© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/04 06. Februar 2004

Entsorgung der Alten und Schwachen
Lebensrecht: Die CDU-nahe Vereinigung Christdemokraten für das Leben veranstaltete in Berlin ein Symposium "Sterben in Würde"
Ronald Gläser (mit idea)

Seit der Legalisierung der Sterbehilfe in den Niederlanden vor knapp zwei Jahren werden jährlich etwa 1.000 Menschen von Ärzten getötet, ohne daß sie zuvor ihre Einwilligung gegeben haben. Das berichtete Henk Jochemsen, Direktor des Instituts für medizinische Ethik im holländischen Ede, auf einer Tagung der CDU-nahen Vereinigung Christdemokraten für das Leben (CDL) und der Konrad-Adenauer-Stiftung vorigen Donnerstag in Berlin. Das diesjährige Symposium der CDL befaßte sich mit dem Thema "Sterben in Würde".

Vor gut 150 Gästen im Berliner Tagungszentrum der Adenauer-Stiftung trat als erster von neun Referenten Manfred Spieker ans Pult. In den Niederlanden, erklärte der Professor für christliche Sozialwissenschaften an der Universität Osnabrück, sei "die Tabuisierung zu Ende", per Gesetz werde der Arzt "zum Wohltäter", der den schmerzfreien Tod ermögliche. Doch den Nutzen solcher Tabus, so Spieker, erkenne man erst dann, wenn sie gebrochen werden. So habe sich in den Niederlanden schnell eingebürgert, was Kritiker zuvor stets befürchtet haben. In den Fällen von Euthanasie halten sich immer weniger Ärzte an die Vorschriften des Gesetzes. Mehr als die Hälfte der Fälle von Euthanasie erfolge ohne Konsultation des Patienten. Und auch der geforderte zweite Arzt werde in 25 bis 50 Prozent der Fälle nicht hinzugezogen. Vermutlich würden dreißig Prozent der Fälle überhaupt nicht gemeldet. Nach Ansicht Spiekers berge jede Form der Sterbehilfe die Gefahr, daß man schwerkranke Patienten als Objekte ansehe, die nur Kosten und Mühen verursachten. Sterbehilfe bezeichnete er als ein "Instrument zur Entsorgung der Leidenden".

In den Niederlande kommt es immer öfter zum Mißbrauch

Jochemsen wies darauf hin, daß in 15 bis 20 Prozent der Euthanasiefälle Behandlungen möglich gewesen wären. Besorgniserregend sei, daß in jedem dritten Fall Patienten um Sterbehilfe baten, weil sie ihrer Familie nicht weiter zu Last fallen oder in Abhängigkeit von anderen leben wollten. Leidende werden zum Objekt der Gesellschaft gemacht und quasi willenlos dem Tod übergeben: Eine Gesellschaft entsorgt ihre Alten und Schwachen.

Auch in Deutschland ist die Zahl der Sterbehilfe-Befürworter alarmierend hoch: 85 Prozent der FDP-Wähler, 83 der Grünen-Wähler, 78 Prozent der SPD-Wähler, 77 Prozent der CDU-Wähler und 74 Prozent der PDS-Wähler. Als Alternative zur "Todesspirale" der Euthanasie verweisen die CDL auf die Möglichkeiten der Schmerztherapie.

Der rheinland-pfälzische CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende Christoph Böhr sprach zum Thema "Menschenwürde und Sterbehilfe". Böhr nannte die Folgen der Euthanasie "verheerend": Die Grenze liege dort, "wo der Tod willentlich und beschleunigt herbeigeführt wird. Sie sollte nicht überschritten werden". Er plädierte dafür, die Schmerzmedizin in Deutschland auszubauen, statt Sterbehilfe zu erwägen. "Die Palliativmedizin darf in Krankenhäusern und Kliniken nicht länger das fünfte Rad am Wagen sein", sagte der Oppositionspolitiker. Böhr stellte die rhetorische Frage, die auch beim Kopftuchstreit gelten müsse: "Was ist der Maßstab?" Daß nur das Christentum hierzulande der Maßstab sein kann, legte Böhr nur nahe, ohne es direkt auszusprechen.

Nur ein Fraktionsmitglied der Union sei für Sterbehilfe

Im Pressegespräch erläuterte der Jurist Rainer Beckmann, wie es in den Niederlanden so weit kommen konnte. Zunächst sei aktive Sterbehilfe jahrelang geduldet worden. Dort herrsche nämlich mit dem Opportunitätsprinzip ein völlig anderes Rechtssystem als etwa in Deutschland: Die staatliche Justiz muß Verbrechen nicht verfolgen, sie kann selbst darüber entscheiden. In Deutschland gilt dagegen das Legalitätsprinzip, das die Staatsanwaltschaft verpflichtet, gegen Ärzte vorzugehen, die leidende Patienten töten. So uferte die Sterbehilfe bei unserem westlichen Nachbarn immer mehr aus, bis man sich "daran gewöhnt" hatte. Seit dem 1. April 2002 sind in den Niederlanden die aktive Sterbehilfe sowie die "Beihilfe zur Selbsttötung" durch einen Arzt gestattet. Voraussetzung ist, daß der Patient an schweren, nicht heilbaren Schmerzen leidet, aus freiem Willen um Sterbehilfe bittet, ein zweiter Arzt die Diagnose bestätigt und die erfolgte Sterbehilfe umgehend den Behörden gemeldet wird. Diese Bedingungen werden nach Jochemsen jedoch häufig umgangen.

Die Christdemokraten für das Leben sind fest entschlossen, sich vergleichbaren Entwicklungen in Deutschland zu widersetzen. Wie groß aber ist der Einfluß der CDL auf die Union? Neben Christoph Böhr fanden sich auf der Gästeliste der Tagung etliche CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete. Einer der Abgeordneten teilte im Pressegespräch mit, daß nur ein einziges Mitglied der Fraktion für Sterbehilfe sei. Doch die Akzeptanz für Sterbehilfe nehme immer weiter zu, warnt der stellvertretende CDL-Vorsitzende Hubert hüppe, der für die Union im Bundestag sitzt. Und dahinter spürt man regelrecht die Angst, daß die Union diese Haltung irgendwann ebenfalls dem Zeitgeist opfern könnte.


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