© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/04 05. März 2004

Außer Spesen nichts gewesen
Carl Gustaf Ströhm

In der jüngsten Literaturbeilage der einst konservativen Springer-Zeitung Die Welt verbreitet sich Kolumnist Tilman Krause unter der Überschrift "Felix Austria?" über einen Besuch in Wien - auf Einladung der Österreichischen Nationalbibliothek. Drei Tage weilte er mit Kollegen in der Donaumetropole. Liest man aber, was von seiner Kurzvisite hängenblieb, muß man feststellen: außer Fehlinterpretationen so gut wie nichts.

Da macht sich der Autor zunächst über einen Kustos der Nationalbibliothek lustig, der - offenbar unter dem Druck der nicht zuletzt aus Deutschland überschwappenden political correctness - statt vom "Römischen Reich deutscher Nation" vom "Römischen Reich deutschsprechender Nationen" sprach. Dann behauptet der Wien-Kurzbesucher, die - so wörtlich - "Nazi-Barden" Josef Weinheber und Karl-Heinrich Waggerl stünden bei österreichischen Verlagen immer noch hoch im Kurs. Daß es sich bei Weinheber um einen der bedeutendsten, sprachmächtigsten Dichter deutscher Zunge des 20. Jahrhunderts und bei Waggerl um einen weit über seinen katholisch-alpenländischen Kreis wirkenden Schriftsteller handelt, sei nur nebenbei vermerkt. Es spricht für eine in Deutschland immer mehr um sich greifende Erbarmungslosigkeit, wenn der Welt-Kolumnist hier zur Hetzjagd auf zwei längst Verstorbene bläst.

Sowohl Weinheber als auch Waggerl hatten - wohl eher aus Mißverständnis als aus ideologischer Prägung - zeitweise gewisse Berührungspunkte mit der NS-Ideologie, aber noch vor dem Ende 1945 waren beide längst "kuriert". Weinheber nahm sich angesichts der Greuel des sowjetischen Einmarsches das Leben. Sie jetzt als "Nazi-Barden" abzuqualifizieren, ist eine Unverfrorenheit, die darauf hinausläuft, jeden zu diffamieren, der jene schicksalsschweren Jahre im Lande - in diesem Fall: im "angeschlossenen" Österreich - verbrachte.

Das hat seinerzeit der Emigrant Carl Zuckmayer ("Des Teufels General") begriffen, der in biographischen Skizzen, welche er 1943/44 für das US-amerikanische Office of Strategic Services (OSS) verfaßte, zu folgendem Urteil kam: "Für Verbrechen und Morde sollte es gewiß keine Verjährung geben. Aber die Fehlhaltung eines Literaten, die 20 Jahre zurückliegt und in einer Zeit vielfacher politischer Kurzschlüsse geschah, sollte man vielleicht doch als verjährt betrachten."

Vollends unbegreiflich wird es, wenn Tilman Krause mit Hochmut vom Wiener Singsang spricht und die protestantischen Norddeutschen gegen das katholische Beharrungsvermögen ins Feld führt, als befänden wir uns noch heute im Zeitalter der Religionskriege. Spätestens wenn er sich dann noch über die Kellnerinnen des Café Demel mokiert, weil diese ihre Gäste in der dritten Person anreden, was in Wien sowenig typisch ist wie irgendein Tourismusgag, weiß man, daß der Welt-Kolumnist so gut wie nichts von Wien verstanden hat. 

 

Dr. Carl Gustaf Ströhm war von 1979 bis 1995 ständiger Korrespondent der "Welt" in Wien.


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