© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/04 13. Februar 2004

Gerhard Schröder
Es fehlt das Vertrauen
Doris Neujahr

Es klingt nach Ironie, über die der Kanzler in besseren Tagen bestimmt herzlich gelacht hätte: Ausgerechnet Kommunikations- und Vermittlungsprobleme sollen es sein, die Gerhard Schröder zum Verzicht auf den SPD-Parteivorsitz veranlaßt haben. Wenn Schröder aber über eine Fähigkeit verfügt, dann ist es seine Medienkompetenz, die gepaart ist mit Machtinstinkt und der nötigen Ruppigkeit, um sich Rivalen gegenüber Respekt zu verschaffen. Nun hat er einräumen müssen, daß diese Eigenschaften auf Dauer nicht ausreichen, um eine Partei und ein Land zu führen. Politische Führung ist nun mal keine Tautologie des Machterhalts, sondern die Umsetzung fundierter Ideen über das Zusammenleben und die Zukunft des Demos.

Schröder hat seinen Verzicht auf Visionen stets als Pragmatismus angepriesen. Politische Visionen sind aber, anders als er meint, keine utopischen Hirngespinste, sondern die Erkenntnissumme aus den analytischen und antizipatorischen Fähigkeiten eines Politikers, die den engen Zeithorizont, den die nächsten Kommunal-, Landtags- und Europawahlen setzen, überschreitet. Wenn er diese Erkenntnissumme durch Mediencharisma vermittelt und durch pragmatische Fähigkeiten beglaubigt, dann entsteht Vertrauen, dann sind Wähler und Parteimitglieder bereit, ihm zu folgen. Heute fehlt dieses Vertrauen! Es ist nicht nur der handwerkliche Pfusch einzelner "Reformgesetze". Die Bürger spüren, daß diesem Flickwerk keinerlei Konzept zugrunde liegt. Und weil "die da oben" selber nicht weiterwissen, greifen Unsicherheit und Angst um sich. In diesem Zustand klammert jeder sich an das, was er gerade hat.

Die SPD prügelt ihren Kanzler aus dem falschen Grund. Denn Schröder hat zumindest begriffen, daß er und das Land sich bewegen müssen, wenn Deutschland nicht gänzlich verrotten soll. Die SPD hält nicht nur die eingeschlagene Richtung für falsch, sie stört, daß Schröder sich überhaupt auf den Weg macht. Die Forderung nach "Gerechtigkeit" - wer will die nicht? - ist der fromme Wunsch, in den Wärmestuben der siebziger Jahre zu verharren. Doch dort herrschen ebenfalls Frostgrade, und die Reserven im Kohlekeller sind längst verheizt.

Natürlich ist diese Bundesregierung reif zur Ablösung, das war sie fast immer, aber ablösungsreif ist auch die Opposition. Denn über einen Generalplan, der über das Soziale und Ökonomische hinaus einen gesellschafts- und staatspolitischen Entwurf enthält, verfügt sie genausowenig. Und an diesem Punkt wird es dramatisch. Wenn die Menschen erkennen, daß ein Regierungswechsel nichts mehr nützt, ob mit oder ohne Neuwahlen, und die bestehende Parteienauswahl überhaupt keine Alternative zur allgemeinen Agonie mehr bietet, was dann? Dann sind die Bürger aufgefordert, die politische Klasse zu verabschieden, sich die Entscheidungsgewalt zurückzuholen und an eine neue Elite zu delegieren. Die Frage ist, ob diese vitale Bürgerschaft in Deutschland existiert.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen