© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/03 19. Dezember 2003 u. 01/04 26. Dezember

Das Wunder von Dresden
Frauenkirche: Die "Steinerne Glocke" schwebt über der Landeshauptstadt / Einzigartiges Beispiel gesamtdeutscher Solidarität / Wiederaufbau hat Denkmalpflege befördert
Paul Leonhard

Der weiße Sandstein der Frauenkirche leuchtet über der Brühlschen Terrasse. Die mächtige Kuppel, das Wahrzeichen Dresdens, dominiert wieder die Altstadt. Weithin sichtbar präsentiert sich die "Steinerne Glocke" der barocken Kirche, die einst Ratsbaumeister George Bähr geschaffen hat. Stück für Stück ist sie in den vergangenen Jahren aus der Leere wiedererstanden. Jetzt schließt sie die schmerzhafte Lücke, nimmt ihren angestammten Platz im Ensemble von Hofkirche, Schloß und Kunstakademie ein - überragt nur von einem schmalen orangenen Kran, der gleichzeitig die Baustelle Innenstadt symbolisiert.

Für viele alte Dresdner ist der Anblick der über den Dächern der Stadt schwebenden Kuppel immer wieder ein bewegendes Erlebnis. Es ist für sie ein Bild, das sie seit ihrer Kindheit in den Herzen geborgen trugen. Immer mit der Hoffnung, noch erleben zu können, daß es die Frauenkirche wieder gibt. Daß Dresden ohne die größte Steinkuppel nördlich der Alpen nicht Dresden ist, hat sich auch auf die nachfolgenden Generationen übertragen. Selbst die Jugendlichen, groß geworden in der Spaßgesellschaft, verfolgen das Wachsen des Bauwerkes am Neumarkt mit Ehrfurcht und Anteilnahme.

Jetzt, im Dezember 2003, ist die Frauenkirche "fast fertig", wie Ludwig Güttler, Startrompeter und Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden e.V., betont. Güttler gehört zu jenen Prominenten, die seit mehr als einem Jahrzehnt leidenschaftlich Spenden und Unterstützung für das einmalige Bauprojekt einwerben. Ein Engagement, daß so aktuell wie am ersten Tag ist. Denn noch fehlen Mittel, noch muß zwei Jahre lang nach einem eng gesteckten Terminplan gearbeitet werden, bevor die Kirche am 30. Oktober 2005 geweiht werden kann.

Nur wenige dunkle Stellen weisen die Mauern des "historischen Neubaus" auf. Die schwarzen Sandsteine deuten darauf hin, daß hier altes Material verwendet wurde, daß ein archäologischer Wiederaufbau mit aus den Trümmern geborgenen und sorgfältig katalogisierten Sandsteinbrocken stattgefunden hat. Die größten sind die beiden Ruinenteile, die fast ein halbes Jahrhundert den Trümmerberg rahmten.

Die Frauenkirche kündet aber nicht nur vom Können der Bauhandwerker, Planer und Architekten, sondern auch von einem einzigartigen Enthusiasmus, der ganz Deutschland angesteckt hat und sicher einen nicht unwesentlichen Anteil am Zusammenwachsen zwischen Ost und West hatte. Immerhin stammt der übergroße Anteil der verbauten Gelder aus privaten Spenden. Insgesamt 125 Millionen Euro sind veranschlagt. Bis zur Fertigstellung fehlen nach Aussage von Finanzdirektor Heinz Wissenbach noch 17 Millionen Euro.

Der Wiederaufbau der Frauenkirche habe das denkmalpflegerische Engagement in Deutschland befördert, lobt Professor Gottfried Kiesow, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Das Dresdner Gotteshaus sei für zahlreiche Menschen zum mutmachenden Beispiel geworden, sich für die Bewahrung oder Wiederherstellung zerstörter oder baufälliger Baudenkmale einzusetzen.

Auch Amerikaner und Briten beteiligten sich am Aufbau

Das bürgerschaftliche Engagement für den Wiederaufbau der Kirche ist einmalig. Die Frauenkirche ist mehr als ein Gotteshaus. Sie ist ein Symbol für den Wiederaufbauwillen nach dem Krieg. Sie ist ein Stück gelebte deutsche und auch europäische Einheit. Sie hat aus ehemaligen Kriegsgegnern Freunde werden lassen. Denn auch US-Amerikaner und Briten beteiligen sich am Aufbau des Gotteshauses. Und es ist ein Bekenntnis der Dresdner zu ihrer geliebten, in der Nacht des 13. Februars 1945 zerstörten Stadt. Deswegen ringen heute Bürgerinitiativen - wie am Neumarkt - hartnäckig um jedes Stückchen unbebauter Innenstadt, um hier schon verloren Geglaubtes nach alten Zeichnungen und Fotos wieder entstehen zu lassen. Die prächtige Bährsche Kirche ist dafür das beste Argument.

Rückendeckung kommt auch hier von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Nach der Fertigstellung der Frauenkirche ginge es um den qualitätsvollen Wiederaufbau der Bürgerstadt um das Gotteshaus nach historischem Vorbild, sagt Kiesow. Die Stiftung sei bereit, Unterstützung zu geben.

Als Ruine zog die Frauenkirche viele Neugierige und Exil-Dresdner an. Als Baustelle entwickelte sie sich zu einem Besuchermagneten. Jetzt, knapp zwei Jahre vor der Fertigstellung, sind es monatlich 35.000, die die begehbare Baustelle besichtigen, die an den Gottesdiensten in der Unterkirche teilnehmen. Sieben feste Termine für kostenlose Führungen (Spenden sind erwünscht) gibt es täglich. Bis zu 280 Interessierte pro Führung sind es zur Zeit, die einen Besuch des Striezelmarktes mit einer Besichtigung der Baustelle verknüpfen. Dazu kommen zahlreiche Sonderführungen. Kaum ein prominenter Künstler oder Politiker, der nicht ehrfürchtig an der Baustelle Frauenkirche gestanden hat. Die einstige CDU-Bundesregierung hat den Wiederaufbau mit einer Sondermünze unterstützt. Das Handgelenk zahlreicher Bundesbürger ziert eine der zahlreichen Frauenkirchenuhr-Editionen der Dresdner Stadtsparkasse mit einem kleinen Stückchen Originalsandstein. Das Sächsische Staatsweingut Schloß Wackerbarth unterstützt mit einer Edition von Weinen und Sekten den Wiederaufbau. Die Dresdner Bäcker spenden und zahlreiche Firmen in der Bundesrepublik. Überhaupt künden die Spendenaktionen von viel Phantasie. Allein die Adoption von 25.000 Fassadensteinen durch goldene Stifterbriefe für je 1.500 Euro erbrachte 37 Millionen Euro. Zurzeit werden die 1.833 Sitzplätze für je 10.000 Euro verkauft. Auch hier sind die besten Plätze längst weg. Ab 750 Euro wird der Spendername übrigens auf Stiftertafeln in der Kirche zu lesen sein.

Der Geist konservativen Dresdner Bürgertums

Die Gelder für den Aufbau der Kirche sind in einem beispiellosen Akt gesamtdeutscher Solidarität gespendet worden. In einer Zeit, in der die Landeskirchen mangels Steuereinnahmen über die Umnutzung und den Verkauf von Gotteshäusern nachdenken, entsteht im Herzen einer deutschen Großstadt ein verlorenes Kulturgut europäischer Dimension wieder. Eine Kirche, auf die zwar keine Gemeinde, aber Zehntausende - zum Großteil nicht christlich gebundene Einwohner - warten. Es ist ein Wunder. Zumal im heutigen Dresden noch mehrere Kirchenruinen an die verheerenden Bombenangriffe der Alliierten erinnern und ihres Wiederaufbaus harren.

Es ist der Geist des konservativen Dresdner Bürgertums. Mehr als 200 Jahre lang bestimmte schließlich die protestantische Frauenkirche die Silhouette der Stadt. Sie symbolisierte Wohlstand und Glauben ihrer Einwohner. Die Frauenkirche und der Neumarkt sind Heiligtümer. Zu sehr schmerzen schon die juristischen Niederlagen beim Kampf gegen die Neubauten auf den Elbhängen durch Zugereiste. Und auch das vorgesehene Zubetonieren des Elb-ufers durch geschäftstüchtige Makler konnten nicht Bürgerinitiativen, Ministerien und Stadtrat, sondern allein der Fluß selbst durch das Hochwasser im Sommer des vergangenen Jahres verhindern.

Solange die Dresdner ihrem Vermächtnis, dem möglichst originalgetreuen Wiederaufbau ihres Stadtzentrums, an den wenigen Stellen, an denen das noch möglich ist, frönen können, überlassen sie gern dem weltoffenen Leipzig den Ruf als "Heldenstadt". Auch wenn sie selbst Anspruch auf diesen Titel hätten. Schließlich hat die Elbestadt Anfang Oktober 1989 in der "Schlacht um den Hauptbahnhof" und den Einkesselungen der Demonstranten in der Innenstadt wesentliche Meilensteine auf dem Weg zum Sturz der SED-Diktatur gesetzt. Und die alljährlichen Gedenkstunden am 13. Februar, dem Jahrestag der Zerstörung des barocken Dresdens durch angloamerikanische Bomben, vor der Ruine der Frauenkirche, die seit 1965 als Mahnmal gegen den Krieg galt, waren schon immer auch eine sanfte, leise Demonstration gegen das Regime, gegen Aufrüstung und Wehrunterricht.

Als Helmut Kohl im Dezember 1989 in Dresden mit dem seinerzeitigen DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow über eine deutsche Konföderation verhandeln wollten, schleppten die Sachsen "ihren Kanzler" an ihr Heiligtum, an ihr Symbol der friedlichen Revolution. Vor der Ruine der Frauenkirche blickte der damalige Bundeskanzler in ein Meer von Deutschlandfahnen, in glänzende Augen von Zehntausenden und begriff die Zeichen der Zeit.

Die deutsche Einheit ermöglichte es, den Wiederaufbau der Frauenkirche auf die Tagesordnung zu setzen. Nach anfänglichem Zögern erklärte sich auch die evangelische Landeskirche bereit, daß Vorhaben zu unterstützen. Die Diskussionen um den Sinn eines originalgetreuen Wiederaufbaus, die noch Anfang der neunziger Jahre heftig geführt wurden, sind vergessen.

"Wir wollen uns nicht damit abfinden, daß dieses einmalige und großartige Bauwerk Ruine bleiben soll oder gar abgetragen wird. Wir rufen auf zu einer weltweiten Aktion des Wiederaufbaus der Dresdner Frauenkirche." Mit diesen Worten warb am 13. Februar 1990 eine Bürgerinitiative um Mithilfe zum Aufbau der Frauenkirche.

Der "Ruf aus Dresden" wurde nicht nur in Deutschland gehört. Auch international bildeten sich zahlreiche Initiativen und Förderkreise. Dazu gehören unter anderem die Friends of Dresden in den USA, der Dresden Trust in Großbritannien, die Association Frauenkirche Paris in Frankreich sowie der Verein Schweizer Freunde der Frauenkirche Dresden. Insgesamt engagieren sich weltweit mehr als 13.000 Menschen aktiv für den Wiederaufbau der Frauenkirche.

Getragen von diesen Spenden ist der mächtige Sandsteinbau in den vergangenen Jahren in den Himmel gewachsen. Noch ist das Vorhaben finanziell nicht gesichert. Bei unverändertem Spendenaufkommen beträgt die Finanzierungslücke nach Berechnungen von Frauenkirchen-Baudirektor Eberhard Burger 8,6 Millionen Euro. Dabei ist schon ein Gerichtsentscheid berücksichtigt, durch den der Stiftung voraussichtlich rund 750.000 Euro verloren gehen. So hoch sind die Forderungen einer Klägerin, die sich durch eine Spende ihres inzwischen verstorbenen Vaters für den Wiederaufbau der Frauenkirche in ihrem Erbschaftspflichtteil benachteiligt sieht.

Derweil denken die Erbauer der Frauenkirche schon über die Zukunft nach. Da es für das neue Gotteshaus im Zentrum der Stadt keine Gemeinde gibt, muß es sich über Führungen, Konzerte und den Verkauf von Souvenirs finanzieren. Zur Zeit sind Späher aus Dresden weltweit unterwegs, um sich Finanzierungskonzepte anderer Häuser anzusehen.

Der schwierigste Teil: Die Rundung der Quadratur

Aber auch aus bautechnischer Sicht war der Kirchenbau eine Herausforderung. Die kühne Konstruktion des Ratsbaumeisters George Bähr war schon zu dessen Lebzeiten nicht unumstritten. Nicht nur, daß Bähr nach einem nicht genehmigten Entwurf baute, seine Idee einer statt aus Holz, aus Sandstein ausgeführten Glocke führte zu heftigen Kontroversen zwischen den damaligen Bausachverständigen. Der unsicher gewordene Stadtrat ließ deswegen den Bau unterbrechen. Erst auf Order von Kurfürst August dem Starken, einem Förderer Bährs, wurden die Arbeiten fortgesetzt und fünf Jahre nach dem Tod des Baumeisters am 16. März 1736 vollendet.

Bereits kurze Zeit später zeigten sich erste Risse im Mauerwerk. Chiaveri, der Erbauer der benachbarten katholischen Hofkirche, plädierte für den Abriß der Steinkuppel und den Ersatz durch Holz. Doch der Rat zu Dresden stellte sich quer. Statische Untersuchungen im Jahr 1938 ergaben, daß sich der barocke Baumeister tatsächlich geirrt hat. Die Last der Kirchenkuppel verteilte sich nur ungenügend auf die Außenmauern. Die Hauptlast lag auf den Pfeilern und war um ein Vielfaches zu hoch. Der Frauenkirchen-Baudirektor des 21. Jahrhunderts sieht das Problem differenzierter. Eberhard Burger spricht von einem Materialproblem: "Wenn an der Nordseite noch Rauhreif auf der Kuppel liegt und im Süden schon die Sonne den Stein erwärmt, dann gibt es Spannungen." Außerdem sei die Güte des gelieferten Sandsteins sehr unterschiedlich gewesen.

Trotzdem, auch den heutigen Architekten und Bauingenieure hat der Bau der Frauenkirche so manches Kopfzerbrechen bereitet. Die "Rundung der Quadratur" war bautechnisch der schwierigste Teil. Dabei mußte die quadratische Grundform des Bauwerkes in die kreisrunde der Steinernen Glocke umgewandelt werden. Statisch war wichtig, daß sich die Last der 13.000 Tonnen schweren Kuppel auf die durch einen Zugring im Hauptsims zusammengehaltenen Außenwände verteilt. Insgesamt sechs vorgespannte Stahlringe sollen künftige Risse verhindern.

Parallel zum Baufortschritt am äußeren Gebäude schreiten die Arbeiten im Inneren voran. Neben Heizungs-, Lüftungs-, Sanitär- und Elektromonteuren sind Maler, Stuckateure und Tischler tätig. Mehrere Restauratoren arbeiten am Altar. Rund 2.000 Einzelteile der spätbarocken Kunstwerkes konnten bei der Enttrümmerung geborgen werden. In einer monatelangen Puzzlearbeit wurden sie wieder zu einem 16 mal 12 Meter großen Altarbild gefügt. Fehlende Teile ergänzten Bildhauer.

Die am Boden vorgefertigte Laternenhaube wird im kommenden Jahr auf die Kuppel gesetzt. Am 30. Oktober 2005 soll die Frauenkirche mit einem Festgottesdienst geweiht werden. Anschließend sind Festwochen geplant. So wird die Sächsische Staatskapelle unter Leitung von Bernard Haitink die "Missa solemnis" von Ludwig van Beethoven in der Kirche aufführen. Die Dresdner Philharmoniker werden mehrere Konzerte geben. Zu einem der ersten Gottesdienste sollen übrigens insbesondere jene eingeladen werden, die vor der Zerstörung zur Gemeinde der Frauenkirche gehörten und in ihr getauft, konfirmiert bzw. getraut wurden.


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