© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/03 21. November 2003

Kolumne
Lust zum Streik
Andreas Mölzer

Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will, heißt es im roten Liedgut. In Österreich will die Gewerkschaft der Regierung gegenüber Härte beweisen.

Über Jahrzehnte war die Zweite Republik vom Konsens der Sozialpartner und von der politischen Mauschelei hinter den Kulissen geprägt. Der rot-schwarze Proporz war in der Lage, sozialen Frieden zu wahren, zum Preis allerdings, daß Konflikte nie wirklich ausgetragen, sondern nur verdrängt wurden.

Das hat sich mit Antritt der schwarz-blauen Wende-Regierung drastisch geändert. Bereits früher hat es immer geheißen, sollte sich eine "Bürgerblock-Regierung" im Lande etablieren, würde die Gewerkschaft auf die Straße gehen. Dieses Versprechen hat man wahr gemacht. Zu Beginn der Wende-Regierung demonstrierten bekanntlich Hunderttausende gegen die "Koalition mit dem Rassismus". Dieser Pseudo-Antifaschismus hat sich bald totgelaufen, spätestens mit dem Ende der EU-Sanktionen gegenüber Österreich waren auch die Donnerstagsdemonstrationen zu Ende. Statt dessen hat man nunmehr begonnen, die zweifellos rigiden Reformen der Regierung mit Streiks zu beantworten.

Das, was sich in den letzten Monaten im Bereich der österreichischen Bundesbahn abspielte, ist typisch für die neue Entwicklung: Die Regierung stellt an sich die richtige Diagnose, daß nur harte Reformen eine Besserung der Situation herbeiführen können, sie führt diese Reformen allerdings auf eine Art und Weise durch, die für die betroffenen Menschen allzu rücksichtslos erscheint. Die Gewerkschaft erhält daher für die von ihr verfügten Kampfmaßnahmen breite Zustimmung. Die übrige Öffentlichkeit allerdings reagiert, sobald sie mit den Folgen des Streiks konfrontiert ist - etwa durch das Nicht-Verkehren von Zügen - mit breiter Ablehnung. Erst dadurch werden Regierung und Gewerkschaften wieder zu Verhandlungen gezwungen. Zweifellos ist das Streikrecht ein demokratisches Grundrecht, das auch in Österreich ohne große Aufregung durchexerziert werden kann. Angesichts der jahrzehntelang existierenden Konsens-Demokratie allerdings, ist die neue Konfrontations-Demokratie für viele Österreicher Ungewohnt. Zweifellos wird man sich aber an Streiks in der nächsten Zukunft gewöhnen müssen. Nach den Eisenbahnen, nach den Richtern werden gewiß auch andere Berufsgruppen, die von den einschneidenden Reformen betroffen sind, auf die Straße gehen. Demokratie bedeutet eben auch Konfrontation.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der österreichischen Wochenzeitung "Zur Zeit"


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