© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/04 09. Januar 2004

Gefangene der eigenen Kungelei
Bundespräsidentenwahl: Taktische Spielereien der Parteien um das höchste Amt der Bundesrepublik / Klarer CDU-Favorit ist Wolfgang Schäuble
Paul Rosen

Bei der Frage, welcher Politiker Nachfolger von Bundespräsident Johannes Rau werden soll, übertreffen sich die Parteiführungen gegenseitig in taktischen Spielereien. Kanzler Gerhard Schröder will eine Frau von der Union unterstützen, genau wissend, daß außer der unbeliebten Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth keine Politikerin bei den Bürgerlichen bereitsteht. CDU-Chefin Angela Merkel wiederum will unbedingt einen Mann an der Spitze des Staates sehen, weil damit ihre Chancen auf die Kanzlerkandidatur 2006 steigen. Denn zwei Frauen in höchsten Regierungsämtern (Präsidentin und Kanzlerin) kämen für die CDU wohl nicht in Betracht.

Noch erinnern Schröder und Merkel an zwei Jäger, die im Versteck auf Beute lauern. Ihre wahren Absichten geben sie nicht preis. Schröders Problem ist, daß seine SPD selbst zusammen mit den Grünen keine Mehrheit mehr in der Bundesversammlung hat - eine zusätzliche Quittung für die Serie von Niederlagen bei den zurückliegenden Landtagswahlen. Auch ein Herüberziehen der FDP in das linke Lager ist ausgeschlossen. Seitdem Schröder und Außenminister Joschka Fischer die Fortsetzung von Rot-Grün nach 2006 verkündeten, sind Guido Westerwelle und seine FDP an die Union gefesselt. Schröder kann nur noch hoffen, durch eine Kandidatin wie Süssmuth das bürgerliche Lager aufzubrechen. Aber danach sieht momentan wenig aus. CDU-Vizechef Christoph Böhr wertete den Vorstoß des Kanzlers bereits als "durchsichtiges taktisches Spielchen".

Für die Union ist die Lage nicht unbedingt einfach, auch wenn sie zusammen mit der FDP über eine knappe Mehrheit in der Bundesversammlung verfügt (siehe Infokasten). Eine herausragende Figur, die problemlos in das höchste Staatsamt gebracht werden könnte, hat weder CDU noch CSU. Natürlich hätten die Bayern Stoiber zu bieten, aber der könnte allenfalls in seiner Funktion als Ministerpräsident von Staatskanzleichef Erwin Huber ersetzt werden. Als Parteivorsitzender ist Stoiber unverzichtbar.

Frau Merkel plagen ähnliche Sorgen. Sie selbst will Kanzlerin werden, Bundespräsidentin steht nicht zur Debatte. Um den Frauenanteil in höchsten Ämtern nicht zu hoch werden zu lassen, kommt nach Ansicht der CDU-Chefin nur ein Mann als Bundespräsident in Frage. Am liebsten hätte sie einen Kandidaten aus der CSU, ob Stoiber oder selbst der frühere Vorsitzende Theo Waigel, wäre ziemlich egal. Auch ein Repräsentant der Wirtschaft (Siemens-Chef Heinrich von Pierer, München) käme in Betracht. Ein bayerischer Bundespräsident hätte für die CDU-Chefin enorme Vorteile: Bei der Kanzlerkandidatur 2006 hätten die Bayern nichts mehr mitzureden, weil sie bereits mit dem Präsidentenamt bedient wären. Auch müßten sie nach einem Wahlsieg der Bürgerlichen 2006 bei der Kabinettneubildung zurückstecken, weil sie mit dem Präsidentenamt bereits ein großes Stück des Machtkuchens in Berlin innehätten.

Einen allseits akzeptierten Kandidaten hat aber auch Frau Merkel nicht zur Hand. Gerüchte, sie wolle den ehemalgen Umweltminister Klaus Töpfer, der zur Zeit für die Uno in Nairobi tätig ist, zurück nach Berlin holen, haben bisher keine Bestätigung gefunden. Weitere Namen werden genannt: Da ist der frühere thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel, der aber keinen großen Anhang hat. Immer wieder genannt wird auch der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel, der große Teile der Südwest-CDU, aber auch der FDP im Ländle, gerne nach Berlin wegbefördern würde, um einen jüngeren Nachfolger in Stuttgart zu installieren.

Die schlechte Personallage haben Merkels Gegner in der CDU, Ex-Fraktionschef Friedrich Merz und der hessische Ministerpräsident Roland Koch, bereits ausgenutzt, um den früheren CDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble ins Gespräch zu bringen. Auch die CSU hat sich angeschlossen. Landesgruppenchef Michael Glos hatte Schäuble schon frühzeitig zur Kreuther Klausurtagung am Dienstag dieser Woche eingeladen und mitgeteilt, er persönlich bevorzuge den ehemaligen CDU-Chef. Auch Stoiber äußerte sich entsprechend.

In Wildbad Kreuth ging Glos dann - zumindest verbal - einen Schritt auf die FDP zu, indem er auch einen liberalen Kandidaten für das höchste Staatsamt nicht ausschloß. Ob das mehr als eine Beruhigungspille für die Freidemokraten war, muß indes bezweifelt werden.

Nur Angela Merkel schweigt zu einer Schäuble-Kandidatur

Nur von Merkel war bisher kein Wort zu Schäuble zu vernehmen. Sie sorgt sich um den Erfolg des Kandidaten, der immerhin tief in die CDU-Spendenaffäre verwickelt war. Bis heute sind die Umstände einer angeblich über Schäuble gelaufenen 100.000-Mark-Spende des Waffenhändler Karlheinz Schreiber an die CDU ungeklärt. Die damalige CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister, genauso tief wie Schäuble in den Skandal verquickt, will bereits im nächsten Monat ein Buch über ihre Erinnerungen an die Affäre auf den Markt bringen. Damit könnte die Vergangenheit Schäuble wieder einholen.

Koch, Merz und die CSU würden sich nichts daraus machen, wenn zunächst ein Kandidat Schäuble nominiert werden und später aufgrund des Drucks der öffentlichen Meinung scheitern würde. Die Verantwortung dafür würden sie unverzüglich bei Merkel abladen. Würde Schäuble gewählt, würden sie sich dagegen als Väter des Erfolgs feiern. Umgekehrt kommt Merkel aus ihren machttaktischen Überlegungen nicht heraus, um die eigene Karriere zu befördern. So werden Politiker zu Gefangenen ihrer eigenen Kungelei. Und dem höchsten Staatsamt dürfte das parteipolitische Gerangel auch nicht bekommen.

Bundesversammlung

Die 12. Bundesversammlung am 23. Mai 2004 besteht aus insgesamt 1.206 Wahlberechtigten, die sich jeweils zur Hälfte aus Mitgliedern des Bundestages und Delegierten der Länderparlamente zusammensetzen. Mit 618 Stimmen verfügen die Unionsparteien (538) zusammen mit der FDP (80) über die Mehrheit. Die SPD stellt 462 Wahlberechtigte, die Grünen kommen auf 89. Die PDS kann auf 33 Stimmen zählen. Die Wahl des Bundespräsidenten erfolgt nach Art. 54 Grundgesetz ohne Aussprache. Gewählt ist, wer im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen erhält. Die Amtszeit des Bundespräsidenten beträgt fünf Jahre, seine Wiederwahl ist nur einmal zulässig.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen