© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/04 20. Februar 2004

Jedes gute Haus ist ein Tempel der Tugend . . .
. . . aber ohne Eitelkeit gibt es keine Kultur: Leon Battista Albertis gewaltiges kunsttheoretisches Werk erneuerte den antiken Geist und prägte die Architektur des Abendlands
Hagen Weimar

Seit Jacob Burckhardts bis heute unübertroffener Schilderung der "Kultur der Renaissance in Italien" wissen wir von der Sonne dieses Zeitalters, von seinen das Abendland prägenden literarischen und künstlerischen Werken, vom damaligen Anstieg aller Aktivitäten, die auf "Erkenntnis der Welt und des Menschen" hinzielten. Hier vollzog sich die eigentliche Aufklärung Europas. Folgenreichen Anteil daran als Theoretiker und Architekt hatte Leon Battista Alberti.

Albertis Studieneifer (er besuchte die hervorragende Lateinschule des Humanisten Barzizza in Padua und nahm ein Studium der Rechte in Bologna auf) sowie seine Selbstdisziplin trieben ihn früh seinem Lebensplan zu: ein ganzheitlich ausgebildeter Mensch zu werden. Doch eifrigstem Arbeiten, Schreiben und Erfinden zum Trotz machte er sich ständige Selbstvorwürfe wegen mangelnder Produktivität. Zeit seines Lebens schwankte er zwischen kreativer Hyperaktivität und lähmender Depression.

1428 ging er nach Florenz, wo er alsbald die Bekanntschaft mit Künstlern wie Brunelleschi, Ghiberti, Donatello und Masaccio machte. Der Dienst in der päpstlichen Kurie seit 1432 erlöste ihn aus quälender ökonomischer Misere. Rom wurde seine Heimat. Hier wurde er zu einem der kundigsten Experten Italiens für die Überreste der antiken Kunst und Architektur, einschließlich der Literatur. In der päpstlichen Bibliothek sammelte er sämtliche Stellen aus klassischen Texten, die sich auf antike Bauten und Statuen bezogen, und verbrachte jede freie Minute mit der Betrachtung und Vermessung der antiken Ruinen.

Der Rhetorik entlehnte er Begriffe für die Malerei

Die erste Frucht der Studien war die 1436 erschienene Schrift "Über die Malkunst" (Della pittura). Als systematisch angelegtes Werk über die Künste mit ausführlichen Grundsätzen ist es das erste moderne Handbuch für Maler. Gegenstand der Malerei sei die sichtbare Natur. Die technische Umsetzung dabei ist die Schaffung einer Illusion, "jeden beliebigen Körper so auf einer Fläche mit Linien und Farben zu zeichnen und zu malen, daß - aus einem bestimmten Abstand und bei einer bestimmten, im voraus zugewiesenen Stellung des Zentralstrahls - alles, was man gemalt sieht, plastisch und dem gegebenen Körper vollkommen ähnlich erscheint". Die hier beschriebene Perspektive war nicht Albertis Erfindung. Seine Leistung ist ihre erstmalige schriftliche Ausformulierung.

Daneben schmiedete Alberti einen ganzen Kosmos von Begriffen für die Malerei, die er teilweise der Rhetorik entlehnte. So findet die inventio die Bildteile, ordnet sie in der dispositio unter Beihilfe der memoria zum Ganzen in der actio. In der historia, die Alberti als die höchste Form der Malerei gilt, wirken compositio und inventio für ein großes Gemälde zusammen, das eine geschlossene Szene mit menschlichen Figuren in körperlicher und seelischer Bewegung im Raum zeigt. Der Betrachter wird durch das Thema belehrt, durch die Affekte bewegt und an der Schönheit erfreut. Das ist das absolute Werk.

Damit das ingenium des Malers sich nicht in seinen Vorstellungen einschließt, sind Beobachtung und Nachahmung der Natur notwendig, da ohne die Bindung an die Natur das ingenium nur tadelnswerte Verirrungen und Verharrungen in fehlerhaften Schemata erzeugt. Dazu gehört das Skizzieren nackter Körper, die Fähigkeit, Knochen, Muskeln und Sehnen unter der Haut und den nackten Körper unter der Kleidung zu erfassen. Diese Forderung war neu. Wenige Jahre nach Abfassung des Buches tauchen zunehmend Aktzeichnungen Florentiner Künstler auf, die vom Ringen um Körpererfassung zeugen. Später haben Leonardo und Dürer Albertis Bemühungen zur Schaffung theoretischer Grundlagen für die Malerei fortgeführt.

Unter dem Pontifikat Nikolaus' V., eines alten Studienkollegen, steigt Alberti weiter auf in der vatikanischen Hierarchie und kann sich der Konservierung und Restaurierung des antiken Roms widmen. Zwischen 1443 und 1452 schrieb er sein Hauptwerk "Von der Baukunst" (De re aedificatoria) in lateinischer Sprache, das neben praktischen Anleitungen auch grundsätzliche und ideelle Fragen behandelt. Vom Architekten wird eine Praxis gefordert, die sich auf die Anfertigung von vor Ort angefertigten Zeichnungen stützt. Im Bestreben, die Schriften des Vitruv zu übertreffen, verfaßte Alberti einen kanonischen Text über die klassische Architektur mit ausführlicher Behandlung von Gebäudeformen und -teilen, wie etwa die klare Anleitung zur Unterscheidung von dorischen und ionischen Säulen. Dies könnte man ein definitorische Praxis nennen.

Ideeller ist der Begriff eines Bauwerks: ein Körper, der aus Linien besteht, die vom Geist hervorgebracht werden, aus Materie, die der Natur abgewonnen ist. Die alles entscheidende Qualität eines Bauwerks sei die concinnitas: daß seine Einzelteile einander so harmonisch ergänzen, daß man weder etwas wegnehmen noch hinzufügen könne, ohne das Ganze zu verderben. Jeder Aspekt des Bauens, vom großen Maßstab einer gesamten Stadt bis zum einzelnen Raum eines Hauses, soll denselben Grundsätzen folgen. Auch sollten die Gebäude nicht nur als hydraulische Geräte fungieren, die das Regenwasser abhalten und die Abwässer wegschaffen, sondern auch als therapeutische Maschinen, die durch die Art ihrer Anlegung der Gesundheit zugute kommen. Alberti beharrt ausdrücklich auf die seelisch prägende Kraft, die Gebäude auf ihre Bewohner ausüben sollen.

Handbuch der Erziehung und des Familienlebens

Hier bringe man Alberti heute in Anwendung. Man nehme seine Formulierung, daß die zu Beratungszwecken dienenden Räume im Zentrum eines Palastes die Energie der dort zusammentretenden seniores wahren sollen, und setze dies zu der Innengestaltung des Berliner Reichstages in Verhältnis. Man nehme das Monstrum des Bundeskanzleramtes, an dem sich, im Kleinen wie im Ganzen, vergeblich Bezüge zur menschlichen Proportion finden lassen. Albertis Architekturschrift ging erst 1485 in Druck, um dann einen ungeheuren Einfluß zu entfalten.

In seiner dritten Hauptschrift "Über das Hauswesen" (Della famiglia) versuchte Alberti, in einer Art Handbuch des Familienlebens und der Erziehung die altrömische virtus mit den Florentiner Bürgertugenden zu verbinden. In einer Reihe von Gesprächen, die 1421 in Padua am Totenbett seines Vaters Lorenzo Albertis stattfanden, untersuchen die Beteiligten, wie man die demographische und ökonomische Stabilität einer großen Familie gewährleistet. Zeugung und Vaterschaft, Kindesaufzucht und Lebensweg werden auf ihre bestmögliche Weise hin untersucht. Die Söhne sollten weniger durch Härte, "mehr mit Autorität als mit Gewalt" erzogen werden, und auch die Angestellten und Diener müssen nach milden Grundsätzen behandelt werden, auf daß sie wohl und treu am Hause halten. Am Ende selbst fehlt es nicht an der Beschreibung der optimalen Weise, wie ein Mann sich seiner Frau nähern solle, um einen Sohn zu zeugen.

Neben zahlreichen anderen Schriften ist noch "Über das Standbild" (De statua) zu nennen. Behandelt wird die Abbildung und Nachbildung des menschlichen Körpers. Der Entwurf eines mechanischen Meßgerätes, das die messende Abtastung von Körpern ermöglicht, führte zum ersten empirischen Verfahren der Anthropometrie, mit dem Ziel der Formulierung eines Kanons der menschlichen Gestalt.

Dürer versuchte später in seiner "Proportionslehre" ähnliches. Wenn Vasari in seinen "Vitae" auch schrieb, "daß der berühmte Leon Battista mehr durch seine Schriften als durch seiner Hände Werke bekannt ist", sind doch etliche seiner Prachtbauten auf uns gekommen. Für den Söldnerführer und Autokraten Sigismondo Malatesta in Rimini hüllte er die gotische Kirche San Francesco mit istrischen Marmor zu einer Art Tempel ein. In der imposanten, strengen Schauseite griff er die Elemente des nahen Augustusbogens auf. Auch wenn das zweite Geschoß und die geplante Prachtkuppel aus Geldknappheit unvollendet blieben, zeugt der halbfertige Bau - stärker als Brunelleschis Werke - von dem neu aufgekommenen antiken Geist, den Alberti in Originalität erneuerte.

Die Einbringung antiker Rhythmen in das Bild der Stadt als Ganzes probte er mit Erfolg auch in Florenz, wo er dem Kaufmann Giovanni Rucellai 1457/58 den Entwurf zur Fassade eines Palastes in streng klassischem System von Pilastern und Gebälk lieferte, wahrscheinlich vom Colosseum übernommen. Die stark rustizierende steinerne Front über drei Stockwerke zeugt von Reichtum und Macht, in einer Zeit, als man solches zu verbergen nicht für nötig hielt.

Alberti entwarf hier auch die Schauseite der Kirche von Santa Maria Novella in einfachsten Proportionen mit leuchtender Dekoration und einem Triumphbogenmotiv und lieferte gleich das erste Beispiel von Seitenvoluten, wie sie später im Barock häufig verwendet wurden.

Triebkraft war das Verlangen nach Ruhm

Als Reisebegleiter des Papstes lernte Alberti schon 1459 Ludovico Gonzaga kennen, einen der Gewaltherrscher der Renaissancezeit. Erst 1470 entwarf er für ihn den Kirchenbau von Sant' Andrea mit tief kassetierten Riesenbogen und Pilastergliederung. Das Tonnengewölbe im Inneren geht direkt auf die Bäderarchitektur der mittleren römischen Kaiserzeit zurück.

Gebaut hatte Alberti selbst nicht, seine Entwürfe ließ er von anderen ausführen. Er lieferte die Idee der Form. Seine Leistung ist, die antike Form in seinen Schriften neu entwickelt und in eigener Baupraxis geprobt zu haben. Das war eine stilistische Revolution. Sein Entwurf eines Architektursystems wurde für die moderne Architektur klassischen Stils maßgebend und später von Andrea Palladio und Sebastiano Serlio fortgeführt.

Jacob Burckhardt sah in Alberti das vollkommenste Beispiel eines "Allseitigen", eine ideale Verbindung von Intellektuellen und Athleten. Triebkraft war Albertis überwältigendes Verlangen nach Ruhm, das ein Merkmal seiner Zeit war. Doch ohne Eitelkeit gäbe es keine Kultur.

Foto: Santa Andrea in Mantua: Gebäude als therapeutische Maschinen

Literatur: Anthony Grafton, Leon Battista Alberti - Baumeister der Renaissance, Berlin Verlag, 2002


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen