© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/04 20. Februar 2004

Fest im Glauben verwurzelt
JF-Familienserie VIII: Wie sich die praktizierende heidnische Familie Kube im katholischen Bayern durchsetzt / Erziehung zu Toleranz und Rücksichtnahme
Ellen Kositza

"Und das letzte Kind," fragt die Fernsehmoderatorin augenzwinkernd ihr Gegenüber, "war das noch wirklich geplant?" Die Befragte ist 43, hat fünf Kinder zwischen sechzehn und drei Jahren. Sie ist eine "von" und arbeitet als Ärztin in eigener Praxis. Ihre Stimme klingt nicht naiv, als sie antwortet: "Wissen Sie, für uns waren die Kinder immer Geschenke Gottes." Die Schulklasse, Gastpublikum im Studio, kichert, einer setzt zu einem unflätigen Zwischenruf an. Die Moderatorin lacht so verlegen wie bemüht vermittelnd und spricht schnell weiter, die Gesprächspartnerin lächelt dem Störer milde zu.

Wo das Denken und Handeln keinen vertikalen Horizont mehr finden, ist Kinderreichtum obsolet geworden. Zu welchem Zweck sollte man sie gebären? Der Rentenkasse, dem eigenen Freizeitvergnügen? Der fragmentarische Muttertrieb der modernen Frau kann mit einem Kind bereits zufriedengestellt sein, mehr Kinder verlangen entweder eine größere noch vorhandene biologische Nähe zur Gruppe der Säugetiere oder aber eine geistig-sittliche Grundlegung: einen Glauben - und sei es eine nur vage formulierte Frömmigkeit. Der Glaube ist es, der das Individuum in eine Reihe von Generationen stellt und dem eigenen Handeln Begründung und Ausrichtung zu geben vermag.

Zwischen Landsberg am Lech und dem Ammersee leben Karsten und Susanne Kube mit ihren Kindern. Sie wohnen zur Miete, und der einst große Garten wird nun vom Vermieter mit einem Mehrfamilienhaus und Garagen zugebaut. Dennoch haben sich die Kubes, aus Köln und Ost-Berlin stammend, Bayern vor acht Jahren als Wahlheimat gesucht. Die zwei ältesten Söhne, den zwölfjährigen Hermann und den elfjährigen Heinrich, hat die heute Neununddreißigjährige mit in die Ehe gebracht. Gemeinsam und als Hausgeburten brachte das Ehepaar die Kinder Argund, Dietmar (Susanne Kube: "Er hatte es ganz eilig und kam eine halbe Stunde vor der Hebamme an: das schönste Erlebnis!"), Welf, Arlinda und die einjährige Gertrud zur Welt.

Familie Kube ist fest in ihrem Glauben verwurzelt - sie sind praktizierende Heiden. Eigentlich sind beide christlich getauft - sie katholisch, er evangelisch. Noch in ihrer Jugend, also unabhängig voneinander, beschäftigten sich beide viel mit dem Glauben und verspürten ein Gefühl, "daß da irgendwas fehle". Es mangelte am Authentischen, am Glaubwürdigen, an der Achtung der eigenen Wurzeln, faßt Susanne Kube ihre Zweifel zusammen - und an Magie, ergänzt ihr Mann, der sich lange mit okkulten Techniken beschäftigt hatte, bis er über die Runenmagie "den Weg zu unseren heimischen Göttinnen und Göttern gefunden" hatte.

Als "wuotanistischen Naturglauben" bezeichnen die Kubes diese heimatverbundene Religion, die sich vor allem durch einen Allbeseelungsglauben auszeichnet. Tiere, Pflanzen, Minerale - alles sei beseelt und vermöge dem zu helfen, der sich dem Kreislauf der Dinge fügt. Die Wesen der Erde handeln instinktiv und nach dem Gebot des Lebens, erklärt Susanne Kube - allein dem Mensch sei die Gabe des Denkens gegeben. "Paracelsus sagte: 'Erkenne dich selbst, finde das rechte Maß, dann tue, was du willst.' Und das ist auch der Grundpfeiler unserer Erziehung. Unsere Kinder sollen lernen, daß jeder Mensch Verantwortung trägt. Gerechtigkeitssinn, Anstand und Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Mut und Standfestigkeit sind unumgängliche Eigenschaften." Der Glauben, der sich wesentlich in Ahnenkult und nordischem Polytheismus manifestiert, führe zu einer Haltung der Achtung statt Unterwürfigkeit, zu Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft gegenüber Jüngeren und Schwächeren - aber eben nicht zur dauermitleidigen "Verweichlichung", sagt Susanne Kube. Mut zur eigenen Meinung, die durch Information und eigenes Nachdenken gefunden wird, das wünschen die Eltern ihren Kindern: "Ein Kind, das zu unterwürfigem Gehorsam erzogen wird, wird später jedem folgen, der seine Gunst zu gewinnen versteht."

Der leidende Christus sei kein passendes Ausmalbildchen

Schwer sei manchmal die Erziehung zu Toleranz, gibt die Mutter zu: "Gerade, wenn ihnen von anderen Seiten sehr wenig davon entgegengebracht wird." Das ist ein Seitenhieb auf große Teile der Nachbarschaft, die das Ehepaar und die Kinder lange Zeit deutlich geschnitten hatten. Das änderte sich zumindest teilweise, als vor anderthalb Jahren der damals siebenjährige Sohn Argund tödlich verunglückte.

Die Totenfeier des eigenen Sohnes, erzählen die Kubes, sei der Punkt gewesen, von dem an die Dorfgemeinschaft näher heranrückte an die Familie, die zuvor eher als "esoterische Spinner" galten, was die Kubes dem katholischen Umfeld selten übelnahmen. "Da war und ist viel Angst und Unsicherheit dabei", denkt Susanne Kube. Wer mit solcher Liebe und Würde Abschied nehmen kann, der müsse in seinem Glauben wohl etwas sehr Wertvolles gefunden haben, hätten einzelne Dorfbewohner geäußert, die der pfarrerlosen Beerdigung auf dem örtlichen Friedhof beiwohnten und der Rede lauschten, die die Mutter dem Verstorbenen hielt, dem "ruppigen kleinen Lausbub, doch so empfindsam, so verletzlich. Ein Streit mit Kameraden konnte ihn tagelang verzweifeln lassen, Schmerzen von Mensch und Tier, eine welkende Blume konnten ihn zum Weinen bringen."

In liebevollem Angedenken beschreibt die schlanke, blonde Frau eine Episode, die den Sohn treffend beschreiben mag: "Fünf Jahre alt war Argund bei einem Spaziergang, als uns ein riesiger Schäferhund begegnete. Er lief davon, er hatte Angst vor Hunden. Doch als das Tier an Dietmars Füßen schnupperte, drängte er sich vorbei, stand vor seinem Brüderchen, um es zu beschützen." Es erscheint bewundernswert, wie die Familie mit dem Tod eines Kindes und Bruders umgeht.

Überhaupt fällt auf, mit welch feinem Sinn die Eltern ihren Nachwuchs behandeln, jeden einzelnen in seiner ihm eigenen Art erkennen und fördern. Als "kleinen Professor und Bücherwurm" beschreibt Susanne Kube ihren Ältesten, als geduldiges Bärchen den siebenjährigen Dietmar. Das Ehepaar bemüht sich, der Musikalität und Sportlichkeit von Heinrich entgegenkommen, und beschreibt einfühlsam die Lebhaftigkeit, das große Interesse an Mal- und Bastelarbeiten von Welf, dem Sechsjährigen. Ob es so etwas wie eine "geschlechtsspezifische Erziehung" gibt? Eigentlich nicht, sagt die Mutter, Puppen und Autos dienen den Mädchen wie Jungen gleichermaßen als Spielzeug. "Aber meistens ist es eben so, daß die Mädchen dem Beispiel der Mutter folgen und die Buben dem Vater. Und im Haushalt helfen muß in einer großen Familie sowieso jeder."

Obwohl die Eltern sich gemeinschaftlich engagieren, etwa im Elternbeirat und der Nachbarschaftshilfe, bleibt die heidnische Familie für manchen in der Umgebung ein Stein des Anstoßes - das gilt mitunter auch umgekehrt. Den leidenden Jesus Christus am Kreuze hält die Mutter eben nicht für ein geeignetes Ausmalbildchen für ihre Kindergartenkinder, und auch der Ethikunterricht, den die Schulkinder besuchen, stimmt sie nicht zufrieden. Nach ihrer Ansicht wird dort eine Art "konfessionsloses Christentum" vermittelt, indem andere Religionsformen zwar besprochen werden, "aber nie aus der Sicht der Gläubigen, sondern immer aus der Perspektive christlicher Dokumentatoren", kritisiert die selbstbewußte Frau.

Dennoch möchte die Familie gern an ihrer Wahlheimat Bayern festhalten. Als Susanne und Karsten Kube damals zusammenziehen wollten, waren sie quer durch Deutschland gefahren, doch allein diese südliche Landschaft, das Aussehen der Dörfer hier habe ihnen das Gefühl vermittelt, "nach Hause zu kommen." Karsten Kube ergänzt einen weiteren Aspekt: "Bayern ist einfach traditionalistischer, bodenständiger als norddeutsche Gegenden. Hier kann man noch ungestört in Lederhosen gehen, ohne blöd angepöbelt zu werden." Ein großer Traum der Kubes wäre, einen größeren Hof mit etwas Land mieten oder pachten zu können, eventuell im Rahmen einer Gemeinschaft mit anderen Familien - an einen Kauf wagen sie nicht zu denken, dazu fehlt das Geld.

"Wer so viele Kinder hat, ist verantwortungslos"

Finanziell leiden die Kubes unter der Arbeitslosigkeit des Mannes, der gelernter Bäckergeselle ist. Susanne Kube, die sich­Óich ihrer Schulausbildung in London zur Hotelfachfrau ausbilden ließ, faßt den Teufelskreislauf der Arbeitslosigkeit schlagwortartig zusammen: ohne Arbeit kein Geld, ohne Geld kein Auto, ohne Auto keine Arbeitsstelle. Zu den neuen Kfz-Steuerplänen der Bundesregierung kann Susanne Kube nur resigniert den Kopf schütteln. Daß umweltfreundlichere Kraftfahrzeuge gefördert werden, ist zwar ein Anliegen, das die naturliebende Familie auf jeden Fall unterstützt - aber nicht, wenn Belange größerer Familien dabei völlig außer acht gelassen würden. In einen Drei-Liter-Auto von Smart-Format passen nun einmal besser Singles oder kinderlose Pärchen, aber keine achtköpfige Familie. "Wenn wir hin und wieder ein Auto hatten, dann waren das uralte VW-Busse." Natürlich wäre auch ein Leben ohne Auto vorstellbar - theoretisch zumindest. Die Mutter rechnet vor: "Allein die Busfahrt nach Landsberg kostet 4,10 Euro pro Person, Hin- und Rückweg. Abgesehen vom wochentäglichen Frühbus für Arbeiter und Angestellte fährt nur dreimal wöchentlich ein Bus. Arbeit in seinem Beruf zu finden, ist für Karsten schon daher schier unmöglich."

Das herablassende - und oft unausgesprochene, oft nur durch argwöhnisches Augenbrauenhochziehen verdeutlichte - Argument, wer Arbeit finden wolle, finde immer welche, kann Susanne Kube so recht zur Weißglut treiben: "Karsten hat bisher wirklich jede Arbeitsstelle angenommen, auch wenn es nur befristete Verträge waren. Er hat als Leiharbeiter und Altpapiersortierer gearbeitet, ist kilometerweit zu Busstrecken gelaufen, hat notgedrungen Wege per Anhalter zurückgelegt." Infam sei es dann, wenn der Ehemann sich nach beendetem Dreimonatsvertrag beim Arbeitsamt als hoffnungsloser Nichtsnutz behandeln lassen müsse.

Je mehr Kinder, desto schlimmer sei die Benachteiligung von arbeitsuchenden Familienvätern, berichten die Kubes aus leidvoller Erfahrung. "Können Sie sich vorstellen", fragt Karsten Kube, "daß man ins Gesicht gesagt bekommt, verantwortungslose Menschen könne man nicht gebrauchen - und wer so viele Kinder in die Welt setzt, handele verantwortungslos?"

Auch verquaste Ausreden wie diese sind den Kubes bekannt: Man könne keine hohen Löhne zahlen, und da die Familie folglich zusätzlich Sozialhilfe beanspruchen würde, wäre es doch besser, gleich jemanden einzustellen, der von dem Gehalt dann auch wirklich leben könne.

Den psychosozialen Sumpf des Nichtstunkönnens vieler Arbeitsloser kennen die Kubes freilich nicht, dafür sorgen neben den Kindern auch die vielfältigen Interessen der Familie. Es wird viel musiziert, gelesen, Vater Kube bäckt privat gern, und die Mutter profitiert von ihren vielfältigen handwerklichen Talenten: vom Mauern bis zum Schreinern, vom Schustern bis zum Schneidern - "eigentlich können wir alles selbst in die Hand nehmen". Ein familiäres Hobby nennen die Kubes "gelebte Geschichte": im Verband mit anderen Familien und Freunden zelten wie die Wikinger oder die Indianer, kochen am Lagerfeuer, alte Handwerkstechniken erlernen und anwenden und daneben "einfach für eine Weile die heutige Welt hinter sich lassen". Mit einem entsprechenden Internet-Versand ( www.white-bears-trading.de ) versucht die Familie nun, ein kleines Nebeneinkommen zu erzielen.

"Nein, geschenkt wird uns nichts, materiell jedenfalls ... ach je, dieser Staat und seine Familienpolitik, was könnte man da reden ... " Karsten Kube schüttelt den Kopf und unterbricht sich selbst mit einem Lachen. "Trotzdem, wir möchten mit keinem anderen tauschen." Das klingt ehrlich und nicht nach trotzigem Zweckoptimismus. Seine Frau ergänzt lächelnd: "Wir sind zwar immer pleite, aber reicher als die meisten Millionäre - oder?"

Foto: Karsten Kube mit fünf Kindern: "Unsere Kinder sollen lernen, daß jeder Mensch Verantwortung trägt"


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