© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 01/05 31. Dezember 2004

Man kennt sich, man hilft sich
Alles läuft wie geschmiert: Die Nebentätigkeiten von Politikern sind ein ständiger Quell des Argwohns
Paul Rosen

Politiker fühlen sich verfolgt, geschunden und unterbezahlt. Ständig auf der Flucht vor neuen Enthüllungen stolpert zur Erheiterung des Publikums hin und wieder einer. Der jüngste Fall: Hermann-Josef Arentz, bis vor kurzem Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA). Der 51jährige Arbeitnehmerfreund Arentz wurde Anfang Dezember kurz vor dem CDU-Parteitag in Düsseldorf dabei ertappt, daß er über Jahre hinweg 60.000 Euro Gehalt jährlich vom Stromriesen RWE bezog, ohne dafür zu arbeiten. Als Zugabe gab es noch ein Stromdeputat. Arentz war kein Einzelfall, wie sich kurz danach zeigte.

Der nächste, der gerne was umsonst nimmt, heißt Laurenz Meyer. Das ist der erst vor wenigen Tagen zurückgetretene CDU-Generalsekretär, der so gerne den Kündigungsschutz einschränken und Tarifverträge aushebeln wollte. Auch Meyer ist mit RWE verbandelt. Ehe er beschloß, Politiker zu werden, arbeitete Meyer in der Stromwirtschaft. Daß er auch noch nach seinem Amtsantritt als Generalsekretär im November 2000 - rechtlich offenbar einwandfrei - Gehaltszahlungen und eine Abfindung von RWE kassierte, hat ihn jetzt aus der politischen Laufbahn geschleudert.

Verbilligte Energie von RWE bezieht Meyer bis heute. Irgendwelche Schuldgefühle hatte er nicht, als die Sache bekannt wurde. Alle Sachbezüge seien ordnungsgemäß versteuert worden, ließ er verbreiten. Auch einen Kredit zum Hausbau hatte er von dem Stromriesen bekommen, eine Sozialmaßnahme des Arbeitgebers, die in besseren Zeiten allen Beschäftigten zustand.

Die Nebentätigkeiten der Abgeordneten sind schon lange ein Stein des Anstoßes. So sind laut einer Mitte Dezember durchgeführten Umfrage von TNS Infratest im Auftrag des Nachrichtenmagazins Der Spiegel 41 Prozent der Befragten dafür, Nebeneinkünfte von Berufspolitikern generell zu verbieten. Weitere 30 Prozent meinten, Nebeneinkünfte sollten anzeigepflichtig sein, und es sollte eine Obergrenze geben.

Tatsächlich sind die Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft vielfältiger Natur. Man kann guten oder besser schlechten Gewissens davon ausgehen, daß Abgeordnete aus dem Gesundheitsausschuß früher oder später intensiv mit der Arzneimittelindustrie zu tun haben werden. Die Kollegen vom Finanzausschuß sind mit Banken verbandelt. Und wer im Verteidigungsausschuß sitzt, bekommt geradezu zwangsläufig Kontakt mit den Vertretern der Rüstungswirtschaft. Legendär sind Besprechungen einer Rüstungsfirma mit den für Verteidigung zuständigen Haushaltspolitikern im noblen Berliner Hotel Adlon, wo es Champagner, Hummer und Käse vom Wagen gab. Kenner der politischen Landschaft wunderten sich nicht mehr, daß wichtige Projekte danach in den Gremien einfach durchgewunken wurden. Wohlgemerkt: Wichtig waren die Projekte für die Industrie, die Bundeswehr konnte weniger damit anfangen.

Aber zurück zu Laurenz Meyer: Der sitzt laut Handbuch des Bundestages noch im Aufsichtsrat der Dachdecker Einkauf West eG. Wie Meyer bei seiner Arbeits- und Partybelastung Zeit haben soll, so ein Unternehmen zu kontrollieren, muß er sich schon selber fragen. Aber mit solch einem Nebenjob weiß man bestimmt, wo es günstige Dachziegel gibt. Falls nicht, kann es schnell herausgefunden werden.

Dabei zählen Bundestagsabgeordnete durchaus nicht zu den Geringverdienern im Lande. Jeder Parlamentarier bekommt derzeit eine Entschädigung ("Diät") von 7.009 Euro brutto, dazu eine steuerfreie Kostenpauschale von 3.551 Euro. Bürokosten werden bis zu einer Höhe von 6.300 Euro im Jahr vom Bundestag bezahlt, ebenso eine Erste-Klasse-Netzkarte der Deutschen Bahn und eine Jahreskarte für den Berliner Verkehrsverbund.

Unternehmen ziehen gerne Politiker in ihre Gremien

Trotzdem erhalten viele Abgeordnete weitere Zahlungen und Vergünstigungen aus Nebentätigkeiten. Eine Seite vor Meyer findet sich im Handbuch der Bundestagsabgeordneten der Name Friedrich Merz (CDU). Der Sauerländer hat zwar seit Jahren unter CDU-Chefin Angela Merkel zu leiden, aber einige Nebenjobs versüßen ihm das Leben. Merz leitet zum Beispiel den Konzernbeirat der Axa-Versicherung und ist gleichzeitig Mitglied des Aufsichtsrates. Die Versicherung wird ihm sicher sagen können, wie es günstige Policen gibt. Braucht Merz Kredit, kann er seine Beziehungen zur Commerzbank nutzen. Dort sitzt er nämlich im Aufsichtsrat. Und dort könnte er CSU-Landesgruppenchef Michael Glos treffen, der darüber hinaus noch in weiteren Aufsichtsräten sitzt. Meyer und Merz könnten sich zusammenschließen und gemeinsam ein Haus bauen. Während Meyer fürs Dach sorgt, kann Merz die Baustoffe organisieren. Denn eine bekannte Baustoffirma holte ihn in den Unternehmensbeirat.

Unternehmen ziehen nur zu gerne Politiker in ihre Gremien, und Politiker fliegen auf diese Nebenjobs wie die Motten zum Licht. Die Stromindustrie ist besonders gut aufgestellt. Das Handbuch des Bundestages weist den CDU-Abgeordneten Rolf Bletmann als Vorsitzenden des Aufsichtsrates der GEW Rheinenergie aus. Ehemalige Minister kommen auch zu neuen Ehren. Der frühere Verkehrsminister Kurt Bodewig fungiert heute als Aufsichtsratsvorsitzender des Duisburger Hafens, und Ex-Wirtschaftsminister Wemer Müller ist Chef der Ruhrkohle, wo er seine alten Kontakte in die Politik profitabel nutzen kann. Der ehemalige Postminister Wolfgang Bötsch macht gar keinen Hehl daraus, daß er gleich eine ganze Reihe von Beraterverträgen hat. Ob und welche Honorare er dafür bekommt, muß Bötsch aber in dem Handbuch nicht angeben. Als ehemaliger Landwirtschaftsminister macht sich Wolfgang Borchert (CDU) im Aufsichtsrat der Landwirtschaftlichen Versicherung Münster natürlich besonders gut.

Staatsnahe Unternehmen saugen ehemalige Politiker regelrecht an: So finden sich die Ex-SPD-Abgeordneten Klaus Daubertshäuser und Helmut Wieczorek in Diensten der Deutschen Bahn. Pünktlicher ist das Unternehmen dadurch nicht geworden.

Ob Banken, Versicherungen, Versorgungsunternehmen oder andere Firmen: Politiker aller Parteien sind stets dabei. In früheren Jahren sammelten einige Abgeordnete Aufsichtsratsmandate wie andere Leute Briefmarken: Der ehemalige FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff saß in über dreißig Aufsichtsräten, und kein Unternehmen nahm Anstoß daran, daß Lambsdorff wegen Steuerhinterziehung vorbestraft war. Auch der damalige Bauernpräsident und CDU-Abgeordnete Constantin Heereman hatte mehrere Dutzend Aufsichtsratsmandate.

Produkte lassen sich gut in der Karibik präsentieren

Heute sind die Listen zugegebenermaßen nicht mehr so lang. Die Verflechtungen funktionieren anders. Es fängt harmlos an: Abgeordnete gehen zu "Parlamentarischen Abenden" der Industrie, lassen sich Delikatessen schmecken und schleppen anschließend wertvolle Geschenke nach Hause. Es folgen Einladungen zu Reisen. Schließlich lassen sich neue Unternehmensprodukte am schönsten in Nähe südafrikanischer oder karibischer Strände präsentieren. Sind die Verbindungen eng geworden und die Beziehungen freundschaftlich (vielleicht auch, weil ein ehemaliger Abgeordnetenkollege das Lobby-Büro des Unternehmens in Berlin führt), darf es dann auch eine kleine, mittlere oder größere Barspende für den schweren Wahlkampf des Volksvertreters sein. Man kennt sich, man hilft sich, hätte man früher im Rheinland dazu gesagt.

Das führt allerdings im Umkehrschluß dazu, daß das Unternehmen oder der Unternehmensverband eines Tages vor der Tür des Abgeordneten steht und um einen Gefallen bittet. Dann nämlich, wenn es darum geht, wichtige Beschaffungen durch den Haushaltsausschuß zu bringen oder einen Auftrag so auszuschreiben, daß nur ein bestimmtes Unternehmen ihn bekommen kann. Dabei geht es immer um Millionen-, manchmal auch um Milliardenbeträge. Im Regelfall läuft das wie geschmiert. Nur einfältige Wähler glauben noch daran, daß der Volksvertreter in erster Linie dem Wohl des deutschen Volkes verpflichtet wäre. Arentz war, wenn man es richtig besieht, in diesem Spiel nur ein ganz kleines Licht. 


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