© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/04 20. Februar 2004

Zahlmeister Deutschland
In der Umverteilungsfalle: Die EU-Kommission bittet zur Kasse
Alexander Griesbach

Spätestens seit letzter Woche ist aus den "Scharmützeln" um die EU-Finanzplanung für die Zeit nach 2006 eine erste heiße Schlacht geworden. Da angesichts der bevorstehenden Osterweiterung der EU das Wohlstandsgefälle zwischen den einzelnen Regionen erheblich zunehmen wird, fordert die EU-Kommission für den EU-Haushalt der Jahre 2007 bis 2013 eine deutliche Aufstockung der Mittel für die Struktur- und Kohäsionspolitik.

Die Obergrenze, die von den Mitgliedstaaten für die Ausgaben vereinbart wurde, liegt bei 1,24 Prozent der Wirtschaftsleistung (Bruttonationaleinkommen). Hauptnutznießer der Brüsseler Umverteilungsmaschinerie ist derzeit Spanien, das von Brüssel allein im Jahre 2002 8,9 Milliarden Euro mehr erhielt, als es eingezahlt hat.

Derzeit leben rund 18 Prozent der EU-Bevölkerung in insgesamt 48 Regionen, deren Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf unter 75 Prozent des EU-Durchschnittes liegt und die damit als "Ziel-1-Gebiete" Anspruch auf das Gros der Subventionen aus den EU-Strukturfonds haben. In der bald auf 25 Mitglieder erweiterten Union werden hingegen 67 Regionen mit 116 Millionen Einwohnern oder 26 Prozent der Bevölkerung unter der 75-Prozent-Schwelle liegen, darunter mit wenigen Ausnahmen sämtliche Regionen der zehn neuen EU-Beitrittsländer, aber nur noch 30 Regionen aus den bisherigen 15 Mitgliedstaaten. Weil durch die Erweiterung das durchschnittliche BIP pro Kopf der EU sinken wird, werden die bisherigen ärmsten Regionen vergleichsweise reicher, obwohl sich ihr Wohlstand nicht verändert. Bei der für 2007 ins Auge gefaßten Erweiterung um Bulgarien und Rumänien werden sich diese Effekte noch einmal verstärken. Schon jetzt ist klar, daß die mitteldeutschen Bundesländer durch den Beitritt noch ärmerer Regionen Fördermittel verlieren werden. Damit wird der Nettobeitrag, den Deutschland in die EU-Kasse zu zahlen hat, weiter steigen.

Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hat angesichts der desolaten Lage, in der sich die öffentlichen Haushalte in Deutschland befinden, bereits signalisiert, daß höhere Belastungen nicht akzeptabel seien. Deutschland zahlt bereits jetzt jährlich 22 Milliarden Euro brutto an Brüssel. Verläßliche Zahlen darüber, wie hoch der Nettobeitrag Deutschlands an die EU ausfällt, gibt es nach wie vor nicht. Er dürfte aber bei mindestens der Hälfte des deutschen Bruttobeitrages liegen. Wohl wissend, was eine Fortschreibung der Ausgabenentwicklung der alten EU-15 in einer erweiterten Union für Deutschland bedeuten würde, hat Eichel gefordert, den EU-Finanzrahmen auf ein Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) zu begrenzen. Schon das Ausschöpfen dieser Marke hätte aus deutscher Sicht gravierende Konsequenzen, stiege doch auch dann der deutsche Beitrag bis zum Jahre 2013 auf sage und schreibe 33 Milliarden Euro brutto jährlich an. Woher Deutschland die Mittel für diesen neuerlichen Beitragsanstieg nehmen soll, ist nicht erkennbar.

Daß sich die EU dazu aufraffen könnte, die Struktur-, Kohäsions- und Agrarfonds, auf die etwa 80 Prozent der EU-Ausgaben entfallen, herunterzufahren, scheint ausgeschlossen. Die Intransigenz, die in dieser Frage bisher Empfängerstaaten wie Spanien oder Frankreich an den Tag gelegt haben, läßt vermuten, daß diese Staaten ihre Interessen unnachgiebig verteidigen werden. Bliebe aber der Finanzsaldo Deutschlands gegenüber den alten Mitgliedsländern der EU-15 konstant, stiege nach den Berechnungen des Osteuropa-Instituts München der deutsche Nettobeitrag bis 2013 in einer erweiterten Union auf ca. 19 Milliarden Euro. Diese Zahlen könnten noch einmal nach oben schnellen, wenn die Türkei EU-Mitglied werden sollte, wie es Außenminister Joschka Fischer fordert.

EU-Experten sind sich einig, daß die deutsche Forderung nach einer Haushaltsdeckelung vor diesem Hintergrund unrealistisch ist. Mit dem derzeitigen Finanzvolumen von knapp einem Prozent des BNE der Mitgliedstaaten seien nicht einmal die bisherigen Aufgaben im erweiterten Kreis der 25 Mitglieder zu bewältigen, lautet die Argumentation. Neue Ziele wie die Ankurbelung der Wirtschaft, die Schaffung von Arbeitsplätzen oder eine verbesserte außenpolitische Präsenz erforderten deutlich mehr Mittel.

Deshalb schlug die EU-Kommission zunächst vor, die erlaubten 1,24 Prozent des BNE voll auszuschöpfen. Im Jahr 2013 wären dann 154 Milliarden Euro im Topf, also ca. 50 Milliarden Euro mehr als zum heutigen Zeitpunkt. Nach Protesten von EU-Nettozahlern, darunter Deutschland, hat die Kommission vergangene Woche einen Kompromißvorschlag unterbreitet. Demnach sollen die Staaten Beiträge bis zu einer Obergrenze von durchschnittlich 1,14 Prozent ihres BNE in die EU-Kasse zahlen. Eichel beharrt jedoch weiterhin darauf, das EU-Budget wie bisher auf ein Prozent der gemeinsamen Wirtschaftsleistung zu begrenzen. Daraufhin drohte die deutsche EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer (B'90/Die Grünen): "Wenn wir die EU-Ausgaben auf durchschnittlich ein Prozent der gemeinsamen Wirtschaftsleistung begrenzen, könnte Ostdeutschland ab 2007 keine Strukturfonds-Mittel mehr bekommen." Den hier durchscheinenden Versuch der Nötigung versuchte Schreyer mit einem Kompromißvorschlag der Kommission "sozialverträglicher" zu gestalten. Die Kommissarin bot einen "allgemeinen Korrekturmechanismus" gegen unverhältnismäßig hohe Netto-Beitragszahlungen an. Die Staaten müßten austarieren, ab wann der Korrekturmechanismus greifen solle.

Es bedarf keiner großen Prophetie, um festzustellen, daß die EU direkt auf ein beispielloses Gehaue und Gesteche um die Verteilung der EU-Gelder zusteuert. Ursächlich verantwortlich für diese immer wieder neu aufbrechenden Verteilungskämpfe ist der Maastrichter Vertrag, der eine "europäische Lawine von Ansprüchen und Transferleistungen" (Bruno Bandulet) produziert hat. Dieses Abkommen hat zum erstenmal das Prinzip der innereuropäischen Umverteilung vertraglich fixiert und damit Begehrlichkeiten geweckt, die inzwischen längst nicht mehr finanzierbar sind. Dies gilt erst recht für eine erweiterte Union.

Obwohl in der Bundesrepublik die Grenzen der finanziellen Belastbarkeit überschritten sind, soll den Deutschen für den "Bau des europäischen Hauses" in Zukunft noch mehr Geld abgepreßt werden. Sollte sich Brüssel auch nur annähernd mit seinen Forderungen durchsetzen, droht das finanziell ausgeblutete Deutschland endgültig zum "kranken Mann" Europas zu werden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dies das eigentliche Ziel der "Architekten des Maastrichter Vertrages" gewesen ist.


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