© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/04 20. Februar 2004

Schlag ins Gesicht der Regierung
Kriminalität: Das Urteil im Kölner Schleuser-Prozeß rückt das Auswärtige Amt in die Nähe des organisierten Verbrechens / Opposition fordert Konsequenzen
Ronald Gläser

Am Landgericht Berlin wird noch immer munter verhandelt - in dem Prozeß gegen den Menschenhändler Borys B. Dem Ukrainer wird vorgeworfen, Mädchen aus Osteuropa nach Deutschland geholt zu haben, die er hier an Prominente "vermietet" haben soll. Sein prominentester Kunde soll Michel Friedman gewesen sein. Die nächste Verhandlung ist für Freitagvormittag angesetzt.

Seit 2002 ist es für Einwohner der Ukraine wieder schwieriger, ein Visum für Deutschland zu bekommen. Von März 2000 bis Juni 2002 konnten ukrainische Staatsbürger relativ einfach an eine Einreiseerlaubnis gelangen - dank des Auswärtigen Amtes. Dessen Konsularbeamte hatten Weisung, möglichst vielen Fremden die Einreise zu ermöglichen. Die Verlockung, mit einem Touristenvisum in Deutschland einzureisen, ist in einem Land groß, dessen Durchschnittslohn - zwar bei höherer Kaufkraft als im Westen - zwischen fünfzig und hundert Euro liegt. Mit Schwarzarbeit oder Prostitution lassen sich so auf die Schnelle für osteuropäische Verhältnisse astronomische Gehälter verdienen.

Der Erlaß Ludger Volmers schrieb Großzügigkeit vor

Deswegen haben die Angehörigen des diplomatischen Dienstes die "hinreichende Wahrscheinlichkeit der fehlenden Rückkehrbereitschaft" der Antragsteller zu ermitteln, wie es in bestem Beamtendeutsch heißt. Der Erlaß des damaligen Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, aus dem Jahr 2000 schrieb jedoch eine möglichst großzügige Auslegung vor. Ein hochrangiger Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Kiew, der nicht namentlich genannt werden möchte, bestätigt dies. "Die Vergabepraxis ist damals sehr locker gehandhabt worden", sagt er. Nirgendwo sei der Andrang so groß gewesen wie in der Botschaft in Kiew. Erleichtert wurde die Einreise insbesondere den Inhabern einer Reiseschutzversicherung der Reise-Schutz AG. Dieses Unternehmen kommt für ärztliche Versorgung und die Kosten einer eventuellen Abschiebung auf. Kostenpunkt: fünfzehn Tage für 30 Euro, neunzig Tage für 120 Euro.

Im Sommer 2001 gab es eine weitere Weisung an die deutschen Vertretungen in Osteuropa, diese Versicherungen der Reise-Schutz AG anstelle von Bürgschaften zu akzeptieren. Wörtlich sei von einem "vertrauenswürdigen deutschen Reiseunternehmen" die Rede gewesen, berichtete das TV-Magazin "Monitor" im August 2003.

Infolge der vereinfachten Einreisebestimmung schnellte die Zahl der ukrainischen Touristen in die Höhe. Lange Schlangen bildeten sich vor Botschaft in Kiew. Die Ablehnungsquote sank auf 3,6 Prozent. Allein 2001 reisten 300.000 Ukrainer in die Bundesrepublik ein. Im Mai 2002 wandte sich der Vize-Chef des BKA mit dem Hinweis auf strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die Reisebüros, die die Reiseschutz-Versicherungen vertrieben haben, an das Innenministerium.

Eigentlich ist die lockere Regelung seit Juni 2002 wieder außer Kraft gesetzt. Trotzdem ist der ganze Vorgang nach einem Gerichtsurteil jetzt wieder in den Schlagzeilen. Von der Großen Strafkammer des Landgerichts Köln wurde der ukrainische Schleuserbanden-Chef Anatoli Barg zu fünf Jahren Haft verurteilt. 567 Personen hat Barg nach Deutschland geschleust. Richter Ulrich Höppner hätte den Delinquenten nach Angaben des Spiegel eigentlich für acht bis neun Jahre hinter Gitter geschickt. Er mußte das Strafmaß jedoch senken, weil dem Ukrainer "durch schweres Fehlverhalten" Vorschub geleistet worden ist. Und zwar vom Außenministerium. Wörtlich sprach Höppner von einem "skandalösen Verhalten" im Auswärtigen Amt.

Das Ministerium konterte mit der Unterstellung, Richter Höppner reagiere mit "etwas überschäumender Sprache", weil ihm ein Job in einem Ministerium versagt worden sei. Für Höppner steht jedoch fest, daß "Protektion" oder gar "Korruption" im Spiel gewesen sei, als die Reise-Schutz AG von Amts wegen unterstützt wurde. Das ganze sei "ein kalter Putsch gegen die bestehende Gesetzeslage". Selbst Kontaktleute zu den tschetschenischen Terroristen, die Ende 2002 ein Moskauer Musicaltheater besetzt haben sollen, wären so 2002 legal in Deutschland eingereist.

Für die Union ist das Urteil im Kölner Schleuser-Prozeß "ein Schlag ins Gesicht für die Bundesregierung". In einer ersten Reaktion der außen- und innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagfraktion, Hartmut Ko-schyk und Friedbert Pflüger, sowie des Obmanns im Innenausschuß, Thomas Strobl, hieß es, Außenminister Joschka Fischer und Innenminister Otto Schily müßten "umgehend personelle sowie inhaltliche Konsequenzen ziehen". Insbesondere Schily sei gefragt, "der sich gerne als Garant der inneren Sicherheit präsentiert, jedoch gegen Massenschleusungen nicht eingeschritten ist", erklärten die CDU-Politiker.

Dringliche Fragen an die Bundesregierung zum Schleuser-Prozeß wurden den Unionsabgeordneten jedoch im Bundestag verwehrt. Parlamentspräsident Wolfgang Thierse (SPD) lehnte die Fragen mit der Begründung ab, es bestehe weder Dringlichkeit noch ein öffentliches Interesse.

Seit letztem Sommer ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen "Beihilfe zur Menschenschleusung". Egbert Bülles, Oberstaatsanwalt von Köln, gegenüber "Monitor": "Hier ist aber eigentlich erstmals ein Ermittlungskomplex ans Tageslicht gekommen, wo man quasi unter den Augen und mit Hilfe der Ministerien in größtem Stil Schleusungskriminalität durchgeführt hat." Gegen den Inhaber der Reiseschutz-AG, Heinz Kübler, steht die Anklageerhebung unmittelbar bevor. Richter Höppner bezeichnete den Mann - laut taz - als einen "unseriösen Geschäftsmann".

Am Montag legte Berlins Innensenator den Kriminalitätsbericht für 2003 vor. Danach sank die Schleuserkriminalität in Berlin um 488 Fälle. Das entspricht einem Rückgang von 41,5 Prozent. Es bleibt zu hoffen, daß die Machenschaften von Schleuserbanden wie der des Borys B. nicht nur deshalb zurückgehen, weil der Rechtsstaat nicht mehr durchgesetzt wird.


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