© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/03 19. Dezember 2003 u. 01/04 26. Dezember

Die Geißel unseres Jahrhunderts
Peter Waldmann widmet sich unaufgeregt und kenntnisreich dem Phänomen des internationalen Terrorismus
Ernst Kulcsar

Selbstmordkommandos, Aktivisten in fundamentalistischen Netzwerken oder gar Freiheitskämpfer? Die Terrorismus-Debatte hat mit den beiden Anschlägen in Istanbul einen neuen Auftrieb erhalten. Seit sich die Politik in die Diskussion eingeschaltet hat, kann die Vernunft sich nur schwer durchsetzen.

Peter Waldmanns Buch "Terrorismus und Bürgerkrieg" besticht daher durch eine strenge Sachlichkeit und Wissenschaftlichkeit und hebt sich somit von dem zeitweilig in den Medien hysterisch geführten politischen Disput eindeutig ab. Er geht zunächst auf den Funktionsverlust des Staates ein und bezeichnet in "Die Gewalttäter und ihre Perspektiven" jene Länder als "Nährboden des Terrorismus", wo die Chancen der Jugendlichen, durch "eigene Anstrengungen der Misere zu entkommen", praktisch gleich Null sind. Waldmann schlußfolgert, Gewalt sei für diese Gruppe "eine der wenigen Möglichkeiten, sich allgemeine Achtung und Respekt zu verschaffen." Es gehe den Terroristen dabei "nur zweitrangig um den Zerstörungseffekt, primär ging es um 'Signale und Botschaften'".

Waldmann sieht eine "erhebliche Diskrepanz" des Zeitverständnisses zwischen Terroristen und westlichen Politikern, da diese "in starkem Maße von Zyklen von vier bis sechs Jahren geprägt" ist. Terroristen planen aber in Jahrzehnten. Das Zielverständnis variiert nach den drei Haupttypen des Terrorismus: ethnisch-national ("starke Fixierung auf die Vergangenheit"), sozial-revolutionär ("fast blindes Vertrauen in die Zukunft") und religiös ("eine bessere Bewältigung der Gegenwart"). So haben sich bin Laden und al-Qaida zwar an die Spitze einer Organisation mit "millenaristischen Zielen" gesetzt, aber es wurde bewiesen (Th. Scheffler), daß von solchen Absichten "nicht die Rede sein kann".

Sodann geht Waldmann in "Fallstudien" der Frage nach, ob Deutschland ein Nährboden des radikalen Islamismus sei. In Deutschland leben 3,2 Millionen Muslime, die Hälfte ist unter 25 Jahren alt. Schwerpunktmäßig gehören sie zur "sozialen Unterschicht". Es wurden etwa 2.200 Moscheengemeinden gezählt. Zwar gab es laut Verfassungsschutzbericht 1997 22 islamistische Organisationen mit zirka 31.000 Mitgliedern, aber Waldmann meint, "als Nährboden eines radikalen Islamismus im engeren Sinn kann man die Bundesrepublik schwerlich bezeichnen", denn "generell ist das Deutschlandbild in den nahöstlichen Ländern noch zu positiv besetzt, als daß es sich zur Feindstilisierung für ein terroristisches Projekt eignen würde".

In "Der Interessenkonflikt zwischen Massenmedien und politischer Führung" weist Waldmann auf eine "natürliche Allianz" oder eine "symbiotische Beziehung" zwischen Terroristen und Massenmedien hin, vor allem der "Boulevardpresse und dem Fernsehen". Nun zählt Terrorismus aber zu den Themen, die von "Regierenden mit Vorliebe für politische Zwecke ausgeschlachtet werden". Die von der Politik vielbeschworene Gefahr, den Terroristen unbeabsichtigt Informationen zu liefern, zwingt die Journalisten genau das zu tun, was diese erreichen wollen: durch "freiwillige Selbstzensur" der Medien einen erster Schritt zur Beschneidung von Informations- und Meinungsfreiheit zu tun und die Demokratie "in Mißkredit zu bringen und letztlich zu ruinieren".

In seinen "Schlußbemerkungen" belegt Waldmann, wie die Opfer in den "Genuß einer gewissen Anerkennung und Würde" gelangen, um dann bald zum Täter zu werden. Spätestens jetzt fällt auch auf, daß Waldmann den israelisch-palästinensischen Konflikt nur sehr stiefmütterlich behandelt hat, vielleicht auch nur aus Selbsterhaltungstrieb.

Die Leser möchten schon wissen, ob der "Besuch des Tempelberges durch Ariel Scharon im Herbst des Jahres 2000 nicht eine bewußte und gezielte Herausforderung der palästinensischen Minderheit war, welche diese zu einer militanten Reaktion verführen und damit der israelischen Regierung einen Vorwand liefern sollte, die Palästinenserfrage militärisch zu 'lösen'". Nach Einschätzung Waldmanns sind die Chancen der Kontrolle von politischer Gewalt "eher skeptisch zu bewerten".

Peter Waldmann: Terrorismus und Bürgerkrieg. Der Staat in Bedrängnis. Gerling Akademie Verlag, München 2003, broschiert, 270 Seiten, 21,50 Euro


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