© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/04 13. Februar 2004

BLICK NACH OSTEN
Der einzige alt-österreichische Ball
Carl Gustaf Ströhm

Der pensionierte österreichische Botschafter begegnet mir auf den Fluren des kleinen k.u.k.-Hotels, das letztes Wochenende vorwiegend Gäste aus Wien und der Steiermark beherbergt. "Dies ist der einzige unverfälscht alt-österreichische Ball auf dem Boden der gesamten alten Monarchie. Deshalb muß ich ihn jedes Jahr besuchen - solange mich meine Füße tragen."

Wir befinden uns in der kroatischen Stadt Varazdin, die wegen ihrer barocken Bauten mehr Aufmerksamkeit verdiente. Der Ball findet nun schon zum zehnten Male im alten Stadttheater statt. Die Varazdiner Bürgergarde tritt in ihren malerischen Uniformen auf und salutiert zum Radetzky-Marsch. Das Varazdiner Kammerorchester spielt Wiener Walzer, Ballettsolisten aus Split treten auf - und bei der Eröffnung erklingen die österreichische und die kroatische Nationalhymne. Die Bürgermeister von Varazdin und dem österreichischen Bad Rackersburg besiegeln feierlich die Städtepartnerschaft.

Doch was veranlaßt so viele Kroaten (und nicht wenige Österreicher), ausgerechnet in diesem halbvergessenen Städtchen das Tanzbein zu schwingen? Gewiß ist es Nostalgie: Die erst 1991 aus der kommunistischen Finsternis entlassenen Kroaten sehnen sich fast instinktiv nach den alten Formen - nach dem, was man einst als die Schönheit des Lebens bezeichnete und was im Grau der Massengesellschaft untergegangen ist. Und die vom Schicksal weitaus verwöhnteren Österreicher? Auch sie spüren vielleicht, daß die untergegangene Habsburger-Monarchie weitaus mehr war als ein Kleinstaat.

Gewiß beruht die Kenntnis (oder Unkenntnis) über die Stadt auch auf einem Mißverständnis. "Komm' mit nach Varazdin - dort ist die ganze Welt noch rot-weiß-grün", heißt es in Emmerich Kálmáns Operette "Gräfin Mariza". Aber Varazdin war niemals ethnisch "rot-weiß-grün" (ungarisch), sondern immer kroatisch. Allerdings war Kroatien ab 1527 habsburgisch und seit 1867 Teil des ungarischen Königreiches. Wer möchte sich heute noch in solchen Verhältnissen auskennen?

In der Barockzeit, als Kaiserin Maria Theresia in Wien regierte, war Varazdin sogar Hauptstadt Kroatiens - und eine damals uneinnehmbare Burg kündet von der osmanischen Gefahr. Ähnlich wie Preßburg verwandelte sich auch Varazdin in ein provinzielles, aber doch unverwechselbares Wien. Während wenige Kilometer weiter östlich "die Völker aufeinanderschlugen" (Goethes Faust), entwickelte sich - in der Sichtweise des gefürchteten Feindes der Christenheit und des Westens - eine nicht nur militärische, sondern auch geistig-kulturelle westlich-katholische Bastion.

So wurde Varazdin auch zur Wiege der kroatischen Nationalidee im 19. Jahrhundert, als die kleine Stadt im Nordosten längst durch das aufstrebende Agram (Zagreb) entthront worden war. Bei der Rückkehr fragt mich der Zöllner am kleinen kroatisch-slowenischen Grenzübergang fast ungläubig: "Warum fahren Sie bei uns durch? Es gibt doch so viel modernere Übergänge weiter im Süden." Als ich antworte, wir hätten am Galaball der Stadt Varazdin teilgenommen, sagt der Zöllner: "Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen, und die Unsrigen (die Kroaten) haben sich von ihrer besten Seite gezeigt." Jetzt wäre es an der Zeit, daß die anderen (er meinte die Österreicher und die "Westler" überhaupt) reagieren und antworten. "Aber ich fürchte, sie interessieren sich nicht wirklich für uns." Vielleicht ist das die wahre Tragödie Europas.


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