© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/04 06. Februar 2004

Opfer zweiter Klasse
Rot-Grün lehnt im Bundestag 3. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz ab
Werner H. Krause

Wieder einmal müssen sich die pferverbände der ehemaligen politischen Häftlinge der Ex-DDR eingestehen, daß sie ihre Namenskennzeichnung in einer Weise zu Recht tragen, deren Aktualität durch die Gegenwart bezeugt wird. Die Gefangenen des SED-Regimes waren Opfer und sind es weiterhin geblieben - bis zum heutigen Tag, wie die Bundestagsdebatte vom 29. Januar erneut bestätigte. Mit der Mehrheit der Regierungskoalition von Sozialdemokraten und Bündnisgrünen wurde der von der FDP unterstützte CDU/CSU-Antrag, den ehemaligen Häftlingen eine Opferrente zu gewähren, ein weiteres Mal abgelehnt.

Dabei gab es im Vorfeld dieser Debatte einige hoffnungsvolle Zeichen, welche die Opferverbände bereits in dem Glauben wiegten, daß sie diesmal mit einer Zustimmung der Parlamentarier rechnen könnten. Doch nichts ist trügerischer als solche politischen Absichtserklärungen von Parteien. Bündnis 90/Die Grünen hatten auf ihrem Dresdener Parteitag im November des zurückliegenden Jahres Töne angeschlagen, die zu signalisieren schienen, daß auch sie jetzt erkannt hatten, wie unbefriedigend die Situation der Opfer war und welch dringender Handlungsbedarf bestand. Nicht länger sollte mehr das böse Wort von den besser gestellten Tätern die Runde machen.

Doch in der Bundestagsdebatte mußte sich die Sprecherin dieser Partei, Silke Stokar, sagen lassen, daß es außer vollmündigen Ankündigungen zu keiner konkreten Tat gekommen sei.

Erinnert werden sollte auch in diesem Zusammenhang an die Rede des scheidenden Bundespräsidenten Johannes Rau, welcher auf der Gedenkveranstaltung zum 17. Juni unter dem starken Beifall aller Abgeordneten im Bundestag erklärt hatte: "Die Opfer von Unterdrückung und Willkür mit einer Ehrenpension zu ehren, sollte für uns ein lösbares Problem und eine gemeinsame Verpflichtung sein."

Doch dies ist offensichtlich schon wieder Schnee von gestern. Bekanntlich hatte auch der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl während einer Besichtigung des "Gelben Elends", der schlimmsten DDR-Haftanstalt in Bautzen, einige Jahre nach der Wende ähnliches verlauten lassen. Die gesamte Gesellschaft habe die Pflicht, so hieß es seinerzeit, etwas zu tun, damit die Opfer kommunistischer Gewalt künftig ein Leben in Würde und in ausreichender materieller Sicherheit führen könnten.

Längst vergessen, selbst in der CDU verdrängt. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz, der sich seit Jahren mit großem Engagement für die SED-Opfer einsetzt, sah sich jetzt im Bundestag mit der Frage konfrontiert, warum seine Partei bis zum Jahre 1998 die Zeit habe tatenlos verstreichen lassen. Vaatz war ehrlich genug einzuräumen: "Daß ganze war zuerst eine Fehlleistung von uns in unserer Regierungszeit gewesen."

Es fällt auf, daß diesmal kaum eine deutsche Tageszeitung der Bundestagsdebatte mehr als eine kurze Meldung widmete. Wie lästig scheint mittlerweile das Schicksal der SED-Opfer hierzulande empfunden zu werden!

Was sollte eigentlich mit dem Gesetzesentwurf bewirkt werden? Es gibt derzeit noch etwa 150.000 ehemalige politische Häftlinge, für welche durch eine Opferrente eine bislang bestehende Gerechtigkeitslücke endlich ihre Beseitigung fände. Die Gewährung einer solchen Rente würde den Fiskus jährlich mit etwa 189 Millionen Euro belasten. Für Häftlinge, die zu Unrecht einen Freiheitsentzug bis zu zwei Jahren ertragen mußten, wäre eine monatliche Rente von 150 Euro vorgesehen. Bei einer Haftzeit bis zu fünf Jahren würde sich dies auf 300 Euro erhöhen, darüber hinaus sollten es dann 400 Euro sein.

Nicht einmal mehr erwähnt wurde im Bundestag daß das im vergangenen Jahr vom Berliner Oberverwaltungsgericht der Bundesrepublik zugesprochene SED-Vermögen in Höhe von 255 Millionen Euro einen ersten Grundstock zur Einführung einer Opferrente hätte abgeben können. Seinerzeit sprachen sich hierfür Politiker aller Couleur aus. Inzwischen scheint auch dies schon wieder in Vergessenheit geraten zu sein.

Die Argumentation der Bundesregierung, mit welcher sie der Opferrente eine Absage erteilte, enthielt keineswegs den Hinweis auf die mißliche Lage des Staates. Franz Thönnes, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherheit, führte die Entschädigungsgesetzgebung für die Verfolgung von Menschen unter der Nazigewaltherrschaft ins Feld. Sie sehe keine rentenrechtliche Anwartschaft vor. Eine zusätzliche Entschädigung von SED-Opfern würde zu einer Bevorzugung dieser Opfergruppe gegenüber NS-Verfolgten führen.

Dies entbehrt jeglicher Überzeugungskraft. Zum einen ließe sich sagen, daß die damaligen deutschen Bundesregierungen es eben verabsäumt haben, für die NS-Verfolgten eine bessere Regelung zu treffen. Zum anderen, wenn man schon beide Opfergruppen gegeneinander ausspielt, verbleibt letztlich die Tatsache, daß die NS-Verfolgten der DDR weiterhin Bezüge aus einer Ehrenpension empfangen.

Bei der überwiegenden Zahl der SED-Opfer handelt es sich ebenfalls um frühere DDR-Bürger. So verbleibt weiterhin ein hohes Maß an Ungerechtigkeit. Jetzt ist der Bundesrat in die Pflicht genommen.


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