© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/04 02. Januar 2004

CD: Pop
Night Fever
Peter Boßdorf

Auf dem CD-Cover stiert Christian Kreuz den Betrachter wie ein müder, im Nachtleben der Großstadt versumpfter Legolas an. Hier ist jemand, der nicht aufgibt, könnte man meinen, jemand, der zur Fahne, und wäre es bloß die des Rock'n'Roll, steht, jemand, der sagt, was er denkt, auch wenn ihn Marktmächtige unter Vertrag genommen haben. Die Ideale, die zur Verteidigung anstehen, sind wohlbekannt. Man kann nicht sagen, daß sie durch Viva oder MTV gelitten hätten, sie werden heute nur infantiler und damit ehrlicher zur Schau getragen als in den Pioniertagen der Popkultur, in denen die Stars auf Authentizität machten und frei von der Furcht leben konnten, man würde sie womöglich als Plagiateure oder Synkretisten verdächtigen.

Im Prinzip ging es einst und geht es jetzt um die Verteidigung des Rechts, Kirchturmsdenken als Universalismus ausgeben zu dürfen. Man wundert sich, warum die in Kindergarten und Grundschule internalisierten Werte und Normen nicht allüberall auf der Welt rund um die Uhr beherzigt werden, und findet das ganz bitterböse. So viel Ungerechtigkeit! So viel Gewalt! So viel Haß! Da blutet das adoleszente Herz und läßt einen das trotzige Bekenntnis herausposaunen, daß das wirklich nicht geht, das mit den globalen Mißständen, daß das alles, bitteschön, endlich einmal anders werden sollte.

Im Zentrum dieser industriegesellschaftlichen Naturreligion steht etwas, was manche Freiheit nennen. Darunter wird offenbar verstanden, daß man ein Leben nach eigenen Vorstellungen lebt. Woher diese Vorstellungen, die man für seine eigenen hält, kommen, bleibt in der Regel ungefragt, es handelt sich hier um eine Anthropo-Theologie, die noch nicht durch aufklärerische Selbstzweifel erschüttert ist. Auch Christian Kreuz hat sich einer solchen Freiheit verschrieben, und er nimmt sich die seine, auf der Bühne und via CD coole Diva-Attitüden und plakative Subversion auf seinen Hörern abzuladen.

"Diktatur des Kapitals" (Motor/Universal Music), der Titel seiner aktuellen Veröffentlichung, suggeriert, daß er sich über die Zeit, in der er sich zu Wort meldet, keinen Illusionen hingibt. Die Rolle, einfach alles nur gut oder zumindest besserungsfähig zu finden, spielen andere. Seine ist es, aus einem ungebrochen hohen Anspruch heraus dagegen zu sein und lieber einen inneren Widerspruch auszuhalten, als von etwas zu lassen, was man möchte. So positioniert gelingen ihm in einem insgesamt weniger auf Subtilität als auf die Begrifflichkeiten des Comics ausgelegten Kontext einige verblüffend hübsche Aperçus, die sagen, was nicht ungesagt bleiben sollte: "Wenn du bezahlst/ ist alles klar/ Du traust mir nicht/ doch du hältst mich trotzdem nicht auf/ weil ich dein Vertrauen kauf'", heißt es beispielsweise im Titelstück des Albums, in dem er sozusagen den kapitalistischen Weltgeist sprechen läßt, und im Endzeitstimmungshit zur Dancefloor-Unterhaltung "Es führt kein Weg zurück" gewinnt er sogar der bunten Vielfalt der Reformideen von Hartz bis Merz eine volksgemeinschaftliche Perspektive ab: "Erst wenn wir alle pleite sind/ sind wir nicht mehr allein".

Der Charme seines Produkts liegt aber vor allem darin, daß Christian Kreuz den Sound und die Denkwelten der Tanzvergnügungsinstitutionen für die nicht mehr ganz so junge und die mittlere Generation persifliert, ohne ihnen den Konsens aufzukündigen. Eine derartige Strategie ist - auch in diesem Genre - nicht neu. Öffentlichkeitswirksam hat sie vor einigen Jahren Guildo Horn praktiziert und damit vielen Menschen einen Zugang zum Schlager neu geschaffen. Auch das Wirken von Christian Kreuz ist daher unter dem Vorbehalt zu würdigen, daß er möglicherweise einer Rehabilitierung der Glamour-Disko Vorschub leistet.


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