© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/03 14. November 2003

Übermenschen sind keine Musterdemokraten
Bundesdeutsche Erinnerungskultur: Marion Gräfin Dönhoffs Deutungshoheit über die "Männer des 20. Juli"
Matthias Bäkermann

Historiker sind nicht selten verkappte Mythologen. Journalisten stehen ihnen da nicht nach, arbeiten mit ihnen zusammen, helfen tatkräftig mit, die akademischen Sinnstiftungsangebote unters Volk zu bringen. Die langjährige Chefredakteurin und Herausgeberin der Zeit, Marion Gräfin Dönhoff (1909 - 2002), hat dieser Versuchung am wenigsten widerstehen können. Der Claim, den sie sich gleich nach der Flucht aus Ostpreußen abgesteckt hat, und den sie dann über fünfzig Jahre hinweg nationalpädagogisch ausgebeutet hat, das war die Tat der "Männer des 20. Juli 1944".

Für die glaubwürdige mediale Präsentation und die temporär äußerst erfolgreichen Versuche, die Deutungshoheit auf diesem vergangenheitspolitischen Terrain zu erlangen, brachte die ostpreußische Gräfin die besten Voraussetzungen mit. Sie durfte sich nicht nur auf die Verwandtschaft mit "Heini" Lehndorff, auf persönliche Bekanntschaft und Freundschaft mit Schulenburg, Yorck oder Bernstorff berufen. Nein, sie war auch in Planungen eingeweiht und hat in Ostpreußen konspirativ Mitverschwörer angeworben. Selbst will sie aber nicht für den Tag X und danach zur Verfügung gestanden haben, da sie ihre Aufgabe stets in der Verwaltung des großen Dönhoffschen Güterbesitzes sah. Wahrscheinlich deshalb tauchte sie auf keiner der Personallisten auf, auf denen Stauffenberg und seine Helfer die Elite für die Zeit nach Hitler zusammengestellt hatten, und deshalb durfte Fritz J. Raddatz, der einstige Feuilleton-Chef der Zeit, noch vor kurzem lästern, mit ihrem "Widerstand" sei es wohl nicht weit her gewesen. Ungeachtet der kaum noch zu klärenden Frage, wie groß ihr persönlicher Anteil tatsächlich war: Als Weggefährtin und Zeitzeugin habe Gräfin Dönhoff die bundesdeutsche Geschichtspolitik daher wesentlich mitprägen können, wie der mit einschlägigen Arbeiten zur Geschichte des deutschen Adels ausgewiesene Marburger Historiker Eckart Conze nachweist (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 4/03).

Zwar gelingt ihm nicht die angekündigte Studie, die zeigt, wie in modernen Kulturen innerhalb von Rezeptions- und Deutungsgeschichte "politischer Sinn" konstruiert wird. Doch wird klar, welchen Einfluß einzelne Personen wie Gräfin Dönhoff auf den Prozeß der kommunikativ vermittelten Erinnerung, der kollektiven Gedächtnisbildung, spielen.

Verhängung von Frage- und Denkverboten

Conze sieht Dönhoffs publizistische Strategie bei der Durchsetzung ihrer Deutung des 20. Juli von drei Elementen getragen: Individualisierung, Moralisierung und Heroisierung. Sie grenzte den Widerstand seit 1946 konsequent auf Stauffenberg und sein Umfeld ein, soziologisch auf den preußischen Adel, und wer darunter aus Bayern oder, wie Stauffenberg selbst, aus Schwaben stammte, wurde kurzerhand zum Ehren-Borussen deklariert. "Der Adel, der preußische zumal, wurde von Dönhoff als in besonderem Maße prädisponiert für widerständiges Handeln dargestellt." Darum reagierte sie gemeinsam mit dem von ihr gleichfalls "borussifizierten" Richard von Weizsäcker besonders erbost auf Anklagen im Kontext der Wehrmachtsausstellung, Angehörige des militärischen Widerstands seien in Verbrechen des "Vernichtungskriegs" gegen die Sowjetunion verstrickt gewesen. Hier schreckte Dönhoff auch vor der Verhängung von Frage- und Denkverboten nicht zurück.

Über Jahrzehnte habe sie die "Freunde" als moralische Helden aufgebaut, so daß sich dieses Ideal nicht zerstören lassen wollte. An der "fortgesetzten Verabsolutierung eines hochmoralischen Geschichtsbildes" trage sie darum "maßgeblichen Anteil". Ihr "monumentalisiertes Bild des Widerstands" gab den Verschwörern "geradezu übermenschlich-heroische Züge", so daß sie aus allen politischen Zusammenhängen herausfielen. Folglich durften sie auch nicht politisch kritisiert werden, Ihr "Heroismus" entzog sie jeder Kritik. Dabei mußte es der Gräfin als Verwalterin des "Vermächtnisses", dem sie einige antikapitalistische Züge zu verleihen wußte, gleichgültig sein, ob ihre Helden "Musterdemokraten" waren. Hier jedenfalls wollte die sonst mit Exerzitien der Vergangenheitsbewältigung vertraute Publizistin nicht die "Elle staatsrechtlicher Pädagogik" anlegen.

Foto: Marion Gräfin Dönhoff erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, Oktober 1971: Auf keiner Liste aufgetaucht


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