© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/04 20. Februar 2004

Hans-Peter Martin
Allein gegen alle
von Ronald Gläser

"Virtus post nummos", sagte der römische Dichter Horaz. Tugend kommt nach den Talern! Diese Weisheit gilt auch heute noch. Hans-Peter Martin kann ein Lied davon singen.

Der Parteilose war 1999 Spitzenkandidat der SPÖ bei der Europawahl. Doch das EU-Establishment hat den Publizisten und ehemaligen Spiegel-Journalisten jetzt verstoßen. Sein Fehler: das Vertrauen der Bürger nicht mißbraucht zu haben.

Der 1957 in Bregenz geborene Bestseller-Autor ("Die Globalisierungsfalle") tat schon bei seinem Mandatsantritt kund, ein "gläserner Abgeordneter" werden zu wollen. Doch die Genossen von der SPÖ hatten seine Ankündigung, Licht in das Schattenreich von Spesen und Diäten bringen zu wollen, wohl nicht ganz ernst genommen.

Von Anfang an war der Rechts- und Politikwissenschaftler ein Außenseiter in der sozialdemokratischen Europafraktion. Manche munkeln, der gescheiterte Versuch, SPÖ-Delegationschef zu werden, habe ihn eigentlich erst so richtig bewogen, die Verschwendungssucht seiner Kollegen - zunächst intern, dann öffentlich - zu brandmarken. Was auch immer Martin bewogen haben mag, Tatsache ist, daß zum Beispiel ein griechischer EU-Abgeordneter 1.400 Euro pro Flug von Athen nach Straßburg erhält - auch wenn er einen Billigflieger genommen hat. Die verhältnismäßig schlecht bezahlten Südeuropäer lebten gar regelrecht von ihren Reisekostenabrechnungen. So kann ein EU-Politiker 40.000 Euro im Jahr steuerfrei einstreichen - nur indem er zur Arbeit fliegt! Eine andere Möglichkeit ist, Entschädigungen auch für Sitzungen zu kassieren, die abgesagt worden sind. Pro Sitzung geht es immerhin um ansehnliche 262 Euro!

Als Martin versuchte, die SPD-Europa-Parlamentarierin Rosemarie Müller durch "physische und psychische Bedrohung" (Müller) am Eintrag in die Teilnehmerliste einer angeblich bereits abgesagten Sitzung zu hindern, reagierte die Fraktionsführung am Mittwoch letzter Woche mit dem Ausschlußbeschluß. Martin habe "Terrormethoden" angewandt und seine Kollegen "bespitzelt". Der Verstoßene spricht dagegen von "Diffamierungstaktik", einem "Kesseltreiben" gegen ihn, und weist auch den Vorwurf zurück, es ginge ihm nur darum Material, für ein Skandalbuch zu sammeln. - Immerhin, 1988 hatte Martin zu beweisen versucht, daß Kurt Waldheim für Kriegsverbrechen verantwortlich gewesen sei - mit Beweismitteln, die sich schließlich als falsch herausstellten.

Pikant ist zudem, daß laut Focus auch der Abgeordnete Martin Schulz - im Sommer als moralischer Streiter gegen Silvio Berlusconi bekannt geworden - im Fadenkreuz der Kritik steht und inzwischen sogar von eigenen Kollegen als "zutiefst unehrlich" (Michiel van Hulten) qualifiziert wird.

Im Fall Martin sieht es so aus, als habe die SPÖ 1999 kurzsichtig gehandelt. Sie hatte offenbar darauf gebaut, daß ein Gleichgesinnter offensichtliches Fehlverhalten toleriert, nur weil auch er ein Linker ist.


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