© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/04 16. Januar 2004

Die zweite Säule bröckelt
Betriebsrenten sind nicht so sicher, wie die Politiker immer noch behaupten
Bernd-Thomas Ramb

Die Nachricht schockiert. Die Commerzbank und der Gerling-Konzern kündigen ihre Betriebsrenten. Ab 2005 werden sie für die Beschäftigten keine betrieblichen Altersrückstellungen mehr bilden. Dann neu angestellte Mitarbeiter gehen später vollständig leer aus. Davor schon Beschäftigte erhalten entsprechende Verkürzungen der auszuzahlenden Zusatzrenten. Noch steht nicht fest, welche Unternehmen dem Commerzbank-Gerling-Modell noch folgen werden. Die meisten der eilig befragten Firmen geben sich gelassen, einige wollen ihre Betriebsrenten sogar ausbauen und der Autobauer Opel künftig wieder einführen, nachdem er sie vor sieben Jahren abschaffte.

Das tröstet wenig, denn die Unsicherheit über die Zukunft der Betriebsrenten ist sprunghaft gestiegen. Betriebsrenten bilden neben der staatlichen Rentenvorsorge das zweite Bein der Alterseinkommen, wenn auch in wesentlich geringerem Umfang. Etwa vier Prozent der Bruttolohnkosten wenden die beteiligten Betriebe auf, um ihren künftigen ehemaligen Mitarbeitern eine Aufstockung der Rente zu bieten. Gesetzlich sind sie dazu jedoch nicht verpflichtet. Daher kann diese freiwillige Lohnzusatzleistung auch jederzeit wieder abgeschafft werden. Zwar besteht für die Beschäftigten ein Bestandsschutz, doch der richtet sich nach den eingezahlten Werten der Vergangenheit und gilt nicht für alle kommenden Zeiten.

Betriebsrenten sind prinzipiell so unsicher wie das Unternehmen. Geht es in Konkurs, übernimmt zwar die Rückversicherung der Betriebsrenten, der Pensions-Sicherungs-Verein auf Gegenseitigkeit (PSVaG), die Zahlung der vereinbarten Renten, aber auch er kann letztlich nur im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten Leistungen erbringen. Bevor Unternehmen pleite gehen, ziehen sie alle möglichen finanziellen Notbremsen - so auch die Reduzierung der Betriebsrenten. Insbesondere bei Aktiengesellschaften werden die Aktionäre kaum einsehen, daß allein sie anhaltende Verluste durch Dividendenverzicht bezahlen sollen. Da werden auch die Beschäftigten zur Kasse gebeten, insbesondere die ehemaligen, die sich nicht durch Streik wehren können. Andererseits sind die Firmen gesetzlich verpflichtet, die Betriebsrenten alle drei Jahre an die Inflationsrate oder die Lohnentwicklung anzupassen. Bei diesen rigiden Vorgaben streichen viele Unternehmen lieber gleich die Segel.

Wer dennoch die Betriebsrente als Teilentlohnung der Firmenangehörigen beibehalten will, muß die künftige Zahlungsfähigkeit absichern. Dazu gehören vor allem finanzielle Rückstellungen. Diese Beträge wieder in den eigenen Betrieb zu investieren, macht nur dann Sinn, wenn die Rendite nicht nur hoch, sondern zugleich zukunftsträchtig ist. Für die Beschäftigten entsteht gleichzeitig ein starkes Interesse an einem dauerhaft profitablen Unternehmen. Mit der gleichen Logik arbeitet das System, den Mitarbeitern neben der üblichen Entlohnung Unternehmensaktien zu Sonderpreisen anzubieten. Allerdings erwerben die neuen Aktienbesitzer auch das Recht, diese Aktien vor Erreichung des Ruhestands zu verkaufen.

Statt eigener Pensionsrückstellungen können die Unternehmen Pensionsfonds und -kassen oder Versicherungen einschalten. Dann müssen fremde Unternehmen, die auf diese Gelder per Kredit zugreifen, die zukünftigen Betriebsrenten erwirtschaften. Das Risiko wird dadurch zwar gestreut und die Sicherheit der Betriebsrente vom Schicksal des eigenen Betriebs abgekoppelt, die Gefahr großer Verluste aber nicht beseitigt. Clevere Betriebsrentenanwärter fragen sich deshalb berechtigt, ob sie nicht selbst das Geld besser anlegen könnten. Genauso würden die meisten auch die Einzahlungen in die staatliche Rentenversicherung gerne zur Eigenkapitalanlage verwenden.

Da hat jedoch der Staat durch die enge gesetzliche Bevormundung einen Riegel vorgeschoben - nicht zuletzt durch die steuerliche Begünstigung der Betriebsrentenzahlung gegenüber der Eigenvorsorge. So wird seit 2002 jedem Beschäftigten sogar ein Anrecht auf Gehaltsumwandlung in eine betriebliche Altersvorsorge in Höhe von maximal 2.472 Euro im Jahr steuer- und sozialabgabenfrei zugestanden. Kein Wunder, daß der Anteil der potentiellen Betriebsrentner unter den unselbständig Beschäftigten von 29 auf 57 Prozent emporschnellte. Doch was hilft es, wenn die Betriebsrentenzahlung demnächst genauso sicher ist wie die staatliche Rente?

Die dauerhaft dunklen Wolken über der staatlichen Rente und die betrüblichen Aussichten der Betriebsrente richten den Blick auf den einzigen Silberstreif am Rentenhorizont, die private Altersvorsorge. Das dritte, allein noch Stütze versprechende Bein der Rentenabsicherung zeigt allerdings nach wie vor einen unterentwickelten Zustand. Zu wenige haben bereits realisiert, welche Einkommenslöcher im Alter bevorstehen, zu viele verlassen sich immer noch auf die jahrzehntelang gepflegte Lüge der staatlich garantierten Rentensicherheit. Auch die Betriebsrente kann die Einlösung ihrer Versprechen nicht garantieren. Es bleibt das Gebot der Stunde: Rette sich, wer kann. Die eigenverantwortete Altervorsorge bedarf jedoch einer Einkommensgrundlage, die nicht vom Staat geschröpft und von Betriebsversorgungsgaukelei geschmälert wird.


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