© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/04 27. Februar 2004

"Es geht um Menschenleben"
Interview: Der Lebensrechtler Thomas Schührer will an 40 Millionen Haushalte in Deutschland Kunststoff-Embryonen senden und ruft damit Kritiker auf den Plan
Manuel Ochsenreiter

Herr Schührer, Sie planen mit Ihrem Verein "Durchblick e.V.", an 40 Millionen Privat-Haushalte in Deutschland Embryo-Nachbildungen aus Kunststoff zu senden. (JF 9/04) 30.000 Modelle seien bereits im Großraum Karlsruhe von Helfern verteilt worden. Was bezwecken Sie mit dieser Aktion?

Schührer: Die Verteilung in Karlsruhe war ein erster Test. Wir möchten über die drei großen Tabus im Zusammenhang mit Abtreibung informieren: Erstens daß bei jeder Abtreibung ein Mensch getötet wird, zweitens die wirkliche Zahl der Abtreibungen - etwa 1.000 pro Werktag - und drittens die oft schwerwiegenden und lebenslangen körperlichen und seelischen Folgen der Abtreibung für die Frauen. Ich stelle immer wieder fest, daß die wenigsten Menschen wirklich wissen, wie weit entwickelt das ungeborene Kind bereits in der zehnten Schwangerschaftswoche ist. Zu diesem Zeitpunkt werden die meisten Abtreibungen durchgeführt. Ich kenne niemanden, der das Modell sieht und dann nicht bereit ist, anzuerkennen, daß man ein so entwickeltes Kind nicht mehr töten darf.

Die Organisation "pro familia" bezeichnete Ihre Kampagne als "geschmacklos". Sie grenze an "Psychoterror". Die Embryonen-Modelle wurden als "abstruse Modelle" betitelt. Wie erklären Sie sich eine solche Ablehnung?

Schührer: Die Formulierung "abstruse Gebilde" wurde gebraucht. Die Kritik ist für mich nicht nachvollziehbar. Unsere Modelle sind originalgetreu. Die Fakten, die der beiliegende Prospekt auflistet, stammen aus embryologischen Fachbüchern. Die sind Pflichtliteratur für jeden Medizinstudenten. Auch sind für die meisten Menschen endoskopische Bilder oder Ultraschallbilder von Kindern in der zehnten Woche faszinierend. Wir zeigen ja keine abgetriebenen Kinder. Auch klagen wir niemanden an. Wer Tatsachendarlegungen als "Psychoterror" empfindet, gewährt eher Einblick ins eigene Innere, als daß er substantielle Kritik an anderen vorbringt. Ich denke, die Reaktion von "pro familia" verrät viel über die dort vorherrschende grundsätzliche Haltung zur Abtreibung. Und natürlich muß man wissen, daß in einigen "pro familia"-Einrichtungen Beratungsstellen und Abtreibungspraxen unter einem Dach leben.

Sie berechnen pro Modell etwa 50 Cent, das macht bei 40 Millionen 20 Millionen Euro. Halten Sie eine solche Summe tatsächlich für realistisch, oder ist es mehr oder weniger ein symbolischer Akt?

Schührer: 50 Cent pro Modell plus Informationsschrift. Ein absoluter Selbstkostenpreis, der auch nur möglich ist, weil die Verteilung von ehrenamtlichen Helfern übernommen wird. Ich halte es für unverzichtbar, das Hauptopfer der Abtreibung sichtbar zu machen. Daher werden wir kaum darum herumkommen, tatsächlich jeden Haushalt mit einem Modell zu versorgen. Und ich glaube, daß wir genug Spender finden werden, die ebenfalls die Notwendigkeit unserer Initiative sehen. Sicher nicht auf einen Schlag. Aber wir haben einen langen Atem. Den darf man haben, denn schließlich geht es um Menschenleben.

Kritiker werfen Ihnen vor, daß man mit dem Geld "sinnvollere" soziale Aufgaben finanzieren könnte.

Schührer: Ich sehe das anders. Wenn wir in diesem Zusammenhang schon über Geld reden, dann auch richtig: Bundesweit wurden allein 2002 rund 40 Millionen Euro Steuergelder für die Finanzierung von Abtreibungen ausgegeben; seit der Reform des Paragraph 218 im Jahr 1995 rund 250 Millionen. Die Kosten für die Behandlung des Post-Abortion-Syndroms bei Frauen, die abgetrieben haben, kommen noch dazu, lassen sich jedoch bislang nicht seriös ermitteln. Jedenfalls fragt hier keiner, ob dieses Geld nicht für "sinnvollere soziale Aufgaben" verwandt werden kann. Im Gegenteil: Unsere Aktion vermag dafür zu sorgen, daß der Staat künftig weniger Geld für die Finanzierung von vorgeburtlichen Kindstötungen ausgibt und die Solidargemeinschaft weniger Geld für die Opfer des Post-Abortion-Syndroms aufwenden muß.

 

Thomas Schührer, 38, ist Vorsitzender von "Durchblick e.V.". Er ist verheiratet und arbeitet in Bruchsal als Buchhändler.

Kontakt: Durchblick e.V., Dossentalstr. 26, 76646 Bruchsal, Telefon: 0 72 51 / 35 91 81/Fax 0 72 51 / 35 91 82, Internet: www.embryonenoffensive.de 

Foto: Schührer mit Plastik-Embryo

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