© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 01/05 31. Dezember 2004

WIRTSCHAFT
Gewerkschaften für Lohnsenkungen
Bernd-Thomas Ramb

Nach einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHK) halten mehr als 50 Prozent der westdeutschen Industrieunternehmen eine Arbeitszeitverlängerung ohne vollen Lohnausgleich in den kommenden drei Jahren für unumgänglich. Bei den laufenden Tarifverhandlungen spielt dieser Aspekt eine dementsprechend zentrale Rolle, insbesondere wenn es um die Zusicherung der Unternehmen geht, betriebsbedingte Kündigungen für eine absehbare Zeit auszuschließen. Auch in Nachbarländern wird das Thema diskutiert. So will Frankreich, das Mutterland der gesetzlich verordneten 35-Stunden-Woche, den Unternehmen künftig 220 "Überstunden" pro Beschäftigten und Jahr erlauben.

Nachdem die Gewerkschaften lange Jahre die Arbeitszeitverkürzung - natürlich mit vollem Lohnausgleich - als Allheilmittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit forderten, steht jetzt das Gegenteil an: längere Arbeitszeit bei unverändertem Monatslohn, um Arbeitslosigkeit zu verhindern. Seriöse Wirtschaftswissenschaftler hatten es stets vorausgesagt: Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich bedeutet Erhöhung der Stundenlöhne und damit einen Rückgang der Nachfrage nach Arbeitskräften, also eine Zunahme der Arbeitslosigkeit. Endlich haben das die Gewerkschaften - zumindest halbwegs - verstanden. Die Erhöhung der Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich führt zu einer Senkung des Stundenlohns und damit zu einer Kräftigung der Arbeitsnachfrage. Im momentanen Umfang reicht das aber nur zur Aufrechterhaltung des aktuellen Beschäftigungsstands. Um darüber hinaus Neueinstellungen zu erreichen, müßten die Löhne noch weiter sinken. Über weitere Arbeitszeitverlängerungen ist dies kaum möglich.


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