© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/04 02. Januar 2004

Frisch gepresst  

Tirpitz. Fernab von der Küste, im fränkischen Bamberg, hat Christian Rödel sich den Seekriegskonzeptionen des Admirals Alfred von Tirpitz gewidmet. Tirpitz' Denken bettet Rödel in den Kontext der Seekriegsstrategien seiner Zeit ein, konfrontiert es natürlich auch mit dem Admiral Alfred Mahans, des US-amerikanischen "Ideologen der Seemacht". Angesichts der analytischen Schärfe und des hohen Reflexionsniveaus dieser Magisterarbeit fragt sich der staunende, mitunter nur mühsam folgende Leser, was Röder denn erst als Dissertation präsentieren werde. Jedenfalls ist ihm hier schon das seltene Kunststück gelungen, seine gründlichen Explikationen in einem einzigen Satz, dem Schlußsatz, zu verdichten: "Tirpitz schuf einen basalen Anachronismus - eine Zukunftsflotte, die die Gegenwart in einer Weise beeinflußte, die jede Hoffnung auf jene die Flotte berechtigende Zukunft zunichte machte" (Krieger, Denker, Amateure. Alfred von Tirpitz und das Seekriegsbild vor dem Ersten Weltkrieg, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2003, 234 Seiten, 48 Euro).   

Geschichtswissenschaft. Der in Trier lehrende Historiker Lutz Raphael bietet laut Verlagswerbung eine "grundlegende Einführung in die Konzepte, Probleme und Gegenstände der Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert". Also ein Büchlein, an dem kein Student der Geschichte vorbeikommt. Man wünscht sich nur, daß Raphael nicht im Galopp durch viele Kapitel geeilt wäre. So bleibt dem Leser etwa in den Abschnitten über "Mentalitäten, Begriffe und politische Sprachen" oder "Historische Anthropologie" nichts anderes übrig, als sich gründlicher im "Kom- paß der Geschichtswissenschaft" zu informieren, den Joachim Ei- bach und Günther Lottes im vorigen Jahr vorgelegt haben. Bemerkenswert ist bei Raphael die positive Konnotierung des Begriffs "Revisionismus", soweit sich darin ein Bemühen konzentriere, "Geschichtsmythen" und die "politisch verordneten, amtlichen Geschichtsklitterungen" zu zerstören (Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart. Verlag C. H. Beck, München 2003, 293 Seiten, 14,90 Euro).     

Harry Potter und das Böse. Wer kann sich schon Harry Potter entziehen? In der U-Bahn lesen Studentinnen, im Café die Studienräte und in der Lufthansa-Lounge die Manager die magischen Geschichten. Abenteuer, die um Blutopfer, Gewalt, Grauen, Ekel und Terror kreisen - meint zumindest Gabriele Kuby in ihrer Potter-Kritik. Kubys Analysen sind beeindruckend, weil ungewohnt. Mitten in der "Potter-Mania" kritisiert die Autorin kenntnisreich und unaufgeregt die Potter-Bücher als "globales Langzeitprojekt zur Veränderung der Kultur", zum Negativen versteht sich. Der Glaube an Gott werde "systematisch zerstört". Fraglich bleibt allerdings nur, ob die "Eltern, Lehrer und Erzieher" sich tatsächlich kritisch mit Potter auseinandersetzen wollen (Harry Potter - Gut oder Böse. Fe-Verlag, Kisslegg 2003, 155 Seiten, 7,80 Euro).     

Weltbild aus dem Trommelfeuer. Der Politpsychologe Manfred Koch-Hillebrecht führt in seinem neuen Buch über Hitler dessen Persönlichkeitsentwicklung auf eine durch das Erlebnis des Ersten Weltkrieges hervorgerufene posttraumatische Belastungsstörung zurück. Die von dem Psychiater Edmund Forster zu seiner Therader pie eingesetzten tiefenpsychologischen Suggestionsmethoden habe er später zur Beeinflussung der Massen genutzt. Leider erliegt Koch-Hillebrecht in seiner insgesamt lesenswerten Untersuchung zuweilen der Versuchung übermäßigen Psychologisierens. Der ganzen Tragweite der seelischen Folgen der "Urkatastrophe" des zwanzigsten Jahrhunderts wird der Autor jedoch voll gerecht (Hitler. Ein Sohn des Krieges. Fronterlebnis und Weltbild. Herbig Verlag. München 2003, 368 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro).


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