© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/04 23. Januar 2004

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Optimismus
Karl Heinzen

Bislang verfügte die Bundeswehr über die Fähigkeit, im Katastrophen- oder Kriegsfall bis zu 280 Lazarette mit etwa 40.000 Betten und allem medizinischen Drum und Dran in kurzer Zeit zum Einsatz zu bringen. Fast 70.000 Reservisten, darunter knapp zehn Prozent Ärzte, waren dafür eingeplant. Nun ist das Verteidigungsministerium im Begriff, diese sogenannte Lazarettreserve aufzulösen.

Kosten können bei der Entscheidung eigentlich keine Rolle gespielt haben. Personal mußte für diese Kapazität so gut wie nicht vorrätig gehalten werden. Für die Einlagerung der Ausrüstung sind im Jahr bloß 130.000 Euro zu veranschlagen gewesen, die jetzt zudem nicht einmal komplett eingespart werden können. Der Buchwert von 90 Millionen Euro, den das Ministerium für das gesamte Material und Gerät ansetzt, wird sich am Markt, auf dem nun der Meistbietende zum Zuge kommt, bei weitem nicht erzielen lassen.

Dieses Abspecken medizinischer Notfallkapazitäten gehört somit nicht zu jenen Reformprojekten, mit denen sich die Bundeswehr durch Luftbuchungen oder Radikalabrüstung ein wenig Luft bei ihren Bemühungen verschaffen will, immer mehr Aufgaben bei immer weniger Haushaltsmitteln zu bewältigen. Es handelt sich eher um ein Signal, welches zum Ausdruck bringt, daß man aus der neuen Philosophie der Streitkräfte auch die Konsequenzen zu ziehen gewillt ist: Landesverteidigung spielt in den Planungen der Bundeswehr keine Rolle mehr.

Bis vor kurzem noch meinte man auf der Hardthöhe, sich zu diesem Thema übervorsichtig äußern zu müssen. Die Gefahr, daß deutsches Territorium militärisch bedroht werden könne, bestehe zwar derzeit nicht, hieß es. Man wisse aber nicht, ob dies auf Dauer so bleibe, und müsse an daher einer gewissen nationalen Daseinsvorsorge festhalten. Da sich unterdessen auch die letzten Illusionen über die finanziellen Spielräume der Zukunft verflüchtigt haben, möchte sich die Bundeswehr auch ihren Zweckpessimismus nicht mehr leisten. Man hat endlich den Mut, Gefahren zu negieren, gegen die es keine finanzierbare Prophylaxe gibt.

Es ist die Haushaltskrise, die uns den nach dem 11. September 2001 schon verloren geglaubten Optimismus in der Beurteilung der internationalen Sicherheitslage zurückgibt. Die historische Erfahrung, welch fundamentale Umbrüche sich binnen weniger Jahre zum Guten, aber auch zum Schlechten vollziehen können, braucht uns nicht länger zu beunruhigen. Ab sofort gibt es keine Überraschungen mehr. Alles bleibt so, wie es ist. Auch der internationale Terrorismus kann uns, so sehr er uns auch bedroht, nicht wirklich treffen. Wäre es anders, hätte man an der Lazarettreserve sicherlich schon aus diesem Grund festgehalten. Besonders erfreulich ist, daß wir in Zukunft offenbar auch Natur- oder Industriekatastrophen im großen Stil ganz ausschließen dürfen. So viel Optimismus hat man in Europa zuletzt vor 250 Jahren erlebt - vor dem großen Erdbeben von Lissabon.


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