© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/03 19. Dezember 2003 u. 01/04 26. Dezember

Laizistischer Angriff auf das Christentum
Frankreich: Der Streit um das islamistische Kopftuch hat eine neue Debatte über die religiöse Neutralität des Staates ausgelöst
Charles Brant

Um sich islamischer Missionierungsbestrebungen zu erwehren, appelliert die Grande Nation an "Republikanismus" und "Laizismus". Die christliche Tradition gerät dabei ins Hintertreffen. Die französische Regierung sucht der politisch-religiösen Agitation der Islamisten durch rituelle Beschwörungen des "republikanischen Pakts" Paroli zu bieten.

Deshalb hat der französische Präsident Jacques Chirac vor sechs Monaten eine 20köpfige Laizismus-Kommission beauftragt, nach Wegen zu suchen, die "republikanischen Wurzeln des Laizismus" zu stärken, "kommunitaristische Irrwege" zu verhindern und gegebenenfalls das 1905 erlassene Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat zu revidieren. Unter dem Vorsitz von Bernard Stasi, einem Studienfreund Chiracs aus dessen Zeit an der "Kaderschmiede" École Nationale d'Administration (ENA), sprach die Kommission mit 120 Fachleuten und Vertretern der schätzungsweise fünf Millionen Muslime und der etwa eine halbe Million Juden. Ihre Ergebnisse liegen seit letzter Woche vor.

Demonstrative religiöse Zeichen wie muslimische Kopftücher, große christliche Kreuze oder jüdische Kippas sollen nach Ansicht der Laizismus-Kommission an öffentlichen Schulen verboten werden. Notwendig sei dazu ein Gesetz, um die weltanschauliche Unabhängigkeit des Staates strikt durchzusetzen. Stasi erklärte unter Anspielung auf den islamischen Fundamentalismus, das vorgeschlagene Gesetz würde Kräften entgegentreten, "die das Land zu destabilisieren versuchen".

Zum höchsten jüdischen Festtag Jom Kippur und zum moslemischen Opferfest Aïd el-Kébir soll wie zu Weihnachten an den staatlichen Schulen schulfrei gelten. Frankreich wäre das erste EU-Land, das diese Feiertage anerkennt, erklärte Kommissionsmitglied Patrick Weil. "Diskrete" religiöse Symbole wie kleine Kreuze, Davidsterne oder Fatima-Hände müßten allerdings toleriert werden. In ihrem Bericht fordert die "Stasi-Kommission" auch, in den Schulen vermehrt Arabisch zu unterrichten.

In einem Klima, das von dem Streit um die Verschleierung islamischer Frauen geprägt ist, mühte sich die Laizismus-Kommission darum, eine "republikanische" Haltung zu definieren, die der Situation gerecht wird, ohne gegen den Grundsatz der Gleichheit zu verstoßen. Der Gedanke eines neuen "Gesetzes zum Laizismus", wie sie es vorgeschlagen hat, stößt durchaus auf Gegenliebe.

In diesem Sinne arbeitete bereits ein Ausschuß unter dem Vorsitz des Präsidenten der Nationalversammlung, Jean-Louis Debré, zur Frage "religiöser Symbole in der Schule", bestehend aus 31 Abgeordneten, die teils der bürgerlichen Regierungspartei UMP, teils der Opposition angehörten. Die Empfehlungen, die er am 12. November vorlegte, sehen eine "gesetzliche Verfügung" vor, die in "knappen, simplen und klaren" Worten "das sichtbare Tragen jeglicher religiöser und politischer Symbole" in allen Staatsschulen und vertraglich gebundenen Privatschulen untersagt. Auch die Sozialistische Partei (PS) sprach sich für ein Verbot "des offensichtlichen Tragens jeglicher religiöser, politischer oder philosophischer Symbole in allen staatlichen Schulen" aus.

Premier Jean-Pierre Raffarin, Innenminister Nicolas Sarkozy, Justizminister Dominique Perben, Bildungsminister Luc Ferry und der UDF-Chef François Bayrou zählen zu denjenigen, die einer gesetzlichen Regelung skeptisch gegenüberstehen. Bayrou, der aus der Christdemokratie kommt, hält ein Gesetz, das alle religiösen Symbole aus der Schule verbannt, für "gefährlich". Dem Integrismus - der islamischen Vorstellung einer Einheit von Religion und Staat - könne man "kein schöneres Geschenk machen, als das Christentum anzugreifen", fügt Bayrou hinzu.

Religiöse Symbole in der Schule verbieten

Auch die französischen Bischöfe beziehen unmißverständlich Position. Bei ihrer Versammlung in Lourdes im November begründeten sie ihre Ablehnung des Vorschlags mit der Weigerung, den Glauben in die Privatsphäre zurückgedrängt zu sehen, und der Befürchtung, ein solches Gesetz würde das Mißtrauen gegenüber den Religionen zur offiziellen Staatsdoktrin machen. Im Figaro sprach der Erzbischof von Straßburg, Joseph Doré, von einem Klima des zunehmenden "Verdachts gegen das Religiöse". "Unter dem Vorwand, integristische Bestrebungen und extremistische Entwicklungen zu verhindern, scheinen gewisse Geister derzeit gewillt, jeglichen öffentlichen Ausdruck des Religiösen zu unterbinden und zu unterdrücken, um ihn auf die Sphäre des Gewissens zu beschränken. Die Intoleranz, die somit entsteht, bedeutet den endgültigen Sieg des Integrismus."

Der "Laizismus" ist den französischen Katholiken in schlechter Erinnerung. Das Gesetz von 1905, das Trennung von Kirche und Staat festgelegte, wird zwar gerne zitiert, dabei jedoch vergessen, daß ihm ein regelrechter Bürgerkrieg vorausging, der mit der Französischen Revolution begann. Damals ging es darum, den "Aberglauben" zu bekämpfen und die Gottesanbetung durch den Kult der Vernunft zu ersetzen. Die Verfolgungen, denen sich Priester und Gläubige ausgesetzt sahen, zielten darauf, die Kirche dem Staat zu unterwerfen und die Religion abzuschaffen.

Das Konkordat, das Napoleon Papst Pius VII. 1801 aufzwang, stellt die französische Kirche unter staatliche Obhut, stellt aber den Religionsfrieden wieder her und erlaubt Chateaubriand, vom "Triumph des Christentums" zu schreiben. Es dauerte nicht lange, bis die Rückkehr des Katholizismus die Erben des Jakobinertums zu irritieren begann. Sie sahen darin ein "Bündnis zwischen Thron und Altar" und nahmen das Konkordat aufs Korn. Während des Zweiten Kaiserreichs erhob Léon Gambetta die Kritik an dieser Entwicklung zur zentralen Forderung der Republikaner. Im Mai 1877 erließ er die Parole: "Unser Feind ist der Klerikalismus."

In der Dritten Republik erreicht der Haß auf den Klerus unerhörte Ausmaße. Zu den Protagonisten dieser Haltung gehören Jules Ferry, dem "eine Menschheit ohne König und ohne Gott" vorschwebt, Emile Combes, Paul Bert, Pierre Waldeck-Rousseau. Die einflußreiche Pariser Freimaurerloge Le Grand-Orient bildet die Speerspitze einer Bewegung, die die Schulbildung dem Einfluß der Kirche entziehen will und den Katholiken mangelnde "republikanische Treue" vorwirft. General André läßt Offiziere bespitzeln, die er des Katholizismus verdächtigt. Auch der spätere Marschall Foch fällt ihm zum Opfer.

Trennung von Kirche und Staat seit 1905 in Kraft

Zwei wichtige Gesetze entstanden in dieser Zeit: 1901 das Gesetz zur Vereinigungsfreiheit, die ausdrücklich nicht für religiöse Vereinigungen gilt. Das Gesetz von 1905 zur Trennung von Kirche und Staat zerschlägt das Konkordat. Papst Pius X. kritisierte es als "nicht der Trennung, sondern der Unterdrückung" zuträglich. Der "republikanische Laizismus" wurde damit zur Staatsreligion erhoben, was zur Folge hatte, daß das Volk in zwei Lager gespalten und das Verhältnis zum Vatikan dauerhaft beschädigt wurde, bis hin zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Erst 1921 wurden sie auf Betreiben Aristide Briands wiederhergestellt.

Was heute niemand zu sagen wagt, ist, daß der französische Laizismus einen Sonderweg darstellt, den außer der Türkei - mit den bekannten Schwierigkeiten - kein anderes Land beschritten hat. In der Europäischen Union gibt es nirgendwo etwas Vergleichbares. Verschwiegen wird auch, daß ein Gesetz zum Laizismus den Islam und das Christentum auf dieselbe Stufe stellen muß. Frankreichs Widerstand gegen jeglichen Bezug auf das christliche Erbe in der Präambel der europäischen Verfassung ist bezeichnend. Gewisse "laizistische" Abgeordnete der Linken, die sich auf die "Neutralität der Republik" beriefen, um ihr Erstaunen über die Teilnahme der Präsidentengattin und des Premierministers an den Feierlichkeiten zu Papst Johannes Pauls II. 25jährigen Jubiläum in Rom kundzutun, regen sich keineswegs darüber auf, daß der Staat den Moscheebau finanziert - aus Angst, sonst käme das Geld aus Saudi-Arabien. So droht die "republikanische Neutralität" zu einer Büchse der Pandora zu werden, aus der unversehens noch alle möglichen Übel herausfliegen können.

Zum einen könnte der Konflikt um den Status von Privatschulen entfacht werden. Eine andere Befürchtung lautet, daß dieses Gesetz gegen sämtliche religiösen Symbole angewandt werden könnte, einschließlich des christliches Kreuzes. Vor allem aber geht es um die Verleugnung der christlichen Tradition, um ihre Unterwerfung unter die republikanische Norm. Ist es nicht bezeichnend, daß der Pfingstmontag - für Christen ein wichtiger Tag, an dem vielerorts Wall- und Pilgerfahrten stattfinden - ohne jede Diskussion als Feiertag abgeschafft werden konnte?

Manche reden von einer Strategie zur "Einfügung" des Islams in den "republikanischen Laizismus". Mit anderen Worten, man kommt den Vertretern des Islams in der Hoffnung entgegen, daß der Islamismus sich letztlich in der Republik auflösen wird. Dabei gerät aber die unmißverständliche Haltung des von Sarkozy ins Leben gerufenen französischen Islamrates in der Kopftuchfrage ebenso in Vergessenheit wie die Tatsache, daß diese Organisation dem Laizismus nur formell Tribut zollt.

Die Rückbesinnung auf den Laizismus wird zur Folge haben, daß Frankreich der Islam aufgezwungen wird. Diese Absicht entspricht nicht nur dem Zynismus des Präsidenten, sondern auch dessen Überzeugungen - daß Chirac dem radikalen Sozialismus seiner Familie nachhängt, ist bekannt. Als Beleg mag ein Ausspruch dienen, den Philippe de Viliers, Vorsitzender der "Bewegung für Frankreich" (Mouvement pour la France/MPF), zitiert. Bei einer Beratung der Parteivorsitzenden über eine mögliche Volksabstimmung zur europäischen Verfassung habe das Staatsoberhaupt gesagt: "Europa hat seine Wurzeln ebenso im Islam wie im Christentum."


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