© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/04 09. Januar 2004

Der Terror rückt näher
Sicherheitspolitik: Nach dem Streit um die Hamburger Antiterrormaßnahmen gibt es Vorwürfe statt Analysen / Experten warnen vor wachsender Gefahr
Christian Roth

Die Abriegelung des Hamburger Bundeswehr-Krankenhauses wegen einer Terrorwarnung einen Tag vor Silvester hat eine politische Kontroverse ausgelöst. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) ließ durchblicken, er halte die auch am Freitag noch aufrechterhaltene Absperrung für ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver der bürgerlichen Landesregierung. Er behauptete, ungesicherte Hinweise auf einen eventuell geplanten Anschlag durch Islamisten seien vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangt, wodurch gründlichere Ermittlungen vereitelt worden seien.

Schily warf dem Hamburger Innensenator Dirk Nockemann "Geschwätzigkeit" vor. Auch der SPD-Generalsekretär Olaf Scholz, vor der Abwahl des rot-grünen Senats letzter sozialdemokratischer Innensenator der Hansestadt, sprach von einem unprofessionellen Vorgehen des Amtsinhabers. Nockemann gehört der Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO) an, deren Auseinanderbrechen Bürgermeister von Beust zur Beendigung der Koalition aus CDU, FDP und PRO veranlaßt hatte.

Innensenator Nockemann bestritt vehement jeden Zusammenhang zwischen den anstehenden Wahlen und dem Großeinsatz und nannte Schilys Einlassungen "unerhört". Er sagte, das Bundeskriminalamt (BKA) habe am Dienstag mitgeteilt, daß zwei islamistische Terroristen nach Deutschland eingereist seien und ein Selbstmordattentat auf ein Hamburger Militärhospital planten. In der Stadt gebe es nur eine derartige Einrichtung. Der Senator erklärte, das BKA habe seine Lageeinschätzung geteilt. Als verantwortlich handelnder Politiker habe er die Anweisung zur Absperrung gegeben und die Möglichkeit eines Fehlalarms in Kauf nehmen müssen.

Das Spital im Stadtteil Wandsbek wurde durchsucht; Mitarbeiter, Patienten und Anwohner mußten sich Ausweiskontrollen unterziehen. Mit diesem Großeinsatz ist die Terrorgefahr durch ausländische Islamisten urplötzlich auf die politische Tagesordnung zurückgekehrt. Aufgeregt meldete sich auch der bayerische Innenminister Günther Beckstein - in der Vergangenheit verstärkt mit dem Aufspüren angeblicher Neonazis beschäftigt - zu Wort.

Spekulationen um eine Namensverwechslung

Gegenüber der Bild am Sonntag orakelte Beckstein, die Gefahr durch ausländische Extremisten sei "in der Vergangenheit sträflich unterschätzt worden". In der Tat hat die etablierte Politik das Gefahrenpotential seit den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 stets kleingeredet.

Die Fälle des "Kalifen von Köln", der einen Gottesstaat islamischer Prägung ausrufen wollte, und der Bonner König-Fahd-Akademie, die in den Ruch einer terroristischen Kaderschmiede gekommen war, wurden als exotische Ausrutscher abgetan. Ähnliches versuchen gerade rot-grüne Politiker wieder in Hamburg. Angeblich stammten die vom Bundeskriminalamt weitergeleiteten Hinweise ursprünglich von der CIA.

Sozialdemokratische Politiker, die Nockemann politische Hintergedanken unterstellten und mit ihren Äußerungen selbst kräftig den Wahlkampf anheizten, bezweifelten jedoch, daß die Warnungen wirklich konkret gewesen seien. Hamburger Zeitungen spekulierten, eine Namensverwechslung habe den Einsatz ausgelöst.

Gemäß den Angaben Nockemanns war in der Warnung von zwei namentlich bekannten Angehörigen der Gruppe Ansar al-Islam die Rede. Die Organisation wurde im Jahr 2001 im Nordirak von kurdischen Islamisten mit engen Kontakten nach Afghanistan gegründet und gehört vermutlich zum Terrornetzwerk der al-Qaida. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtete vor Beginn des Irak-Kriegs von zahlreichen Menschenrechtsverletzungen im Stil der Taliban in den von Ansar al-Islam kontrollierten Gebieten.

Inzwischen soll die Gruppierung aus ihrer angestammten Region vertrieben worden sein, doch wird sie von amerikanischen Stellen für zahlreiche Bombenanschläge im Irak verantwortlich gemacht. Der Anführer, Mullah Krekar, lebt zur Zeit im norwegischen Exil. Seine Anhänger sollen Zellen in ganz Europa gebildet haben, laut dem deutschen Verfassungsschutz halten sich rund hundert von ihnen in der Bundesrepublik auf. In München wurden im Dezember mehrere Mitglieder der Organisation unter dem Vorwurf verhaftet, potentielle Terroristen in den Irak geschleust zu haben.

Aufruf zur Gewalt gegen Juden

Selbst die linksalternative Tageszeitung ist hellhörig geworden und kritisiert den laxen Umgang mit den Hamburger Vorkommnissen. "Bis in die jüngste Gegenwart haben die Bundesbürger mit naiver Gelassenheit auf die weltweite Herausforderung reagiert. Die vorherrschende Haltung war: Der Dschihad-Terrorismus ist kein Problem dieser Gesellschaft, sondern eine Herausforderung, der sich die anderen stellen müssen - Länder wie die USA, Tunesien, die Türkei oder Rußland. Woher die Gesellschaft ihren Optimismus bezogen hat, ist ein Rätsel. Denn seit Jahren agieren Radikalislamisten nicht nur im fernen Afghanistan, sondern auch an deutschen Universitäten, in Moscheen und Internetforen. Sie rufen zur Gewalt gegen Juden auf, schüchtern Glaubenskonkurrenten ein und schrecken auch vor Mord nicht zurück. Längst hat sich in deutschen Städten ein Milieu formiert, das in Fundamentalopposition zu all dem lebt, was dem Westen lieb ist. Und sie möchten es lieber heute denn morgen in Stücke hauen."

Diese - für linke Kommentatoren erstaunliche - Analyse wird auch von anderer Seite geteilt. Der Chef des Bundes deutscher Kriminalbeamter, Klaus Jansen, spricht von akuter Terrorgefahr durch Islamisten. Daß es hierzulande noch keinen Anschlag gab, sei eher eine "gnädige Laune des Schicksals", so Jansen in der Süddeutschen Zeitung. Er teile den Optimismus von Innenminister Otto Schily nicht, wonach es keine konkreten Bedrohungen gebe.

Der Chef der Polizeigewerkschaft, Konrad Freiberg, erklärte, der Stellenabbau bei der Polizei habe zu einem Sicherheitsrisiko geführt. Wie die zurückliegenden Anschläge in der Türkei gezeigt hätten, sind nach Ansicht Freibergs vor allem die Menschen auf der Straße gefährdet. "Genau dort wird bei uns die polizeiliche Präsenz, die Aufmerksamkeit und der Schutz immer dünner", sagte er. "Wer sehenden Auges diese fatale Entwicklung weiter zuläßt, vergeht sich an dem Wunsch der Bürger nach Schutz und Sicherheit."

Neuerdings verlangt sogar die FDP von der Bundesregierung eine Bestandsaufnahme der deutschen Sicherheitslage. Fraktionschef Wolfgang Gerhardt unkte: "Der Terror rückt immer näher an Deutschland heran. Wir brauchen jetzt dringend eine nüchterne Bestandsaufnahme über die Gefährdungslage in Deutschland. Dazu sollte Bundesinnenminister Otto Schily eine Erklärung zur Lage der inneren Sicherheit in Deutschland abgeben." Die FDP fordert, "jetzt unverzüglich die Antiterrorpakete der vergangenen Jahre zu überprüfen".

Doch alle aufgeregten Wortmeldungen der vergangenen Tage wischt Schily mit unerschütterlichem Optimismus vom Tisch. Die deutschen Behörden sind nach seinen Worten für den Ernstfall eines Terroranschlags in Deutschland gut gerüstet. "Deutschland ist im Zivil- und Katastrophenschutz gut aufgestellt", sagte Schily. Bleibt abzuwarten, ob es nicht bald ein böses Erwachen geben wird.


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