?

Dührkop: Das kann ich nicht sagen, aber nach dem 11. März kann man sich in ganz Europa der zwingenden Konsequenz der Zusammenhänge nicht mehr entziehen. Das gilt ebenso für Politiker des PP wie für jene der CDU/CSU.

Der Spitzenkandidat Ihrer Partei und Wahlsieger, Parteichef José Luis Rodríguez Zapatero, hat einen radikalen Kurswechsel angekündigt. Das Irak-Kontingent soll nun fristgerecht heimkehren. Kritiker meinen allerdings, Spanien gehe vor dem Terror in die Knie.

Dührkop: Halt! Wir haben schon vor den Anschlägen von Madrid angekündigt, im Falle eines Wahlsieges unsere Truppen abzuziehen. - Allerdings, sind wir doch einmal ehrlich: In Europa "knicken" wir doch alle vor dem Terror ein. Eine Auseinandersetzung, wie die USA sie führen, oder eine Situation etwa wie in Israel würde in Europa keine Regierung aushalten. Und müssen wir uns nicht auch ernsthaft fragen, ob die US-Kriegslösung die einzig mögliche und richtige ist?

Das heißt, der Terror ist so mächtig, daß er sogar die Politik einer Nation wie Spanien bestimmen kann?

Dührkop: Zumindest hat er einen großen Einfluß, denn die von ihm ausgehende Gefahr zu ignorieren, heißt für europäische Politiker unverantwortlich zu handeln.

Damit haben Sie die Attentäter natürlich ermutigt, nun auch in anderen europäischen Ländern zuzuschlagen.

Dührkop: "Ermutigt" ist wohl nicht das richtige Wort, denn die Gefahr bestand schon zuvor für ganz Europa, Spanien hat es lediglich zuerst getroffen, wohl wegen der spanischen Außenpolitik und weil die Terroristen hier mit den Parlamentswahlen eine politische Bruchstelle erkannt haben. Niemand ist geschützt, wir müssen alle auf alles gefaßt sein.

Sie selbst haben zunächst auch an einen Anschlag der ETA geglaubt.

Dührkop: Vermutlich haben über 90 Prozent der Spanier im ersten Moment an die ETA gedacht, aber spätestens seit Donnerstagabend verdichteten sich Indizien, die für die ETA untypisch sind, in einem Maße, das nicht mehr zu ignorieren war. Dann hat die Regierung angefangen zu lügen und zu täuschen, um sich über die Wahl zu retten. Das ist besonders schändlich, weil es ja diese Regierung war, die den Menschen das alles eingebrockt hat - schließlich waren etwa 80 Prozent des Volkes gegen eine Beteiligung am Irak-Krieg. Dennoch hat die Regierung noch nicht einmal angesichts der katastrophalen Bilanz ihrer Politik die Verantwortung für die Folgen übernommen, sondern die Schuld auf die ETA geschoben und sich davongestohlen. Nicht umsonst rufen die Menschen jetzt Aznar voller Wut entgegen: "Dein Krieg, unsere Toten!"

Sie sind selbst ein Opfer des Terrors der ETA geworden.

Dührkop: Die ETA hat am 23. Februar 1984 meinen Mann ermordet, weil er der Spitzenkandidat der Sozialisten bei den Regionalwahlen im Baskenland war und man mit seiner Ermordung symbolisch Spanien treffen wollte.

Welche politische Zukunft hat denn die ETA noch?

Dührkop: Keine, die ETA hat sich überlebt. Fast alle Basken lehnen heute Gewalt als Mittel der Politik ab. Würde man eine spontane Umfrage im Baskenland machen, ob das Land auf friedliche Weise unabhängig werden soll, erhielte man nur 30 bis 40 Prozent Zustimmung. Und dieser Wert würde bei einer ernsthaften Volksabstimmung - wenn sich die Menschen dann auch die konkreten wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen klarmachen - noch weiter sinken.

 

Barbara Dührkop ist Mitglied der spanischen Sozialisten (PSOE), die am vergangenen Sonntag die Wahlen in Spanien gewonnen haben, und Abgeordente der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas (PSE) im Europäischen Parlament. Geboren 1945 in Hannover, wanderte die Diplom-Philosophin, Lektorin und Hochschullehrerin 1978 nach Spanien aus.

 

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