© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/03 14. November 2003

Pankraz,
M. von Richthofen und die Macht der Zwerge

An den alten Heldengedenktagen der Zwischenkriegszeit wurden gern als Inbegriff der Ritterlichkeit jene "Herrenreiter der Lüfte" herausgestellt, die sich zwischen 1914 und 1918 mit ihren brüchigen fliegenden Kisten über der Westfront so lange gegenseitig umkurvten, bis sie in günstige Zielposition kamen und den Feind abschießen konnten. Hatte bei einem der Kämpfer das Maschinengewehr Ladehemmung und der Gegner merkte das (was faktisch immer der Fall war, da die Piloten in offenen Cockpits saßen und bei Ladehemmung zornig auf ihre Waffe einhämmerten), so grüßte er knapp und drehte ab. Gleichheit der Waffen war da oben oberstes Gebot.

Unten zwischen den erstarrten Fronten tobte schon der technische Stellungskrieg, entschied einzig und allein noch der quantitative Materialeinsatz. Die Artillerie war zur wichtigsten Waffengattung geworden, sie verschoß unter anderem Gasgranaten, und kein Stratege fragte nach Heldenmut und Ritterlichkeit. Bald danach wurde auch der Luftraum von Grund auf technifiziert und mit Massenware überflutet. Wer die größten Bomberflotten und die meisten und "klügsten" Raketen hatte, dem wuchs der Sieg automatisch zu.

Die rasante Entwicklung in der Moderne verdeckt, daß auch schon in früheren Zeiten allermeistens die technische und massenmäßige Überlegenheit den Sieg garantiert hatte und nicht Tapferkeit, Kriegslist oder strategisches Genie. Kriegsgeschichte war immer in erster Linie Waffengeschichte. Schon die ältesten, vorgeschichtlichen Götter- und Heldensagen bezeugen das. Gott Zeus wäre nichts gewesen ohne sein technisches Lieblingsgerät, die Blitzeschleuder, mit der er mühelos jeden Streit so oder so entscheiden konnte. Siegfried oder König Artus waren abhängig von der Schmiedequalität ihrer Schwerter, Nothung, Excalibur.

Für Alexander den Großen siegten die thrakischen Bogenschützen, deren planmäßigen Masseneinsatz er den feindlichen Persern abgeschaut hatte. Hannibal versetzte Rom durch den Angriff seiner Elefanten, fleischgewordene Massentaktik, in Angst und Schrecken, die Mongolen das mittelalterliche Europa durch die quantitative Gewalt ihrer (taktisch höchst simplen) Reiterattacken. Und mit dem Aufkommen von Pulver und Blei war dann endgültig Schluß mit aller Ritterromantik und uneinnehmbaren Burgenherrlichkeit. Die chevalereske Luftkurbelei der Manfred von Richthofen und Roland Garros im Ersten Weltkrieg war spätestes Nachhutgefecht.

Gerecht und vornehm denkende Geister wollten sich freilich zu keiner Zeit mit der Marginalisierung des Heldentums und des persönlichen Einsatzes in der Militärgeschichte abfinden, sie litten darunter, sahen darin einen Sieg höllischer, unterirdischer Kräfte, der "Zwergenlogik", wie es d'Annunzio formulierte. Kein Geringerer als der Papst (Gregor XII.) hat im Spätmittelalter versucht, die Verwendung der Feuerwaffen im Krieg zu ächten. Und das Gros der Geschichtsschreiber dachte nicht daran, in ihren Kriegsbeschreibungen auf Einzelhelden und geniale Adhoc-Strategen zu verzichten oder wenigstens den "Zwergen", den Waffenschmieden und Rüstungsexperten, den ihnen gebührenden Rang einzuräumen.

Andererseits war man doch immer auch fasziniert von neuen Waffen und ihren Herstellern. Diesen, hießen sie nun Zwerg Mime, Leonardo da Vinci oder Robert Oppenheimer, begegnete man mit einer Mischung aus Respekt und geheimem Grauen. Den Waffen selbst wurden übernatürliche Kräfte zugesprochen. Gerade die alten Helden machten größtes Aufhebens von ihnen. Sie identifizierten sich regelrecht mit ihnen, zeigten sie bei jeder Gelegenheit demonstrativ vor und ließen sich mit ihnen begraben. Ein Abglanz davon findet sich in der populären Unterhaltungsliteratur, bei Karl Mays Winnetou mit seiner Silberbüchse oder bei James Bond, der sich so schwer von seiner Beretta trennen kann.

Waffen waren selten schlichte Gerätschaften, die sich in ihrem Gebrauchswert erschöpften, sie mußten einen Mehrwert haben, einen Surplus, sie mußten schön sein und raffiniertesten ästhetischen Ansprüchen genügen. Sie schmückten nicht nur, sondern wurden ihrerseits geschmückt, oft in üppigster Weise; man denke an den Schild des Achill bei Homer. Frühe Haubitzen hießen nicht nur "Feuerschlangen", sondern sahen auch so aus. Degen waren in Form von Flammen geschmiedet, Schlachtbeile in Form von Adlern und Falken. Sie bekamen auch spezielle Kosenamen, man sprach mit ihnen wie mit engsten Kampfgefährten, segnete sie und küßte sie nach dem Sieg voller Dankbarkeit.

Noch im Zweiten Weltkrieg und im Korea-Krieg gab es Überreste solchen Brauchtums. Den Jagdbombern wurden Fratzen aufgemalt, den V2-Raketen flotte Sprüche mitgegeben. Erst in unseren Tagen setzt die Umkehr ein, allen jugendlichen Waffenfans hier und da zum Trotz. Das Übermaß an mechanischer Vernichtungskraft, das die modernen Waffenarsenale gewonnen haben, läßt ihnen gegenüber nicht die geringste Vertraulichkeit mehr zu.

Die Technik der allerneuesten Kriegsform, der "asymmetrische Krieg" (mit voll elektronifizierten Panzern und Hubschraubern gegen Steine werfende Kinder), tut ein übriges. Er macht die eine Seite der Kämpfer zu Robotern, die als denkende Menschen angesichts der selbsttätig funktionierenden Elektronik gar nicht mehr gebraucht werden, die andere zu Tieren, die nur den eigenen Körper als Waffe einsetzen können und die von daher ihre Sichtweise beziehen, gleichsam von Tier zu Tier.

Der Mensch als Kämpfer hat sich durch die Regsamkeit der Zwerge, der Schmiede, Techniker und Erfinder, von Stufe zu Stufe aus der eigenen Kampfregion hinauskatapultiert. Es wird ihm aber wohl nicht gut bekommen. Denn der Kampf geht ja weiter, und er findet seine Opfer auch jenseits des Kampfgeschehens.


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