© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/04 13. Februar 2004

Pankraz,
der Eselsschrei und das Ende der Sicherheit

Allmählich kommen wir in eine neue Lage. Diffuse Drohungen schweben über unserem Alltag, durch die Medien ungeheuer verstärkt und ins letzte Haus getragen: Terrordrohungen, Seuchendrohungen, Reformdrohungen. Flüge werden storniert oder umgeleitet, Schutzimpfungen empfohlen, von denen niemand weiß, ob sie gegen den annoncierten Virus auch wirklich helfen, die wirre Reformhuberei der Herrschenden macht das Leben zusätzlich unsicher. Niemand weiß mehr, was mit ihm morgen sein wird, ob er bis dahin nicht schon irgendwie in die Luft geflogen ist, sich einen tödlichen Infekt eingefangen oder zumindest Job und Ersparnisse verloren hat.

"Das Ende aller Sicherheit", hieß vor fast fünfzig Jahren ein berühmtes Buch von Winfried Martini, geschrieben in einer Zeit, da man gerade begann, sich gegen alles und jedes dauerhaft und chancenreich zu "ver"-sichern. Heute nun ist das Ende aller Sicherheit tatsächlich gekommen. Selbst Renten, für die man jahrzehntelang eingezahlt hat, lösen sich in Luft auf, die Versicherer selbst gehen pleite und kürzen ihren Kunden kurz vorher noch drastisch die Auszahlungssätze.

Der größte Versicherer der Neuzeit, nämlich der Staat, geht mit schlechtem Beispiel voran. Einst nahm er den Einzelnen ihre Degen und andere Mittel der Selbstverteidigung weg, beanspruchte das "Gewaltmonopol" und versprach dafür Sicherheit "an Leib und Leben". Aber auch damit ist es vorbei. Die Kriminalität steigt allerorten, immer mehr Stadtviertel werden zu staatsfreien Zonen, wo ungeniert das alte Recht des Stärkeren herrscht und mafiose Cliquen aus osteuropäischen "Beitrittsländern" oder aus dem Maghreb die Macht übernommen haben.

Ein Ende des Schreckens ist nicht in Sicht, alle Zukunftsforscher sagen, daß es sogar noch schlimmer kommen wird. Speziell die Anonymität der diversen Drohungen soll sich verstärken, so daß man sich immer schwerer gegen sie wird wehren können. Gegen einen erkannten, klar identifizierbaren Feind kann man sich wehren, nicht aber gegen Gewalten, die grundsätzlich aus dem "Off" operieren, nicht gegen unerklärte Kriege und nicht gegen Viren, die sich voll auf die Anfälligkeit moderner Massenverhältnisse eingestellt haben, über Nacht ihre genetische Struktur ändern und gegenüber herkömmlichen Abwehrstoffen resistent werden.

Die neue Lage besteht also darin, daß grund sätzlich nicht mehr diese oder jene Einzel-Drohung ins Haus steht, sondern "die Drohung an sich". Dieser kann man nur noch sehr partiell mit konkreten, aktuell definierbaren Maßnahmen und Vorkehrungen begegnen, vielmehr wird ein gründlicher Mentalitätswandel fällig, eine geistige Umrüstung, die tief in jedes einzelne Bewußtsein einschneidet und à la longue zu ganz neuartigen sozialen Verhaltensweisen und Überzeugungen führen wird.

Voraussagbar sind zwei Entwicklungsstränge, die sich scheinbar gegenseitig ausschließen, in Wirklichkeit aber vielfach überkreuzen und zu mannigfachen Legierungen führen. Zunächst wird eine gewisse Abstumpfung gegen den ewigen Alarmismus der Geheimdienste und der Medien stattfinden, ein fast muslimisch anmutendes Kismet-Denken, etwa mit Sprüchen wie: "Was soll die ganze Aufregung? Meistens ist doch nichts dahinter, und ich habe mich ganz umsonst geängstigt und meine Pläne völlig unnötigerweise umgeschmissen. Und wenn wirklich etwas dran ist und ich in den Schlamassel hineingerate - nun, dann sei's drum. Man kann ja nichts dagegen machen, wir stehen alle in Gottes Hand."

Herkömmliche Volksweisheiten oder kernige Sentenzen aus Fürstenspiegeln über Verhalten unter Bedrohung werden darüber zuschanden oder nehmen unbeabsichtigte Einfärbungen an. "Drohlärm ist Eselsgeschrei", lautete einst der Wappenspruch des gewaltigen, höchst aufgeklärten und aktiven Staufenkaisers Friedrich II., und gemeint war damit: "Wir lassen uns nicht bedrohen, wir werden in der Bedrohtheit nur stärker." Das "stärker" dürfte sich unterm Eindruck der aktuell-diffusen Drohkulisse bald in ein "schwächer" verwandeln, statt Aufreizung zur Aktivität dürfte das Eselsgeschrei bald nur noch resignierte Passivität bewirken.

Jedoch, wo Gefahr ist, wächst auch das Rettende. Die neue Lage muß keineswegs nur Kismetgläubige hervorbringen, sie kann auch zum Quellgrund neuer Tapferkeit und Entschlossenheit, ja, sogar Verwegenheit und Risikobereitschaft werden. Wer alles zu verlieren hat, und zwar von einem Augenblick auf den anderen, der hat faktisch nichts mehr zu verlieren, das heißt er kann nur noch gewinnen, wenn er nur mutig ist und das Risiko nicht scheut. Ihm winken eine Menge Erfolgserlebnisse: die Genugtuung etwa, einer mörderischen Gefahr um Haaresbreite entkommen zu sein oder zusammen mit Freunden in der Bürgerwehr die Ambitionen eines Mafiabosses energisch durchkreuzt zu haben.

Für Aktivitas ist auch unterm Zeichen des Endes aller Sicherheit Platz. Ein neuer, durchaus erfreulicher Typ von Bürger könnte entstehen, einer, der die Sicherheit für sich und die Seinen nicht mehr kleinmütig und beflissen in alle Richtungen delegiert, an den Staat, an die Allianz, an die Deutsche Bank usw., sondern der sich darüber klar ist, daß Sicherheit im Leben in erster Linie eine Sicherheit des Willens und der Seele ist und man sich niemals nur auf andere verlassen darf.

Höchst wünschenswert bleibt natürlich, daß der internationale Terrorismus lahmgelegt, die Seuchen eingedämmt, die Reformitis der Politiker in ein realistisches und vor allem professionelles Reformstreben verwandelt wird. Andererseits wäre es für die Volksgesundheit nicht unbedingt schlecht, wenn ein Rest von "Drohung an sich" im Bewußtsein der Bürger erhalten bliebe. Es muß ja nicht unbedingt Eselsgeschrei sein, das unentwegt Alarm schlägt. Es gibt schließlich auch Hundegebell und kapitolinisches Gänsegeschnatter.


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