© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/03 28. November 2003

Abtreibung ist ein Tabuthema
Lebensrecht: Die Sprecherin des Bundesverbands Lebensrecht, Claudia Kaminski, im Gespräch
Manuel Ochsenreiter

Frau Dr. Kaminski, in Nordrhein-Westfalen werden 94 Prozent aller Abtreibungen vom Staat bezahlt. Wie ist so etwas möglich?

Kaminski: Das ist dadurch möglich, daß die Abtreibungen zunächst über die Krankenkassen abgerechnet werden, dann aber aus der Staatskasse - das macht in Nordrhein-Westfalen immerhin neun Millionen Euro im Jahr aus - bezahlt werden.

Ist diese Praxis legal?

Kaminski: Sie ist legal, da der Staat bei bestehender Bedürftigkeit dafür aufkommen kann. Wie stark die Bedürftigkeit von schwangeren Frauen in Konfliktsituationen allerdings seitens der Behörden geprüft wird, ist fraglich. Hier melden wir Bedenken an.

Ist in den anderen Bundesländern die Situation ähnlich?

Kaminski: Die Situation ist bundesweit ähnlich. Der einzige Ausreißer, den es unter den Bundesländern gibt, ist Bayern. Überall beträgt die Quote der staatlich finanzierten Abtreibungen etwas über 90 Prozent, in Bayern "nur" 64 Prozent.

Woran liegt das?

Kaminski: Wahrscheinlich gibt es in Bayern noch eine gewisse Prüfung der Kostenerstattung. Doch dies ist in meinen Augen immer noch deutlich zuviel.

Wie bewerten Sie grundsätzlich das staatliche Engagement in diesem Bereich?

Kaminski: Ich glaube, daß es keine staatliche Aufgabe ist, dafür zu sorgen, daß Abtreibungen finanziert werden. Hier wird die vorgeburtliche Kindstötung quasi subventioniert. Ich bin der Auffassung, daß diese Praxis grundlegend überprüft werden muß. Seit 1996 wurden bundesweit insgesamt 250 Millionen Euro für Abtreibungen ausgegeben. Diese Vorgehensweise ist meiner Ansicht nach ein volkswirtschaftlicher Amoklauf.

Inwiefern?

Kaminski: Wir haben in vielen Bereichen Probleme. Man muß sich hierbei nur die ganzen Debatten um die Sozial- und Rentenreformen ansehen. Und dann meint der Staat auch noch das Geld zu haben, den eigenen Nachwuchs zu töten? Das kann doch nicht richtig sein.

Also staatlich finanzierter Mord am Rentenzahler von morgen?

Kaminski: Richtig.

Bislang waren von Lebensrechtlern und Abtreibungsgegnern fast ausschließlich ethische Argumente gegen Schwangerschaftsabbrüche zu hören. Wirkt vor diesem Hintergrund eine ökonomische Argumentation nicht zynisch?

Kaminski: Das liegt in der Natur der Sache. Es ist zynisch, daß der Staat Abtreibungen finanziert. Bislang wurde nie über die Kosten gesprochen und dieses Argument auch nicht geltend gemacht. Aber auch diese Zahlen müssen einfach kommentiert werden, auch angesichts der finanziellen und wirtschaftlichen Lage in Deutschland.

Weshalb gibt es bei einem solchen Mißstand kaum Proteste, beispielswiese seitens der Medien oder Kirchen?

Kaminski: Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß die Medien diesen Skandal nicht weiter aufgegriffen haben. Auch für die Kirchen, die sich ebenfalls kaum dazu geäußert haben, habe ich kein Verständnis. Ich kann mir nicht vorstellen, daß weder die Verantwortlichen in der evangelischen noch in der katholischen Kirche davon Kenntnis bekommen haben. Ich kann nur dringend dazu auffordern, daß die Kirchen sich zu diesem Problem endlich einmal zu Wort melden.

Woher kommt das Desinteresse?

Kaminski: Abtreibung ist in unserer Gesellschaft ein absolutes Tabuthema.

Es gibt im Gegensatz zu vielen anderen Politikfeldern gegen Abtreibung keine starke Lobby. Wie müßte sich Ihrer Meinung nach eine solche Lobby zusammensetzen?

Kaminski: Meiner Meinung nach müßten sich Kirchenvertreter, aber auch Vertreter der Medien und Persönlichkeiten aus der Lebensrechtsbewegung zusammensetzen. Ein solches Netzwerk könnte seinen Anteil dazu leisten, daß auch andere interessierte Journalisten Lebensrechtsthemen aufgreifen und diese bundesweit bekannt machen können.

Sie haben bereits im August diesen Jahres in einem offenen Brief an alle Bundestagsabgeordneten auf die staatliche Förderpraxis in diesem Bereich hingewiesen. Welche Reaktionen gab es bislang darauf?

Kaminski: Die Reaktionen waren zum einen sehr wenige. Zum anderen waren sie so, daß deutlich wurde, daß so gut wie niemand an dem Kompromiß von 1995 etwas ändern möchte.

Weshalb?

Kaminski: Der Kompromiß wurde sehr mühsam erstritten. Ich denke, viele befürchten, daß eine erneute Diskussion der Abtreibungs-Frage zu einer noch liberaleren Regelung führen würde. Ich glaube aber, daß wir zumindest, was die Spätabtreibungen angeht, die Möglichkeit haben, zu einer positiven Änderung zu gelangen.

Wie viele Abgeordnete haben reagiert?

Kaminski: Etwa 20 bis 25 Reaktionen trafen ein. Manche haben darauf hingewiesen, daß deren Fraktionssprecher bereits reagiert hätten. Deshalb hielten es wohl andere nicht mehr für notwendig, sich zu diesem Thema zu äußern.

 

Dr. med. Claudia Kaminiski, 37, ist Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht. Kontakt: Bundesverband Lebensrecht, Fehrbelliner Straße 99, 10119 Berlin, Tel: 030 / 44 05 88 66, Fax: 030 / 44 05 88 67, E-Post:info@bv-lebensrecht.de

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