© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/04 12. März 2004

Die letzten Mohikaner
Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Auf dem Parteitag in Hannover versuchte die einstige Schill-Partei zu retten, was zu retten ist
Peter Freitag

Ein Feigling, wer jetzt die Flinte ins Korn wirft", schmetterte Sitzungspräsident Rolf Rutter am vergangenen Samstag zur Eröffnung des Bundesparteitags der Partei Rechtsstaatlicher Offensive in Hannover-Langenhagen seinen Parteifreunden entgegen. Seine Feststellung, die Partei habe für die Zukunft "hervorragende Perspektiven", quittierten die knapp 150 Delegierten jedoch nicht nur mit Beifall, sondern auch mit höhnischem Gelächter: Nach dem Ausschluß von Parteigründer Ronald Schill im Dezember letzten Jahres geht ein tiefer Riß durch die Partei, und das desaströse Abschneiden mit 0,4 Prozent bei der Hamburger Bürgerschaftswahl trug ein weiteres zur Erhitzung der Gemüter bei.

Doch nicht nur die Wähler (in einem Umfang von über 90 Prozent) waren der Partei davongelaufen, auch ihre Führungsspitze zeigte eine Neigung zur Fahnenflucht: Dirk Nockemann, ehedem Innensenator und Spitzenkandidat bei der Hamburger Bürgerschaftswahl, war zwei Tage nach dem Urnengang bereits aus der Partei ausgetreten; Mario Mettbach, der noch am Wahlabend seinen Posten als Bundesvorsitzender geräumt hatte, sah keine Veranlassung, sich zum Bundesparteitag der Kritik seiner Parteifreunde zu stellen: obwohl als Delegierter seines Landesverbandes nominiert, blieb der Noch-Senator der Veranstaltung fern. Überraschend für die Kollegen des auf diese Weise führerlosen Bundesvorstands war dann auch noch der Schatzmeister Michael Esther kurzfristig von seinem Amt zurückgetreten.

Die Parteibasis mißbilligte den Ausschluß Schills

Entsprechend kurz fiel der Rechenschaftsbericht der Parteispitze aus, den Mettbachs Stellvertreter Klaus Veuskens übernehmen mußte. Er bemühte sich redlich, die Lage der Partei zu schildern, ohne übermäßig zu polarisieren. Den 17. August 2003, an dem Ole von Beust seinen Stellvertreter und Innensenator Schill entlassen hatte, nannte Veuskens eine "Zäsur" für die Erfolgsgeschichte der Partei, die danach eine "innere Zerreißprobe" zu bestehen hatte. An die Basis der Partei gerichtet, die Schills Ausschluß mehrheitlich mißbilligte, äußerte Veuskens verständnisheischend: "Der Bundesvorstand war nicht Herr des Verfahrens!" Die Medien hätten sich ausschließlich auf eine Person gerichtet, das habe sich im nachhinein für die Partei bitter gerächt. Zudem hätten knappe Finanzen die mangelhafte Außendarstellung diktiert.

Dennoch mußten die verbliebenen Vorstandsmitglieder auch für das Verhalten der Abwesenden den Kopf hinhalten, wobei der Streit um Schill bzw. Mettbach mehr unterschwellig zum Tragen kam. Statt dessen erfolgten in zum Teil ermüdender Länge zahlreiche Anträge zur Geschäftordnung und Debatten um Formalien. Spürbar schwebte das Damoklesschwert einer möglichen Anfechtung der Beschlüsse über den Delegierten, so daß das Präsidium peinlich genau auf die Einhaltung der Bestimmungen achtete.

Streit entzündete sich noch einmal am Rechenschaftsbericht des stellvertretenden Schatzmeisters Hartmut Hüttemann. Dabei ging es zum einen um den vom Bundestagspräsidium zunächst wegen Formfehlern abgelehnten Antrag zur Wahlkampfkostenrückerstattung, zum anderen um die erhebliche Verschuldung des Landesverbands Sachsen-Anhalt. Diese Gliederung steht mit 824.000 Euro bei ihrem ehemaligen Vorsitzenden, dem Klinik-Unternehmer Ulrich Marseille, in der Kreide. Da allerdings keinem der Bundes- und Landesfunktionäre die Existenz eines Darlehensvertrages bekannt war, blieb die Frage strittig, ob Marseilles Geld ein Kredit oder eine Spende an die Partei war.

Ohne Zweifel wichtigster Punkt für die Delegierten war die Entscheidung über eine personelle Neuaufstellung der Partei. Dazu wurden alle noch verbliebenen Vorstandsmitglieder einzeln befragt, ob sie freiwillig zurückträten oder nicht. Lediglich Hartmut Hüttemann und Stefanie Kreusch sperrten sich gegen einen Rücktritt, da sie sich "keines Fehlverhaltens bewußt" waren. Kreusch wurde jedoch von ihrem eigenen Landesverband Sachsen das Vertrauen entzogen. In geheimer Abstimmung erfolgte schließlich die Abwahl beider. Alle anderen Mitglieder hatten sich zuvor bereiterklärt, den Weg für eine neue Weichenstellung freizumachen. Dabei ließ Mettbachs bisheriger Stellvertreter seine Enttäuschung nicht unerwähnt: "Ich habe das Gefühl, persönlich angegriffen zu werden, obwohl ich mich materiell und ideell immer für diese Partei eingesetzt habe", so Veuskens in seiner Rücktrittserklärung. Sein Stellvertreter Markus Wagner erklärte, der Vorstand habe bis zum Dezember gemeinsam eine gute Arbeit geleistet, bevor "ohne Not" ein Riß durch die Partei provoziert worden sei. Nach seinem Rücktritt erklärte sich Wagner unter dem Beifall der Delegierten zur Neuwahl bereit.

So konnte sich schließlich bei der Wahl zum Bundesvorsitz der 39jährige Unternehmer aus dem nordrhein-westfälischen Bad Oeynhausen mit 78 zu 26 Stimmen gegen den Dortmunder Chemiker Detlef Münch durchsetzen. Wagners Erfolg liegt nicht zuletzt darin begründet, daß er aus seiner Opposition zu den früheren Vorstandskollegen im Verfahren gegen Schill keinen Hehl gemacht hatte. Mit der Forderung, der Partei ein "klares freiheitliches Profil" zu verleihen, stieß er auf breite Zustimmung unter den Delegierten. Zu Wagners Stellvertretern wurden Wolfgang Jabbusch aus Schleswig-Holstein, Kai Watermann (Sachsen-Anhalt), W. Dräger (NRW) und der Brandenburger Klaus Häßler gewählt. Außerdem gehören dem neuen Vorstand Walter Hendrix als Schatzmeister sowie Falk Jahnke als Schriftführer an.

Inhaltlich verabschiedete der Parteitag im Schnellverfahren das Programm für die Europawahl am 13. Juni. Ganz oben auf diesem Forderungskatalog steht eine Abwehr des EU-Beitritts der Türkei unter dem Motto "Islamisierung Deutschlands verhindern!", außerdem die Forderung nach einer gerechteren Verteilung der finanziellen Lasten innerhalb der Union.

"Offensive D" ist die neue Kurzbezeichnung

Auf einer dem Parteitag vorausgehenden Nominierungsveranstaltung hatten die Delegierten eine Liste mit fünf Kandidaten für das Straßburger Parlament beschlossen, an deren Spitze der 40jährige Dortmunder Ratsherr Detlef Münch steht.

Als Voraussetzung für ein Antreten der Partei Rechtsstaatlicher Offensive bei kommenden Wahlen stand außerdem auf der Tagesordnung die Beschlußfassung über ein neues Parteikürzel; die Verwendung der bis dato in der Satzung verankerten Kurzform "Schill" war der Partei von Namensinhaber Ronald Schill gerichtlich untersagt worden. Nach längerer Diskussion einigte sich der Parteitag schließlich mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit auf die Bezeichnung "Offensive D". Der frisch gewählte Bundesvorsitzende Markus Wagner äußerte sich gegenüber der JUNGEN FREIHEIT zufrieden: Der Parteitag sei im großen und ganzen erfolgreich verlaufen, der von manchen befürchtete große Eklat ausgeblieben. "Die Fronten sind jetzt geklärt, die Partei wird sich wieder beruhigen", so Wagner optimistisch. Spätestens mit der Wahl des Vorstands sei klargeworden, daß die frühere Anti-Schill-Fronde innerhalb der Partei keine Mehrheit habe.

Einige Vertreter dieser Gruppe sahen das ebenso und kündigten unmittelbar nach der Neubesetzung des Bundesvorstands ihren Austritt aus der Partei an. Dazu zählen die abgewählten Vorstandsmitglieder Kreusch und Hüttemann sowie der hessische Landesvorsitzende Frank Bücken. Am Montagabend verlautete zudem aus Parteikreisen, daß auch der zurückgetretene Bundesvorsitzende Mario Mettbach nunmehr seinen Austritt erklärte. Auch die Personalie Schill jedoch ist jetzt nach Wagners Einschätzung beendet, da der frühere Parteigründer seinen vollständigen Rückzug aus der Politik angekündigt habe. Parteichef Wagner kündigte allerdings an, schon bald mit anderen Parteien und Gruppierungen innerhalb des freiheitlichen und konservativen Spektrums in Kontakt zu treten, um mögliche Bündnisse oder Absprachen zu sondieren.

Wagner gab sich gegenüber der JF zuversichtlich, daß trotz der 200 Parteiaustritte nach der Hamburg-Wahl die Partei ihre Basis von 3.000 Mitgliedern noch erweitern wird. "Es werden mehr ehemals Enttäuschte wieder in die Partei zurückkehren, als jetzt aus ihr austreten."

Rahmenbedingungen für den Erfolg einer "rechtspopulistischen" Partei seien eine charismatische Führungsfigur und ein "Thema zum Fackeln", gab - etwas despektierlich - nach der Hamburg-Wahl der Politik-Professor Peter Lösche kund. Daß die Partei Rechtsstaatlicher Offensive von solchen Erfolgsaussichten noch weit entfernt ist, zeigte in Hannover nicht zuletzt das Fehlen einer interessierten Öffentlichkeit: Weder eine große Schar von Pressevertretern noch die früher üblichen Gegendemonstranten hatten vom Parteitag Notiz genommen.

Foto: Parteichef  Markus Wagner: Hofft auf die Rückkehr Enttäuschter


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