© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/04 16. Januar 2004

Wehrdienst
Ein Abschied auf Raten
Dieter Stein

Allmählich dämmert es auch dem letzten, daß dieser Staat pleite ist. Wir haben in den letzten dreißig Jahren systematisch begonnen, die Grundlagen unserer Gemeinschaft zu unterminieren. Jahrelang wurde in Saus und Braus gelebt, das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinausgeschmissen. Das alles noch vor dem Hintergrund einst stabiler demographischer Verhältnisse. Mein Jahrgang (1967) ist einer der letzten sogenannten "geburtenstarken". Ab dann ging es steil abwärts. Demographie ist wie eine Zeitbombe. Jetzt zünden die ersten Sprengsätze.

Das deutsche Sozial-, Renten und Gesundheitssystems wird nun mit Macht und der Verzögerung von 30 Jahren von den demographischen Schockwellen erfaßt - und immer noch reagiert die Politik, als seien es vorübergehende Engpässe, auf die man mit kleinen Korrekturen antworten könnte. Doch das wird nicht funktionieren. Noch spielt wie auf der Titanic die Schiffskapelle, und es hat noch nicht jeder begriffen, daß die Zahl der Rettungsboote nicht ausreichen wird.

Aber so ist es nun einmal. Für alles kommt irgendwann die Quittung. Noch nie ist so viel von "Nachhaltigkeit" geschwafelt worden - in einer Zeit, die sich das "Verfrühstücke jetzt, was Dir noch nicht einmal morgen gehören wird" auf die Fahnen geschrieben hat. Wir haben es mit der jahrzehntelangen, selbstverschuldeten Ausplünderung des Landes zu tun. Das Glas nähert sich der Neige.

Wir verabschieden uns von der lange Jahre genährten Illusion immerwährenden Wachstums und steuern auf Schrumpfungsprozesse eines Ausmaßes zu, wie es Mitteleuropa seit den Pestepidemien des Mittelalters und dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr kannte. Die Planung des Verkehrsaufkommens, des Wohnraumbedarfs, der Infrastruktur hat man nach Millionen Europäern ausgerichtet, die nie gezeugt, nie geboren worden sind.

Bis 1989 hat die Blockkonfrontation diese strukturellen Probleme Europas überdeckt - nun ist ihnen nicht mehr auszuweichen.

Fast schon eine Notiz in einer Serie von Nachrichten über Streichungen, Schließungen und Rückbau sind die Vorbereitungen für eine Abschaffung des Wehr- und Zivildienstes und für weitere drastische Einsparungen bei der Bundeswehr. Das Konzept sieht Kürzungen in Höhe von 26 Milliarden Euro durch den Verzicht auf Rüstungskäufe vor. Zugleich soll die Gesamtstärke der Bundeswehr reduziert werden. Bis 2010 soll die Zahl der Soldaten um 35.000 auf 250.000 sinken. Auch im zivilen Bereich ist ein Abbau von 10.000 Stellen vorgesehen. Aber so ist das nun einmal, wenn ein Land bankrott ist. Ob hier die richtigen Prioritäten gesetzt werden, steht auf einem anderen Blatt.

Die Abschaffung der Dienstpflicht ist jedoch ein falsches Signal. Es liegt aber an einer tonangebenden politischen Klasse, von denen sich stets die meisten erfolgreich um den Wehr- und Ersatzdienst herumgedrückt haben, so daß sie mit dem Begriff des Dienens noch nie etwas anfangen konnten.


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