© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 01/05 31. Dezember 2004

Grüne Erziehungsdiktatur
Antidiskriminierungsgesetz: Mit ihrem Gesetzesvorhaben setzt die rot-grüne Koalition ein weiteres Kernprojekt des gesellschaftlichen Umbaus durch
Peter Freitag

Ein Skinhead, dem der Zutritt zum Eine-Welt-Laden verwehrt wurde? Oder der Satanist ohne Chance auf eine Anstellung in der christlichen Buchhandlung? Solche heute noch möglichen Szenarien dürften bald der Vergangenheit angehören! Denn wieder haben sich die rot-grünen Regierungsparteien eines der drängendsten Probleme in diesem unserem Lande angenommen und Abhilfe ersonnen, diesmal in Gestalt des Gesetzes zum Schutz vor Diskriminierung, kurz Antidiskriminierungsgesetz, noch kürzer ADG: "Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen."

Wer dachte, dies sei doch schon seit jeher im Gleichheitsgrundsatz (Artikel 3 des Grundgesetzes) Bestandteil der Grundrechte, wird eines besseren belehrt. Denn während der Artikel 3 GG die staatliche Gewalt bindet, greift das neue Gesetz in den privaten Rechtsverkehr der Bürger untereinander ein. Wo früher lediglich der Schutz des Einzelnen vor staatlicher Willkür im Vordergrund stand, sollen jetzt die Bürger vom Staat zu moralisch gutem Handeln erzogen werden.

Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ist erleichtert, die "Homo-Ehe" geschaffen und das Zuwanderungsgesetz verabschiedet worden - nun rückt mit dem am vergangenen Mittwoch vorgestellten Antidiskriminierungsgesetz ein weiteres linkes Herzensanliegen auf der politischen Tagesordnung ganz nach oben.

Artikel 3 des Grundgesetzes verbietet Diskriminierung

Vordergründig wollen die Fraktionen von SPD und Bündnis90/Die Grünen nur eine im vergangenen Jahr von der EU-Kommission erlassene Direktive zum Schutz der Bürger vor Diskriminierung umsetzen. Allerdings hätte laut dieser europäischen Richtlinien nur eine Benachteiligung aufgrund von "Rasse" und "ethnischer Herkunft" sanktioniert werden müssen; das deutsche Gesetzesvorhaben geht also mit den Merkmalen sexuelle Identität, Geschlecht, Alter, Weltanschauung und Behinderung über die Forderungen noch hinaus. Damit haben sich im Ringen um das Zustandekommen des ADG die Grünen entscheidend durchgesetzt.

Die bremsenden Kräfte innerhalb der Regierung - hauptsächlich von seiten der Sozialdemokraten und aus dem Bundesjustizministerium - konnten allerdings den Entwurf insofern entschärfen, daß die zusätzlichen Gesichtspunkte im geschäftlichen Bereich nur bei sogenannten "Massengeschäften", nicht jedoch im privaten "Nahbereich" greifen. "Massengeschäfte" sind an eine Vielzahl von Personen gerichtete Angebote. Das heißt, daß zum Beispiel Vermieter bei der Auswahl von Mietern nur dann an diese strengeren Vorgaben gebunden sind, wenn sie mehrere Wohnungen im Angebot haben; wer eine Einliegerwohnung in unmittelbarer Nähe zum eigenen Wohnbereich vermietet, für den gilt das Diskriminierungsverbot nur nach den europäischen Merkmalen von Rasse und Ethnie. Der potentiell ausländerfeindliche Deutsche dürfte in einem solchen Fall einen Ausländer als Vertragspartner ablehnen, weil dieser beispielsweise Moslem ist, nicht jedoch weil er Türke ist.

Diese Zugeständnisse habe man eingeräumt, so der parlamentarische Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion Volker Beck, weil man keine "Erziehungsdiktatur" anstrebe, sondern ein "positives gesellschaftspolitisches Zeichen" setzen wolle.

Genau das sehen die Vertreter betroffener Wirtschaftsbereich natürlich ganz anders. Von einer "empfindlichen Einschränkung" der Vertragsfreiheit spricht die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, und die Vorsitzende des Bundes Junger Unternehmer nennt das Vorhaben ein "Minenfeld für die Unternehmer". Bisher durften Vertragspartner ihr Gegenüber und die jeweiligen Inhalte nach Belieben aussuchen; und Einschränkungen gegen gesetzes- oder sittenwidriges Geschäftsgebaren setzte auch bisher schon das Bürgerliche Gesetzbuch.

Ein besonderes Schmankerl in punkto Regulierungswahn erfanden die Kreativen von Rot-Grün mit der sogenannten "verschobenen Beweislast": Wer sich durch das Nichtzustandekommen eines Vertrages benachteiligt fühlt, kann schon vor Gericht ziehen, indem er "glaubhafte Hinweise" für seine Diskriminierung liefert. Akzeptiert das Gericht dies, muß der Beklagte beweisen, daß dem nicht so ist! Wegen dieser "gesteigerten Darlegungspflicht" seien "Diskriminierungsopfer" nicht länger "nur Opfer und Bittsteller", sondern könnten sich "endlich selbstbewußt gegen Benachteiligungen zur Wehr setzen", so die frauenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion Irmingard Schewe-Gerigk. Wie dieses im konkreten Einzelfall geschehen kann, bleibt ihr Geheimnis. Besonders verlockend für angebliche "Diskriminierungsopfer", die gerichtliche Auseinandersetzung zu suchen, muß die Aussicht auf den Erhalt von Schadensersatz oder Schmerzensgeld wirken, den das Gesetz ausdrücklich vorsieht.

Selbst für den Fall, daß die Gerichte in der Praxis nicht leichtfertig solche Ansprüche zugestehen, ist die drohende Prozeßflut absehbar. Wer bei der telefonischen Wohnungssuche vom zuständigen Vermieter oder Makler abgewimmelt wird, muß nur ein Merkmal finden, das eine Diskriminierung verbietet, um den unwilligen Gesprächspartner in Bedrängnis zu bringen. Und jede Männer-Wohngemeinschaft könnte sich mit dem Hinweis auf die "sexuelle Identität" der betreffenden Interessenten einen Wettbewerbsvorsprung schaffen; die Frage, ob und wie dieses entsprechende Kriterium "bewiesen" werden kann, verweist in den Bereich des Unappetitlichen.

Die Macht von Minderheiten-Lobbies wird weiter wachsen

Neu ist das Vorhaben keineswegs. Bereits im Jahr 2002 hatte die damalige Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin einen entsprechenden Entwurf zur Vorlage bereitgehalten. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte jedoch angesichts der kurz bevorstehenden Bundestagswahl das ganze Projekt gestoppt, nachdem vor allem von seiten der Wirtschaftsverbände und der Kirchen massiv Kritik geübt worden war. Angesichts des damals zunächst drohenden Machtverlustes ließ der sozialdemokratische Regierungschef die Sonderinteressen der vorrangig grünen Klientel über die Klinge springen.

So geht auch dem zweiten Anlauf zum Antidiskriminierungsgesetz ein koalitionsinternes Feilschen um einzelne Punkte voraus, in denen manche weitergehenden Wünsche des kleineren Partners auf Drängen der Sozialdemokraten abgebogen wurden. Das betrifft vor allem die Sonderstellung kirchlicher Einrichtungen, die als sogenannte Tendenzbetriebe weiterhin das religiöse Bekenntnis als Einstellungs- oder Auswahlkriterium aufrechterhalten können. Doch auch dieses Bollwerk hätte nach dem Willen der Grünen geschliffen werden sollen: So forderte die niedersächsische Landtagsfraktion der Partei, daß Religionszugehörigkeit künftig kein ausschlaggebendes Einstellungskriterium in kirchlichen Kindertagesstätten sein dürfe.

Die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann hatte bekräftigt, daß auch weiterhin nur Kirchenmitglieder als Erzieher in evangelischen Kindergärten tätig werden dürften. Die Grünen fordern nun, daß vermehrt Personal türkischer Herkunft eingestellt werden sollte: "Bereits heute besuchen viele Kinder türkischer Herkunft kirchliche Kitas. Wenn wir erreichen wollen, daß Integration bereits im Kindergarten beginnt, brauchen wir auch dort Erzieherinnen und Erzieher, die die Sprache dieser Kinder verstehen und guten Zugang zu deren Eltern haben", so die für Kinder- und Jugendpolitik zuständige grüne Landtagsabgeordnete Meta Janssen-Kucz. Bei welcher religiösen Konfession oder gar Sektenzugehörigkeit - etwa den Zeugen Jehovas oder bekennenden Scientologen - nach solchen Maßstäben ansonsten eine Grenze gezogen werden könnte, verschweigen die Grünen. Wenn die Kirche jedoch auch weiterhin an ihrer bisherigen Einstellungspraxis festhält, müßte sie nach der für Anfang 2005 geplanten Einführung des Antidiskriminierungsgesetzes nicht mit Sanktionen rechnen. Problematischer wird es bei der Frage, ob beispielsweise Alten- und Pflegeheime in christlicher Trägerschaft einen Moslem ablehnen könnten.

Die ausdrückliche Festschreibung der "sexuellen Identität" in den Antidikriminierungs-Merkmalen zeigt den großen Einfluß der Homosexuellen-Lobby insbesondere auf die Positionierung von Bündnis 90/Die Grünen. Die lautstark vertretenen Interessen dieser Minderheit können im Falle des Inkrafttretens des ADG noch für Furore sorgen, besonders in arbeitsrechtlicher Hinsicht. Denn noch immer sind bekennende Homosexuelle in zahlreichen kirchlichen Bereichen als Arbeitnehmer unerwünscht, nicht zuletzt aufgrund der Gefühle von Gläubigen. Und dort stellt sich dann die Frage, welches Rechtsgut höher zu achten wäre.

Eine weitere Aufblähung erfährt das Antidiskriminierungsgesetz durch die Notwendigkeit, bestimmte Ausnahmen hinsichtlich der Benachteiligung zuzulassen. Dort nämlich, wo auch dem vehementesten Gleichheitsfanatiker der Ausschluß bestimmter Merkmale - besonders bei Alter oder Behinderung - sinnvoll erscheint. Auch fortan wird sich ein Blinder nicht in den Fahrschulwagen und ein 61jähriger nicht ins Cockpit eines Düsenjägers klagen können. Gleiches gilt für positive Diskriminierung. Der Mittvierziger wird auch künftig keinen Rechtsanspruch auf die "BahnCard-Senior" geltend machen können, ebensowenig wie auf das Kinderfischgericht "Käpt'n Blaubär" zu 3,50 Euro.

Die oppositionelle Union steht dem Vorhaben ablehnend gegenüber; nach ihrer Ansicht besteht für ein solches Gesetz keine Notwendigkeit, da der im Grundgesetz festgeschriebene Gleichbehandlungsgrundsatz einen ausreichenden Schutz der Bürger vor Diskriminierung garantiere. Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Norbert Röttgen, spricht daher von "politischem Symbolismus", der dem Gesetzesantrag zugrunde liege, und warnt vor "einem Großangriff auf die Freiheitsgestaltung des Bürgers".

Für die CSU kritisierte ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Peter Ramsauer das geplante Antidiskriminierungsgesetz als weiteren "Schritt in die Überregulierung von Wirtschaft und Gesellschaft" und "Einfallstor für eine wahre Prozeßflut in den Arbeits- und Geschäftsbeziehungen". Daraus könnten, so Ramsauers Befürchtung, negative Folgen für die Beschäftigungssituation resultieren. Besonders die im Entwurf vorgesehene Beweislastumkehr ist in den Augen der Opposition unsinnig: "Es ist eine lebensfremde Vorstellung, daß ein Geschäftsmann künftig im Extremfall nachweisen muß, daß er sich bei der Ablehnung eines Kunden ausschließlich von sachlichen Gründen hat leiten lassen und den Abgewiesenen nicht diskriminieren wollte", so Ramsauer.

Die Union hat keine Pläne zu einer großen Gegenkampagne

Daß die Union ihre Gegnerschaft zum rot-grünen Gesetzesvorschlag allerdings zu einer großangelegten Kampagne ausbauen wird, ist momentan nicht ersichtlich. Denn es gibt auch in den Reihen ihrer Fraktion Stimmen, die dem Vorhaben grundsätzlich positiv gegenüberstehen und nur seine Umsetzung kritisieren. Maria Eichhorn, Vorsitzende der CDU-Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sowie ihre Kollegen Markus Grübel und Hannelore Roedel begrüßen in einer Pressemitteilung, daß die Regierungskoalition die Vorgaben der EU-Kommission jetzt endlich in ein nationales Gesetz gegen Diskriminierung einbaut; lediglich die Tatsache, daß Rot-Grün noch über die Brüsseler Maßstäbe hinausgeht, ist in ihren Augen kritikwürdig. So lautet denn auch das Fazit der drei Bundestagsabgeordneten versöhnlicher als das ihrer Parteifreunde: "Der Entwurf verfolgt das richtige Ziel, muß aber praxistauglicher werden."

Offenbar herrscht auch bei den Christdemokraten eine gewisse Scheu, gegen die "Antidiskriminierung" offensiv zu Felde zu ziehen. Allzu leicht könnte daraus der Vorwurf resultieren, man rede der Diskriminierung das Wort. So betonen Eichhorn und ihre Kollegen, die CDU/CSU-Fraktion setze "sich nachdrücklich für die Bekämpfung von Diskriminierungen in der Gesellschaft ein".

Daß sich in einem Rechtsstaat willkürliche Benachteiligungen bestimmter Bevölkerungsgruppen von selbst verbieten, haben schon die Väter des Grundgesetzes festgelegt. Im Unterschied zu den rot-grünen Eiferern galt ihnen jedoch auch die Vertragsfreiheit der Bürger und deren Privatautonomie im Rahmen der guten Sitten als unantastbar. Und "discriminare" heißt schließlich: "unterscheiden".

Kerstin Müller, Volker Beck, Renate Künast, Marieluise Beck, Claudia Roth: Antidiskriminierungsgesetz als weiteres linkes Herzensanliegen


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