© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/04 12. März 2004

Pankraz,
Honoré de Balzac und die Geilheit des Geizes

Geiz ist geil", hört man jetzt vielerorts. Arbeitskollegen veranstalten unter sich "Geiz-Wettbewerbe": Wer in der Kantine am wenigsten Geld ausgibt, wer beim Sammeln für irgendwas die Taschen zuhält oder nur einige Kupfermünzen lockermacht, wer durch die Gänge schweift und überall das Licht ausknipst oder die "Stand-bys" in den Computern, der kriegt eines Tages einen Preis, etwa in Gestalt einer über und über gestopften Socke, gefüllt mit Brotkrümeln. Und er ist stolz darauf (tut wenigstens so). Bei Studenten gibt es "Geiz-Partys". Dort fließt nur billigster Fusel, und der Gastgeber erzählt selbstgefällig, wie wenig ihn die Einladungen gekostet haben.

Mit der neuen Sparsamkeit hat das nur indirekt zu tun, es ist so etwas wie der krampfhafte Versuch, der Lage putzige, ironische, "Spaß" machende Aspekte abzugewinnen. Das geht freilich schief, denn der Geiz ist nun mal ein durch und durch mieser Affekt, zudem eine schwere Sünde, die man als Katholik beichten muß. Man kann nur über den Geiz lachen, nicht mit ihm. Und selbst dann bleibt einem das Lachen immer wieder im Halse stecken, auch in elaborierten Fällen, z. B. bei der Ansehung von Molières "Geizigem", gespielt von Louis de Funès.

Wenn Geilheit eine Sache ist, die die schönen Künste in Fahrt bringt, dann kann Geiz nie und nimmer geil sein. Musikalisch läßt er sich nicht ausdrücken und auch nicht bildnerisch als Fest der Farben und Formen. In der comédie humaine, die die Literatur ist, kann man ihn nur als abstoßende Fratze und als Karikatur ertragen, so in dem Roman "Eugénie Grandet" von Balzac oder eben in dem Stück von Molière. Auch in der Philosophie hat der Geiz stets Abscheu und Kritik ausgelöst, abgesehen vielleicht von einigen Passagen in Georg Simmels Buch über das Geld, wo er als geistvolles Spiel mit Möglichkeiten gefeiert wird.

Der Geiz und das Geld treten immer zusammen auf, das Geld ist die Recheneinheit des Geizigen, an dem er alles, was in seinen Einzugsbereich gerät, mißt und auf das er es reduziert. Er gibt es nur freiwillig aus, wenn er sicher zu sein glaubt, daß es mit Zins und Zinseszins bald wieder hereinkommt. Andernfalls übt er "Konsumverzicht", und zwar keinesfalls nur gegenüber wohltätigen Organisationen, sondern auch und vor allem an sich selbst. Der Geizige ist ein Asket, aber nicht deshalb, weil er in der asketischen Lebensweise eine Selbstverpflichtung sieht, eine Souveränität und ein Vorbildgeben, sondern einzig um seinen abstrakten Geldschatz zu erhalten und zu mehren, sich an der Abstraktheit zu weiden und virtuell zu mästen.

Arme Schlucker sind selten geizig, wenn überhaupt, weil sie gar nicht die Möglichkeit haben, in ein abstraktes Verhältnis zum Geld zu treten. Hin und wieder kommt es vor, daß ein zerlumpter Bettler stirbt und man entdeckt, daß er Hunderttausende auf dem Konto gehabt hat - das war dann also gar kein armer Schlucker, sondern ein typischer Geiziger, einer, der das Geld mehr liebte als das konkrete Leben. Allerdings fehlte ihm etwas, das eigentlich originär zum Geiz dazugehört: der Machttrieb, die Lust, es andere spüren zu lassen, daß man reich und überlegen ist und daß man fremdes Schicksal nachhaltig beeinflussen kann.

Das ist das wirklich Schlimme an den großen Geizhälsen: Sie sind keine Eigenbrötler, sie mischen sich durchaus in den Lauf der Dinge ein, bleiben dabei jedoch kalt wie Hundeschnauze. Es interessiert sie im Grunde nicht, was sie bewirken bzw. anrichten, es geht ihnen immer nur um die Vermehrung ihres Schatzes. Sie sind letzten Endes Monster, so haben es auch Molière und Balzac gesehen. Und wenn heute der Geiz in vielen Quartieren als "geil" gefeiert wird, so heißt das: die (Geld-)Monster werden gefeiert, die Gefühlskälte und der Umstand, daß immer mehr Verhältnisse in die Monströsität und in die Gefühlskälte abrutschen.

Mit neuer Sparsamkeit hat das, wie gesagt, fast nichts zu tun. Wenn sich die großen Moralisten der Vergangenheit, von Seneca bis La Rochefoucauld, über etwas einig waren, so darüber, daß der Geiz, wie La Ro-chefoucauld es ausdrückte, "zur Sparsamkeit in einem weit größerem Gegensatz steht als zur Verschwendung". "Der Geiz", sagte La Bruyère, "ist der größte Verschwender, den es gibt, er verschwendet nicht nur materielle Güter, sondern Seelen, nicht zuletzt die Seelen der Geizigen selbst."

Was die Sparsamkeit, auch die angestrengteste, vom Geiz unterscheidet, ist der konkrete, echt besorgte Blick auf die Dinge, an denen oder für die gespart werden muß. Das Kalkül richtet sich nicht auf die Wahrung und Mehrung irgendwelcher abstrakter Schätze, sondern darauf, daß ein Problem jeweils mit einem Minimum an geldlichem Einsatz gelöst werden muß, damit das Eingesparte dann anderen Problemlösungen zugeführt werden kann. Das Minimum ist in jedem Falle auch das Optimum, nämlich jener Zustand, der eine gediegene, ansehnliche und dauerhafte Funktionsfähigkeit verheißt und garantiert.

Natürlich verzichtet man in sparsamen Zeiten gern auf Ornamentik, Schmuck und andere schöne Zutat, was oft schade ist, weil das Leben nicht nur pure Funktion ist, einen gewissen Überschuß, gewisse "Nutzlosigkeiten" sehr gut gebrauchen kann. Spar-Kommissare sollten das immer im Auge behalten. Der berüchtigte Schlachtruf des Bauhauses, "Ornament ist Verbrechen" (Adolf Loos), war selber ein Verbrechen, entsprang nicht der Sparsamkeit, sondern dem Irrglauben einer Epoche, für die einzig die Funktionalität galt, die "reine Funktionalität", die ja identisch ist mit maximaler Geldvermehrung auf niedrigstem Lebensniveau, also mit Geiz, rasendem Geiz.

Wie man es auch dreht, Geiz bleibt ein Schrecken von oben bis unten, die Mutter aller Übel, wie es schon die Bibel weiß: "Avaritia prima scelerum mater" (1 Timoth. 6/10). Nicht einmal von Geilheit auch nur eine einzige Spur.


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