© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/04 23. Januar 2004

Reflektoren nur an der Beifahrerseite
Die Darstellung der "Elite der Presse" in der Bundesrepublik bleibt nur in der Offenlegung von NS-Verstrickungen mancher publizistischer Größen stecken
Felix Menzel

Brüllen konnte Henri Nannen gut: "Sie sind ein Verleumder", schnauzte er einmal in einer Fernsehsendung 1970 Gerhard Löwenthal an. Niemals habe er, Nannen, für den Völkischen Beobachter geschrieben, fauchte der Stern-Chefredakteur. Das war glatt gelogen. Als Kriegsberichterstatter lieferte Nannen von der Front zudem schön kitschige Landser-Geschichten, etwa das rührende Stück "Ein Flaksoldat besteht seine Feuerprobe". Nach 1945 wollte er davon nichts mehr wissen. Als linksliberaler Zeitungsmacher, der mit reinem Gewissen Brandts Ostpolitik stützte, konnte sich Nannen vieles erlauben - ja, sogar den Juden Löwenthal, der die NS-Zeit im Versteck überlebt hatte, als "üblen Revanchisten" zu beschimpfen.

"Die Herren Journalisten: Die Elite der deutschen Presse nach 1945" lautet der Titel einer von Lutz Hachmeister und Friedemann Siering edierten Aufsatzsammlung. Es geht um braune Verstrickungen und wundersame Wandlungen von Journalisten, denen in der Bundesrepublik oft erstaunliche Karrieren vergönnt waren. Minkmar erklärt, warum das Hamburger Linksblatt eigentlich eine "doppelte Wundertüte" ist. Schon in den dreißiger Jahren existierte nämlich ein Magazin namens Stern. Schon damals begeisterte es eine Millionen-Leserschaft mit Berichten über Film- und Theater-Stars, Sportler und Prominente, angereichert mit etwas nackter Haut. Dazu kam ein Schuß Politik, zum Beispiel die ansprechend bebilderte Titelgeschichte "Der Führer im Kreis der Künstler" vom 20. April 1939. Wie das heutige Magazin hatte auch die Illustrierte damals einen zackigen Stern als Logo. Minkmar fragt nun, ob Nannen das Konzept des Stern nicht in gewisser Weise geklaut habe.

Abgesehen von dieser kleinen Studie hat der Sammelband eine deutlich linke Schlagseite. Die meisten Aufsätze betreiben einseitige Vergangenheitsbewältigung auf Kosten Konservativer. Ein Ärgernis stellt Michael Jürgs polemischer Beitrag über Axel Springer dar. Der flapsige Text - im groben ein Aufguß der Springer-Biographie Jürgs aus dem Jahr 1995 - bietet lediglich altbekannte Ressentiments und wird dem Verleger kaum gerecht. Hachmeisters Aufsatz zum Spiegel gibt einen soliden Überblick zum NS-belasteten Personal des Nachrichtenmagazins. Über die politische Ausrichtung der Zeit, als diese noch "weiter rechts als die CDU stand", schreiben Mathias von der Heide und Christian Wagener. Die Erleichterung über die anschließende Linkswende der Hamburger Wochenzeitung ist ihnen deutlich anzumerken.

In einem ausführlichen Beitrag beschäftigt sich Herausgeber Siering mit der Geschichte der Frankfurter Allgemeinen und ihres Vorgängerblatts Frankfurter Zeitung. Seine Charakterisierung der Gründergeneration der FAZ, vor allem Erich Welters und Paul Sethes, liest sich spannend und ist um Objektivität bemüht; eine unterschwellige Ablehnung der großbürgerlichen Welt der Frankfurter Redaktion ist deutlich zu spüren. Zudem kreidet Siering der FAZ ihre Nähe zur Wirtschaft an, stellt sie beinahe als ein Tarnblatt der Industrie dar. Zweifellos interessant ist, daß der FAZ-Werbespruch "Dahinter steckt immer ein kluger Kopf" von Viktor Muckel, einem ehemaligen Gauamtsleiter, ersonnen wurde, der zuvor gegen "rote Pest, aufgewühlt von jüdischen Profitjägern" ins Feld gezogen war.

Weit besser als die FAZ kommt in einem Beitrag von Bernd Gäbler die Frankfurter Rundschau weg, deren Redaktionsräume in den fünfziger Jahren auch stramme Kommunisten bevölkerten. Wohl hatte die Rundschau keine braunen, dafür aber bald rote Flecken auf der Weste, als sie das Treiben in der SBZ verharmloste. Für Gäbler stellt das kein Problem dar. Es ist diese klare Stoßrichtung der Vergangenheitsaufarbeitung "gegen Rechts", an der die meisten Beiträge des Sammelbands kranken. Zahlreichen Redakteuren bundesrepublikanischer Leitmedien kann ein NS-Vorleben nachgewiesen werden. Dagegen fällt die spätere unkritische Anbiederung linksliberaler Gazetten an die DDR völlig unter den Tisch. Über die Kooperationswilligkeit deutscher Journalisten mit der Stasi verlieren die Autoren kein Wort.

Das Urteil über den Sammelband bleibt somit zwiespältig. Von Interesse ist die Fülle der verschütteten Details zu NS-belasteten Berühmtheiten bundesdeutscher Medien, die zwar mit Lust in anderer Leute Vergangenheit wühlen, doch beim eigenen Laden eher ein Auge zudrücken. Andererseits mißfällt die politische Tendenz der Herausgeber, die schon im Titel zum Ausdruck kommt: Es geht gegen die "Herren Journalisten" und deren "Elitepublizistik". Diese Zeiten sind natürlich längst vorbei, heute richtet sich eine immer schreiendere Presse nach dem Geschmack des Massenpublikums. Ob dieser Verlust an Qualität und Ernst als Fortschritt zu werten ist, darüber schweigen sich die Herausgeber aus.

Lutz Hachmeister, Friedemann Siering: Die Herren Journalisten: Die Elite der deutschen Presse nach 1945. Verlag C. H. Beck, München 2003, 328 Seiten,14,90 Euro


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