© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/03 28. November 2003

Ineffektive Weltgenesung
Auslandseinsatz der Bundeswehr: Die Operation "Enduring Freedom" wird ihrem Namen gerecht und droht zu einem unbefristeten und teuren Abenteuer zu werden
Alexander Griesbach

Seit Mitte November 2001 beteiligt sich die Bundeswehr per Bundestagsbeschluß an der von den USA und Großbritannien initiierten Operation "Enduring Freedom". Ziel dieser Operation ist die weltweite Bekämpfung und Zurückdrängung des internationalen Terrors. Von der Erreichung dieser Ziele ist die Anti-Terror-Allianz weiter denn je entfernt.

Am 12. September 2001, also nur einen Tag nach den Terroranschlägen in New York und Washington, verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) die Resolution 1368. Diese Resolution stufte die Anschläge als bewaffneten Angriff auf die USA und als Bedrohung für den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit ein. Die Initiatoren der Resolution unterstrichen, alle notwendigen Maßnahmen gegen zukünftige Bedrohungen zu unternehmen. Weiter wurde das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung nach Artikel 51 der Charta der VN festgestellt. Ebenfalls am 12. September 2001 konstatierte der Nato-Rat, daß die Terrorangriffe als Angriffe auf alle Bündnispartner im Sinne der Beistandsverpflichtung des Artikel 5 des Nordatlantikvertrages zu werten seien.

Der ausgelöste Bündnisfall wird politisches Perpetuum

Der Deutsche Bundestag hat mit Beschluß vom 19. September 2001 die Verpflichtungen Deutschlands, die aus dem Nordatlantikvertrag erwachsen, bekräftigt und ein militärisches Engagement in Aussicht gestellt. Am 2. Oktober 2001 wurde die Beistandsverpflichtung Deutschlands bestätigt. Erstmals in der Geschichte der Nato wurde der Bündnisfall ausgelöst.

Deutsche Soldaten beteiligen sich im östlichen Mittelmeer seit Oktober 2001 auf Ersuchen der USA und aufgrund des Beschlusses des Nato-Rates an Unterstützungsoperationen, die die Bezeichnung "Active Endeavour" tragen. Darüber hinaus unterstützt die Bundeswehr gleichfalls seit Oktober 2001 die US-Streitkräfte bei der verstärkten Absicherung ihrer Liegenschaften in Deutschland. Dabei wurden zwischenzeitlich bis zu 1.000 Soldaten der Bundeswehr eingesetzt.

Mit Beschluß vom 16. November 2001 hat der Deutsche Bundestag zugestimmt, daß bewaffnete deutsche Streitkräfte mit den USA und den anderen Staaten der Anti-Terror-Koalition bei der militärischen Bekämpfung des internationalen Terrorismus zusammenwirken. Dazu beteiligt sich die Bundeswehr an der Operation "Enduring Freedom", die sich auf das Horn von Afrika, den Golf von Oman und Afghanistan erstreckt. Ziel dieser am 7. Oktober 2001 von US- und britischen Streitkräften begonnenen Operation ist es, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangenzunehmen, abzuurteilen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten.

Die Führung der Operation "Enduring Freedom" liegt beim amerikanischen Regionalkommando USCENTCOM, dessen Hauptquartier in Tampa/Florida untergebracht ist. Das Operationsgebiet dieses Kommandos reicht vom Horn von Afrika bis nach Pakistan. Es wird seit dem 7. Juli dieses Jahres von General John Abiziad geleitet, der den US-General Tommy R. Franks ablöste. USCENTCOM ist eines von neun US-Führungskommandos. Es hat bereits den Golfkrieg 1991 (Operation "Desert Storm") geführt und überwachte auch das Flugverbot über dem Irak. Für die Operation "Enduring Freedom" haben viele der etwa 70 Staaten umfassenden Anti-Terror-Allianz Verbindungsoffiziere zu USCENTCOM entsandt. Seit Oktober 2001 arbeitet im USCENTCOM-Hauptquartier auch ein deutsches Verbindungskommando mit einem Brigadegeneral an der Spitze. Seine Aufgabe ist es, den Informationsaustausch zwischen dem US-Regionalkommando und dem Bundesministerium der Verteidigung sicherzustellen.

Im Rahmen der im Bundestagsbeschluß vom 16. November 2001 festgelegten personellen Obergrenze von 3.900 deutschen Soldaten und zeitlichen Befristung von zwölf Monaten wurden auf der Basis amerikanischer Unterstützungsanträge seitens der Bundeswehr bereitgestellt: Lufttransportunterstützung, Sanitätskräfte, ABC-Abwehrkräfte, Spezialkräfte, See- und Seeluftstreitkräfte sowie erforderliche Unterstützungskräfte.

Ein 238 Soldaten umfassendes deutsches ABC-Abwehr-Kontingent wurde im Februar 2002 nach Kuwait verlegt, um an zwei Übungen mit den amerikanischen Streitkräften teilzunehmen und die gemeinsame Einsatzbereitschaft herzustellen. Am 13. März 2002 wurde das Hauptkontingent nach Deutschland zurückverlegt, während das Gerät und ein Restkontingent von etwa 50 Soldaten in Kuwait verblieben, um möglichst frühzeitig eine begrenzte Spürkapazität verfügbar zu haben und die Instandhaltung der Spürpanzer sicherzustellen.

Das circa 1.300 Soldaten umfassende Kontingent der Deutschen Marine beteiligte sich seit Anfang Februar 2002 in den Seegebieten südliches Rotes Meer und Golf von Aden am Schutz der internationalen Seeschiffahrt vor terroristischen Angriffen und an maritimen Abriegelungsoperationen, um die Versorgung terroristischer Gruppierungen oder deren Ausweichen über See zu unterbinden. Der Verband bestand aus drei Fregatten, fünf Schnellbooten, zwei Tendern sowie einem Tanker. Für ein halbes Jahr hatte Deutschland von Mai bis Mitte Oktober 2002 das Kommando für die "Task Force 150" übernommen. Anfang Februar 2002 beteiligte sich die Bundeswehr im Rahmen der Operation "Enduring Freedom" mit einem Marineverband an der Überwachung der Seegebiete am Horn von Afrika.

Freibrief für den bewaffneten Bundeswehreinsatz weltweit

Drei Seefernaufklärer vom Typ "Breguet Atlantic" waren in Mombasa/Kenia stationiert und wurden zur Überwachung des Einsatzgebietes aus der Luft eingesetzt. Entsprechend einer Vereinbarung der multinationalen Koalition vom Mai diesen Jahres lief dieser Einsatz zum 30. September 2003 aus.

Mitte November dieses Jahres hat der Bundestag den Einsatz deutscher Soldaten im internationalen Anti-Terror-Kampf um ein Jahr verlängert. Die Obergrenze der zur Verfügung stehenden Soldaten wurde allerdings von 3.900 auf 3.100 verringert. 800 ABC-Abwehrkräfte wurden aus dem Mandat gestrichen. Einzig die FDP stimmte zusammen mit den beiden PDS-Abgeordneten gegen eine Verlängerung des Einsatzes. Da derzeit nur 700 Bundeswehrsoldaten im Anti-Terroreinsatz seien, sei die festgelegte Obergrenze von 3.100 Soldaten ein "Freibrief für den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Ausland", argumentierte der mit Fragen der Verteidigung befaßte FDP-Abgeordnete Günther Nolting.

Im Hinblick auf die anfallenden Kosten der Auslandseinsätze erklärte die Bundesregierung: "600 Millionen Euro hat die Bundeswehr wie geplant in diesem Jahr für Auslandseinsätze ausgegeben. Bis Ende des Haushaltsjahres sind 1,4 Milliarden Euro veranschlagt. Für die laufenden Auslandseinsätze hat die Bundeswehr in diesem Haushaltsjahr rund 1,4 Milliarden Euro eingeplant. Bis zum 30. Juni (2003, d.V.) wurden davon knapp 600 Millionen Euro ausgegeben. Beide Zahlen liegen im Rahmen der Planungen und Anmeldungen. Berücksichtigt wurden Personal- und Verwaltungsausgaben, Kosten der Erhaltung des Wehrmaterials, Ausgaben für militärische Beschaffung und verschiedene kleinere Titel wie Forschung und Entwicklung. Die Zahlen sind Teil eines Routineberichts an den Haushaltsausschuß des Bundestags, der das Dokument noch nicht behandelt hat."

1995 lagen die Kosten für Auslandseinsätze noch bei etwa 131 Millionen Euro. 1999 schlugen diese schon 1999 mit 554 Millionen Euro zu Buche. Bis 2002 stiegen sie auf den bisherigen Spitzenwert von gut 1,5 Milliarden Euro an (Deutscher Bundestag Drucksache 15/1880, 5. November 2003 ).

"Enduring Freedom" bedeutet für die Bundeswehr eine neue Dimension im Hinblick auf Auslandseinsätze in aller Welt. Mit seinem Satz, Deutschlands Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt, hatte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) Anfang dieses Jahres die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr zu rechtfertigen versucht.

In der Debatte des Deutschen Bundestages über den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Operation "Enduring Freedom" am 7. November 2002 in Berlin erklärte Struck: "Die deutsche Beteiligung an der Operation 'Enduring Freedom' mit militärischen Kräften, um die uns unsere amerikanischen Freunde gebeten haben, ist Ausdruck dieser Verantwortung für die globale Sicherheit und den Schutz der Werte aller demokratischer Staaten. Unser Ziel ist klar: Wir wollen terroristischem Handeln auf allen Ebenen die Grundlagen entziehen." Das Übel des Terrorismus habe mehrdimensionale Wurzeln und könne nur mehrdimensional bekämpft werden - auf den Finanzmärkten, beim internationalen Verkehr, beim illegalen Handel mit Waffen und Drogen, durch Lösung der regionalen Konflikte wie im Nahen Osten, mit allen verfügbaren politischen, aber eben auch militärischen Mitteln.

Das ISAF-Mandat in Kundus ist politisch kontraproduktiv

Trotz dieser wohlfeilen Erklärungen sieht sich Struck wachsender Kritik ausgesetzt. Zuletzt entzündete sich eine Kontroverse an der Frage der Ausweitung des deutschen ISAF-Engagements in Afghanistan. Leider gingen in dieser Debatte gerade diejenigen Argumente unter, die wirklich von Bedeutung waren. Zu diesen Stimmen gehörte zum Beispiel Willy Wimmer, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages. Er richtete zwei offene Briefe an den Verteidigungsminister, in denen er seine Kritik an der Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr auf den Raum Kundus substantiiert darlegte. Müßig, darauf hinzuwiesen, daß der CDU-Politiker bis heute keine Antwort von Struck erhalten hat.

Wimmer kritisierte unter anderem die "ebenso nachhaltige wie öffentlich vorgetragene Weigerung der Bundesregierung, die politischen Umstände des Einsatzes unserer Soldaten aus guten Gründen einer Überprüfung zu unterziehen". Es dürfte noch "in frischer Erinnerung sein, daß von Kundus aus gegen Ende der Hauptkampfhandlungen gegen die Taliban/al-Qaida unter amerikanischer und pakistanischer Ägide Tausende Kämpfer der internationalen Brigaden von Taliban/al-Qaida ausgeflogen worden sind", fuhr Wimmer fort. Von Kundus aus habe sich ein bislang einmaliger Export von Terroristen ergeben.

Der Bundeswehr sei seit Jahr und Tag bekannt, so betonte Wimmer, daß die Region Kundus nicht nur Stützpunkt eines afghanischen Korps, sondern auch eine Gegend mit fast 30.000 Mudschaheddin sei. Kundus ist ein wichtiger Stützpunkt für Verteidigungsminister Mohammed Kassim Fahim, eine der tragenden Säulen der afghanischen Regierung. Er untersagte den internationalen Verbänden, das Pandschir-Tal in Augenschein zu nehmen. In diesem strategisch wichtigen Tal fänden auf Veranlassung Fahims streng geheime Übungen mit russischen Spezialkräften statt, schrieb Wimmer. Kundus befindet sich unweit der tadschikischen Grenze, des Hauptopera-tionsgebiets russischer Divisionen. Durch dieses Tal verläuft auch die Hauptroute der Drogentransporte aus Afghanistan über Sankt Petersburg nach Hamburg und Rotterdam. "Heroin und 'grüner Afghane'", so Wimmer in Richtung Verteidigungsminister, "jetzt unter dem Schutz der Bundeswehr auf dem Weg zu den Konsumgebieten?" Und der CDU-Politiker legte noch eins drauf: Sei es nicht auch Fahim, "der in voller Kenntnis der Bundeswehr und jetzt der Nato die denkbar engsten Verbindungen zu einer der gefährlichsten Personen für den derzeitigen Prozeß in Afghanistan unterhält, nämlich zu dem Paschtunen-Führer Hekmatjar?" Bei diesen Verhältnissen sei jeder tote deutsche Soldat ein Toter zuviel.

Die Szenarien, die Wimmer hier thematisiert, werfen ein wenig günstiges Licht auf die laufende Operation "Enduring Freedom". Die Ziele, die mit dieser Operation verfolgt werden, sind nicht nur in weite Ferne gerückt. Es droht in Afghanistan, neben dem Irak, ein neuer großer Konflikt. Kein Geheimnis ist es, daß die USA auf einen Zentralstaat unter paschtunischer Führung setzen. Dagegen formiert sich mehr und mehr Widerstand. Dieser könnte genauso blutige Ausmaße wie im Irak annehmen.

Die Frage ist, inwieweit dies den Bundeswehrangehörigen in Afghanistan bewußt ist. Gleiches gilt für die Rolle der Gebiete um Kundus für den Anbau und Transport von Drogen. Gerüchte machen die Runde, daß ausländische Militärangehörige sich tatkräftig an dem einträglichen afghanischen Drogengeschäft beteiligen sollen. Es gibt Schätzungen, wonach die Erlöse aus dem Drogenhandel zehnmal höher als die internationale Hilfe seien. Unter den Taliban wurde der Drogenanbau und -handel zumindest zurückgedrängt. Heute soll das ganze nördliche Afghanistan zwischen Herat und Mazar mit Mohnkulturen und Opiumplantagen übersät sein. Die afghanischen Bauern sollen Schätzungen zufolge pro Jahr zwischen drei bis vier Milliarden US-Dollar Umsatz erzielen. "Zählt man die Erlöse aus dem enorm ansteigenden Schmuggelgeschäft hinzu, belaufen sich die Erlöse der Kriegsherren pro Jahr auf neun bis zehn Milliarden US-Dollar", ergänzt Wimmer. Schon jetzt erkundigte man sich vor Ort, ob die Milliardenerlöse aus dem Drogenhandel nicht gewinnbringend in Deutschland investiert werden könnten.

Wie niederschmetternd die Bilanz nach zwei Jahren Terrorbekämpfung ausfällt, zeigt eine aktuelle Verlautbarung des Antiterrorkomitees des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Dieses konstatierte, daß "es der Terrororganisation al-Qaida weiterhin gelingt, ihr Netz auszudehnen und die Uno-Sanktionen zu unterlaufen" (Spiegel-Online, 13. November 2003). Wie sagte doch Verteidigungsminister Struck? Das Übel des Terrorismus müsse mit allen politischen und militärischen Mitteln bekämpft werden. Diese Mittel sind ganz offensichtlich nicht nur ineffektiv, sie kosten den deutschen Steuerzahler Jahr für Jahr auch mehr Geld.


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