© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/04 20. Februar 2004

Populistisch tödlich
Finanzpolitik: Höhere und niedrigere Mehrwertsteuersätze haben ihren ökonomischen Sinn / Auch Anreiz zum Sparen
Bernd-Thomas Ramb

"Er hat es gesagt, er hat es gesagt", kreischen die Kinder auf dem Spielplatz. Einer hat das "schmutzige Wort" ausgesprochen, das allen im Kopf herumgeht, aber niemand auszusprechen wagt. So verhalten sich derzeit führende Politiker, wenn sich einer zum Thema Mehrwertsteuer äußern. Wieder einmal ist es Unionsfraktionsvize Friedrich Merz gewesen, der den Mut besaß, das Unaussprechliche auszusprechen: Mehrwertsteuererhöhung.

Sofort prasseln die Knüppelschläge der Kritik auf seinen Vordenkerkopf. Die SPD giftet, die CDU wolle "Steuererleichterungen für einige wenige durch Steuererhöhung für alle" finanzieren. Die FDP meint zu wissen, "solches Gerede lähmt jede konjunkturelle Erholung", und selbst die eigenen CDU-Freunde distanzieren sich von den Merzschen Reformvorschlägen und lassen durch CDU-Chefin Angela Merkel verlautbaren, eine Mehrwertsteuererhöhung stehe nicht zur Debatte.

Den Vorschlag einer Erhöhung der allgemeinen Mehrwertsteuer verknüpft Merz mit der Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), zur Finanzierung der von der Herzog-Kommission angedachten Kopfpauschale für Einkommensschwache. Gleichzeitig will er die Einkommensteuer neu gestalten, mit Entlastung der Steuerzahler in Höhe von fünf bis zehn Milliarden Euro - wie Merz meint. Der bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) und Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hingegen befürchten unisono sogar Steuerausfälle von 24 Milliarden Euro. Sicher ist die Finanzierung des Staates und der staatseigenen Sozialsysteme ein komplexes Thema. Die gegenseitigen Abhängigkeiten von Steuern, Abgaben und Beiträgen, sowie den verschiedenen Ausgabenarten und -empfängern sind vielschichtig und besonders unter dem Beliebigkeitsstichwort "Gerechtigkeit" politisch äußerst sensibel zu handhaben. Der Fehler der Merzschen Mehrwertsteuerüberlegungen war daher die Verknüpfung mit den anderen Reformvorhaben, sachlich richtig und geboten, politisch jedoch populistisch tödlich.

Eine Mehrwertsteuererhöhung zur bloßen Deckung von Haushaltslücken ist in der Tat ein falsches Signal. Hinsichtlich der Verwendung des volkswirtschaftlichen Einkommens (wieviel die Haushalte für was ausgeben) stellt die Mehrwertsteuerhöhe ein wichtiges Lenkungsinstrument dar, das für die notwendige sozialpolitische Umgestaltung genutzt werden kann. Die Mehrwertsteuer ist eine Verbrauchssteuer. Ihre Erhöhung senkt daher die Nachfrage nach Konsumgütern. Das muß nicht zwangsläufig zu einem Rückgang der volkswirtschaftlichen Produktion führen, wenn die Unternehmen dafür mehr Investitionsgüter herstellen.

Investitionen sind für eine schrumpfende Bevölkerung wie die deutsche dringend notwendig, um künftig die Güterproduktion von einer arbeits- in eine kapitalintensive umzugestalten. Ein weiteres Argument für eine Mehrwertsteuererhöhung resultiert aus einer angestrebten Überreaktion der Verbraucher, wenn aufgrund der durch die Steuer gestiegenen Verbraucherpreise die Konsumausgaben insgesamt zurückgehen. Dann werden die Bürger automatisch mehr sparen, was der verbesserten privaten Altersvorsorge zugute kommt.

Das Thema private Sozialvorsorge muß bei allen Reformüberlegungen im Vorgrund stehen, wenn der Tatsache Rechnung getragen wird, daß die staatlichen Versorgungssysteme, die über eine soziale Grundsicherung hinausgehen, ohne realistische Zukunft sind. Aus diesem Grund ist die Senkung der Einkommensteuer ein weiterer sinnvoller Ansatz. Allerdings nur, wenn das zusätzlich verfügbare Einkommen tatsächlich für die private Vorsorge verwendet wird.

Folgerichtig muß dann jedoch die Senkung der Einkommensteuer im Vordergrund stehen und nicht, wie Merz zurückrudernd verkündet, die Vereinfachung des Steuersystems. Der medial verbreitete Wahn, der normale Steuerzahler müsse seine Steuererklärung auf einem DIN-A4-Blatt abliefern können, wirkt in Zeiten des Internets und der allgemeinen Computernutzung absurd. 15 Minuten, um am heimischen Computer per Internet Fragekästchen anzuklicken und Zahlen einzutippen, reichen für ein vereinfachtes Abgabeverfahren aus. Die Steuerberechnung kann dabei durchaus wesentlich differenzierter als die Eingabe erfolgen.

Niedrigere Mehrwertsteuer bei Handwerkerleistungen

Differenzieren läßt sich auch die Ausgestaltung der Mehrwertsteuer auf einzelne Produktarten. In diesem Punkt sind andere Staaten, insbesondere EU-Länder, schon weiter. In Deutschland existiert zwar ein ermäßigter Steuersatz von sieben Prozent, aber nur bei wenigen erratisch ausgewählten Produkten wie Lebensmittel, Zeitschriften, Büchern, Kunstobjekten, Theaterveranstaltungen oder Schwimmbadeintritt.

Zu der seit Jahren diskutierten Reduktion der Mehrwertsteuer bei Handwerksleistungen konnten sich die Politiker nicht durchringen. Dabei könnte gerade im Baubereich eine Steuersenkungen wichtige Wachstumsimpulse verleihen. Konsequent wäre auch eine allgemeine Befreiung der in Rechnung gestellten Lohnleistungen von der Mehrwertsteuer. Schließlich unterliegen die ausgezahlten Löhne später der Einkommensteuer.

Ebenso wäre eine Reduktion der Mehrwertsteuerbelastung auf Arzneimittel sinnvoll, um die GKV-Kosten zu senken. Die Franzosen müssen beispielsweise bei Pharmaprodukten nur 2,1 statt 16 Prozent Mehrwertsteuer bezahlen. Eine Reduktion dieser Mehrwertsteuersätze steht nicht im Widerspruch zum Ziel der verbesserten Sozialvorsorge durch die Erhöhung der allgemeinen Mehrwertsteuer. Bauleistungen sichern den Alterswohnsitz, und Medikamente schützen vor schlimmeren Erkrankungen. Bislang muß der Deutsche aber erst in den Brunnen gefallen sein, um in den Genuß reduzierter Mehrwertsteuersätze zu kommen: Auf Rollstuhl und Prothese sind nur sieben Prozent zu entrichten.

Das Thema Mehrwertsteuersenkung scheint jedoch in Deutschland genauso ein politisches Tabu zu sein wie deren Erhöhung. Daher platzte kürzlich auch das Vorhaben Frankreichs, die Mehrwertsteuer auf Gastronomieleistungen von bisher 19,5 auf 5,5 Prozent zu senken. Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac kann sein Wahlversprechen an die französische Küche nicht halten, weil Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Zustimmung verweigert.

Nur wenn alle EU-Staaten einverstanden sind, kann die Mehrwertsteuer einer Produktgruppe in der EU vom vollen zum ermäßigten Steuersatz verändert werden. Deutschland, Dänemark und die Niederlande haben mit ihrem Nein den Franzosen die Suppe versalzen, zum nachhaltigen Ärger der französischen Gastronomen. Nicht nur die deutschen Touristen werden das in den nächsten Ferien möglicherweise zu schmecken bekommen.

In den ab Mai 25 EU-Staaten ist aber nicht nur die Änderung der Mehrwertsteuerzuordnung genehmigungspflichtig, es herrscht auch das generelle Gebot zur Harmonisierung der Steuern. Irgendwann wird das auch die allgemeine Mehrwertsteuer betreffen. Das wäre jedoch das "letzte" Argument zur Erhöhung der deutschen Mehrwertsteuer. Dennoch, Deutschland liegt mit 16 Prozent nur knapp über dem verbindlichen Mindestsatz von 15 Prozent, den allein Luxemburg verlangt.

Außer Spanien haben alle anderen Länder einen höheren als den deutschen Mehrwertsteuersatz, die meisten 20 Prozent und mehr. Einer Erhöhung des deutschen Satzes würde da keiner widersprechen. Auch steuertechnisch spricht viel für die Mehrwertsteuer - Erhebungsaufwand und Hinterziehungsverlust liegen weit unter zehn Prozent. Bei der Einkommensteuer geht hingegen fast ein Drittel "verloren".


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