© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/03 28. November 2003

Eltern bevorzugt
Der Ton wird schärfer: Die Unionsparteien streiten um die Rentenpolitik
Paul Rosen

CDU und CSU haben ein altes Spiel neu entdeckt: Vertreter beider Parteien streiten sich wie die Kesselflicker um die Neuausrichtung der Rentenpolitik. Doch hinter den Kulissen geht es um mehr, nämlich um die Frage, ob CSU-Chef Edmund Stoiber die Schwesterpartei auf seinen Kurs der "aktiven Bevölkerungspolitik" mitnehmen kann.

Stoiber ist der einzige namhafte Vertreter aller Bundestagsparteien, der sich die Bevölkerungspolitik auf die Fahnen geschrieben hat. In Deutschland werden zu wenig Kinder geboren. Die Feststellung wird inzwischen von niemandem mehr bestritten. SPD und Grüne verschließen aber vor den Folgen wie Überalterung der Gesellschaft, Zusammenbruch der Sozialsysteme und wirtschaftlichem Rückgang die Augen oder setzen auf verstärkte Einwanderung zum Ausgleich der Bevölkerungsbilanz. Auch die CDU brachte nicht viel mehr als einen "demographischen Faktor" bei der Rentenversicherung zustande. Der inzwischen von Rot-Grün wieder abgeschaffte Faktor war nichts anderes als eine allgemeine Rentenkürzung wegen des absehbaren Rückgangs der Zahl der Beitragszahler.

Anders Stoibers CSU. Dort wird schon seit langem über die Folgen des Geburtenrückgangs debattiert. Jetzt wandelte die CSU ihre Debattenergebnisse in ein Rentenkonzept um, um aus dem Zwei-Generationen-Vertrag wieder einen Drei-Generationen-Vertrag zu machen. Nach Jahrzehnten wird Adenauers Aussage, daß die Leute die Kinder schon alleine kriegen würden, von der CSU korrigiert. Die Partei plant, Eltern in der Rentenversicherung zu entlasten. Pro Kind bis zum zwölften Lebensjahr soll der Rentenbeitrag der Eltern um 50 Euro im Monat sinken. In diesem Punkt will die CDU ihrer Schwesterpartei sogar noch folgen.

Die Gegensätze beginnen erst danach: Während die CDU die Beitragsentlastung der Eltern durch Ausgleich aus der Steuerkasse bezahlen will, möchte die CSU den Bürgern direkt vermitteln, was es heißt, zu wenige oder keine Kinder zu haben: Kinderlose sollen einen höheren Beitrag als heute bezahlen. Der Ausgleich soll also innerhalb des Systems erfolgen, während die CDU die Frage bisher nicht beantwortet hat, woher die Milliarden zum Ausgleich des Kinderbonus beim Rentenbeitrag kommen sollen.

Statt die Folgen des Geburtenrückgangs zu beachten und Anreize für höhere Kinderzahlen zu schaffen, verlegt sich die CDU auf formale Argumente gegen das CSU-Konzept. Die starke Spreizung der Beiträge zwischen Kinderlosen und Eltern werde vor dem Verfassungsgericht besonders im Fall ungewollt kinderlos bleibender Paare keinen Bestand haben, sagte Generalsekretär Laurenz Meyer. Meyer vernebelt dabei die Zusammenhänge: Es kann keine Rolle spielen, warum jemand keine Kinder hat. Der Staat kann hier nicht den Schnüffler spielen.

Wichtiger ist etwas anderes: Diejenigen, die Kinder haben, müssen entlastet werden. Selbst nach den starken Erhöhungen des Kindergeldes ist es doch heute noch so, daß spätestens mit dem zweiten Kind der Weg in Richtung Verarmung vorgezeichnet ist. Dagegen können Kinderlose ihre Einkünfte verstärkt für Konsumzwecke oder Reisen einsetzen. Auch der Einwand, die Kinderlosen würden ja in die Rentenkasse einzahlen und damit Ansprüche erwerben, geht fehl: Die Zahlung von Beiträgen allein reicht eben zur Erfüllung des Generationenvertrages nicht aus. Die Rentenbeiträge werden schließlich nicht auf die hohe Kante gelegt und später mit Zinseszins ausgezahlt, sondern sofort zur Erfüllung heutiger Rentenansprüche verwendet. Wer heute Beiträge zahlt, muß darauf vertrauen, daß seine Kinder später mit ihren Rentenbeiträgen für die Altersbezüge aufkommen. Gibt es zu wenig Kinder, kann die Rechnung nicht mehr aufgehen.

Am Beispiel Rentenpolitik zeigt sich, daß die CDU trotz der von ihr eingesetzten Herzog-Kommission nicht wirklich an der Lösung der Zukunftsaufgaben interessiert ist. Die Beschlüsse der Partei sind eine Mischung aus Interesselosigkeit und dem Versuch, den sozialen Ausgleich abzuschaffen, wie an den vorgeschlagenen Kopfpauschalen in der Krankenversicherung deutlich wird. Der soziale Ausgleich ist eine Grundfeste der deutschen Nachkriegsdemokratie. Er muß beibehalten werden und darin bestehen, daß der Hochverdiener in der Krankenversicherung mehr Beitrag zahlt als jemand mit geringem Einkommen. Genauso muß in der Rentenversicherung deutlich werden, daß die Eltern die heutigen Beiträge nur schwer zahlen können und deshalb entlastet werden müssen, während andere durchaus mehr von ihrem Gehalt abführen können. Ein Ausgleich über das Steuersystem wäre theoretisch möglich, ist aber abzulehnen, weil damit die Eltern über ihre Steuern ihre eigene Entlastung mitfinanzieren müßten.

Daß der linke Flügel der CDU, etwa der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, die CSU davor warnt, das soziale Gewissen der Union zu spielen, zeigt nur, daß die größere der beiden C-Parteien die Dramatik des Themas nicht erkannt hat. Einen Kompromiß zwischen den Parteien wird es geben, aber Stoiber wird gegen die reformunfreudigen Beharrungskräfte in der CDU nur einen Teilerfolg erzielen können. Aber der erste Schritt zur aktiven Bevölkerungspolitik wird damit auf jeden Fall getan sein.


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