© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/04 02. Januar 2004

Biologisch erledigen lassen
Die Emeritierung des Leiters der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund wird zum Anlaß für dessen Schließung genommen
Christoph Zarse

Die historische Forschung über die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten und anderen Teilen Ostmitteleuropas hat in Nordrhein-Westfalen einen herben Rückschlag erlitten. Die Zukunft der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund, die sich durch ihre Gründlichkeit, die Vielzahl der Publikationen und die Reichhaltigkeit ihrer Bibliothek einen Namen auch weit über die Landesgrenzen hinaus gemacht hatte, ist nach einem finanzpolitisch begründeten Beschluß des Landes Nordrhein-Westfalen äußerst gefährdet.

Die 1952 gegründete Ostdeutsche Forschungsstelle sollte zunächst den Zweck erfüllen, sämtliche Forschungseinrichtungen der Ostgebiete, namentlich der Universitäten Königsberg und Breslau bzw. der Technischen Universität Danzig zumindest ansatzweise zu ersetzen. Das Institut schloß sich in der Folgezeit der Pädagogischen Hochschule Ruhr - der heutigen Universität Dortmund - an und konnte so auch über den Zufluß öffentlicher Gelder verfügen.

1973 übernahm der 1937 in Ziegenhals bei Neiße geborene damalige Oberstudienrat für Geschichte, Latein und Geographie, Johannes Hoffmann, die Leitung des Instituts und gab ihm den zeitgenössisch als passender empfundenen Namen "Forschungsstelle Ostmitteleuropa". Unter seiner Führung entwickelte sich der Standort Dortmund zu einem Zentrum der Ermittlung historischer Tatbestände der ehemals deutsch besiedelten Gebiete Ostmitteleuropas in Deutschland. Einen Schwerpunkt seiner persönlichen Forschungen stellte in der Folgezeit durch die eigene Biographie bedingt die historische Forschung der Geschichte Ober- und Niederschlesiens dar.

Die in den siebziger und achtziger Jahren fließenden finanziellen Zuwendungen für Forschungsmittel nutzte Hoffmann zu einer bedeutenden Vergrößerung der Bibliothek und zu einem Ansammeln auch früherer Werke aus den Ostgebieten. Bis zum heutigen Tage konnten so über 120.000 Werke zusammengetragen und über 160 selbständige Publikationen verfaßt werden. Diese "Studien der Forschungsstelle Ostmitteleuropa", die beim Verlag Otto Harrassowitz herausgegeben wurden, zeichneten sich als wissenschaftliche Literatur aus, die sich der breiteren Leserschichten nicht verschließt.

Kein Widerstand der Uni gegen Pläne des Landes

Mit Hoffmanns Emeritierung in diesem Frühjahr erschien die Suche nach einem geeigneten Nachfolger ursprünglich nur als ein Automatismus im Wissenschaftsbetrieb. Das Alleinstellungsmerkmal der Forschungsstelle, ein wesentlicher Aspekt zur Aufrechterhaltung finanzieller Zuwendungen des Landes, war durch die Erfolge des Trägers des Verdienstkreuzes am Bande der Bundesrepublik Deutschland und die spezifische Thematik - gerade auch im Kontext der Diskussion um die Geschichtspolitik der Vertreibung - gesichert. Die extremen Mittelkürzungen im Bildungsetat durch das nordrhein-westfälische Kultusministerium wie auch die gleichzeitige Pensionierung von Mitarbeitern Hoffmanns führten allerdings dazu, daß zum 30. November 2003 die Forschungsstelle ohne nennenswerte Gegenwehr der Universitätsleitung aus den Planungen der Universität Dortmund gestrichen wurde. Hoffmann selbst strebt eine kommissarische Weiterführung des Instituts bis zum September 2004 an, doch dann droht das Ende.

Bemerkenswert ist diese Entscheidung im Rahmen der fast gleichzeitig einhergehenden Osterweiterung der Europäischen Union und der damit perspektivisch nähergerückten Erforschung jahrhundertealter deutscher Siedlungsgebiete. Die Gesellschaft für ostmitteleuropäische Landeskunde und Kultur e. V., einst als Träger des Instituts gegründet, versucht zwar derzeit noch, Finanzierungsmöglichkeiten zur Aufrechterhaltung des Forschungsbetriebes zu evaluieren, doch ist nach dem Entzug öffentlicher Gelder kaum mit einer weiteren Tätigkeit des Instituts zu rechnen.

Die damit verbundene Zukunft der Bibliothek, die als Basis für Forschungen aus ganz Deutschland fungiert, erscheint indes zumindest vorübergehend gesichert. Der ausgiebige Fundus sowohl an antiquarischen als auch an modernen Forschungsbeiträgen soll dem Bestand der Dortmunder Universitätsbibliothek zugeordnet werden. Damit könnten zukünftige Historikergenerationen auch weiterhin die westfälische Stadt als Basis für die Erforschung der Ostgebiete nutzen.

Ob mit dem Wegfall des Instituts aber auch die Fürsorge für die Sammlung aufrechterhalten wird oder ob die Werke dereinst im Keller der Bibliothek verstauben, wie die Trägergesellschaft befürchtet, bleibt ungewiß. Daß die 2002 eingeleitete Ausschreibung zur Nachfolge Hoffmanns wieder aufgenommen wird und die Forschungsstelle Ostmitteleuropa damit in Dortmund doch wieder eine Zukunft haben könnte, dürfte auch mangels gewichtiger Fürsprecher eher unwahrscheinlich sein.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen