© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/03 14. November 2003

Weitere Erosion der Vertragsfreiheit
Versicherungswirtschaft: EU-Kommission möchte "Unisex"-Angebote erzwingen / Ministerrat kann Projekt noch stoppen
Felix Menzel

Wieder ein Sieg der Ideologie über Vernunft und wirtschaftlichen Sachverstand: Auf Drängen der Kommissarin für Beschäftigung und Soziales, der Griechin Anna Diamantopoulou, hat die EU-Kommission vergangene Woche eine Gleichstellungsrichtlinie gebilligt, die eine weitere Erosion der Vertragsfreiheit bedeutet: Demnach sollen private Firmen künftig sogenannte "Unisex"-Tarife anbieten müssen, was besonders die Versicherungsbranche hart trifft.

Die Unternehmen sollen nach dem Willen der EU-Kommission sechs Jahre Zeit haben für die Umstellung. Danach wäre es illegal, etwa bei Bank- oder Versicherungs-Dienstleistungen unterschiedliche Tarife zu berechnen. Besonders die britische Regierung hat Bedenken angemeldet und könnte das umstrittene Projekt im EU-Ministerrat mit ihrem Veto noch stoppen.

Hintergrund der EU-Initiative ist die gängige Praxis vieler privater Versicherungsunternehmen, unterschiedliche Prämien für Männer und Frauen zu verlangen. Diese Tarif-Differenzierung beruht auf simplen versicherungsmathematischen Überlegungen. Aufgrund ihrer statistisch höheren Lebenserwartung zahlen Frauen gegenwärtig proportional mehr für ihre private Altersvorsorge. Die Versicherer argumentieren, die höheren Beiträge spiegelten längere Auszahlungszeiten wider. Diamantopoulou dagegen spricht von einer "geschlechtsspezifischen Diskriminierung". Nach ihrem Verständnis ist die EU-Gesetzesnovelle ein "weiterer Schritt in Richtung Gleichberechtigung".

Etwas seltsam ist die Argumentation der EU-Kommissarin: Die durchschnittlich höhere Lebenserwartung der Frauen sei "keine Frage der Gene, sondern eine Frage der Lebenshaltung". So sei es denkbar, daß eine gesundheitsbewußte Frau mit ihren Beiträgen einen männlichen Kettenraucher finanziere. Streng versicherungsmathematisch gesehen ist der Kettenraucher in der Rentenversicherung jedoch ein "gutes Risiko", da sein Verhalten die zu erwartenden Auszahlungen gering hält. Somit entlastet der Kettenraucher die Versicherung, was ihm durch niedrigere Beiträge gelohnt wird. Um solche wirtschaftlichen Einwände abzuwürgen, schwingt Diamantopoulou die Rassismuskeule. "Zögern Sie nicht, das Wort 'Geschlecht' durch das Wort 'Rasse' zu ersetzen", sagt sie. "Dann erst wird Ihnen bewußt, wie ungeheuerlich solche Unterscheidungen sind."

Während Männer bei einer Umsetzung der EU-Richtlinie höhere Prämien für private Altersvorsorge und auch Krankenversicherungen zu zahlen haben werden, müßte ihr Beitrag beispielsweise für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung gesenkt werden. Hier nämlich genießen Frauen bislang den "Vorteil" billigerer Tarife, da sie allgemein defensiver fahren und statistisch gesehen weniger Unfälle bauen. Nach dem Willen von Diamantopoulou soll auch hier dem Versicherer untersagt werden, nach Risikogruppen entlang der Geschlechtergrenze zu unterscheiden. Auch dies sei verdammenswerte Diskriminierung diesmal der Männer, erklärte sie.

Von seiten extremer Gleichstellungsideologen gibt es bereits Bestrebungen, jegliche Differenzierung unter den Verdacht der "Diskriminierung" zu stellen. Grundsätzlich bedeutet das lateinische Verb "discriminare" schlicht "trennen" oder "unterscheiden". Ungleiche Sachverhalte erfordern ungleiche Behandlung. Eine Versicherung berechnet ihre Tarife nach dem statistischen Schadensrisiko und unterscheidet ("diskriminiert") daher die "schlechten Risiken" gegenüber den risikoarmen Bewerbern. Daher ist es verfehlt, für die private Versicherungswirtschaft den Maßstab der "Solidarität" anzulegen, wie es linke Politiker fordern. Die Absicherung gegen Lebensrisiken erfolgt bei privaten Versicherungen nicht aus Mildtätigkeit. Im Gegenteil, jeder ist auf seinen Vorteil bedacht. Der Versicherer steht im knallharten Wettbewerb und berechnet seine Tarife nach dem Prinzip der Äquivalenz, der Kunde möchte lediglich einen möglichst bezahlbaren Schutz gegen Unvorhergesehenes.

Die umstrittene Gleichstellungsrichtlinie der EU bewegt sich auf derselben Linie wie das von Rot-Grün verfolgte "Antidiskriminierungsgesetz". Auch hier soll die grundgesetzlich zugesicherte private Vertragsfreiheit eingeschränkt werden. Die weitestgehenden Vorstellungen etwa der deutschen Grünen zielen darauf ab, jegliche "Diskriminierung" aufgrund von "Rasse", Staatsangehörigkeit, Geschlecht, Alter, Religion und auch "geschlechtlicher Orientierung" zu verbieten. Nicht nur den angeblich Diskriminierten, sondern auch interessierten Lobby-Verbänden soll der Klageweg offenstehen, wobei auch eine Umkehrung der Beweislast im Gespräch war. Unternehmer wären demnach verpflichtet, mit zweifelhaften Kunden Geschäfte abzuschließen, falls sie Schadensersatzforderungen vermeiden wollen. Nach scharfen Protesten von Wirtschaftsverbänden hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) die Gesetzesvorlage zur "Diskriminierung" in einigen Punkten entschärft. Grundsätzliche, verfassungsrechtliche Bedenken aber bleiben bestehen.

Nun drohte EU-Sozialkommissarin Diamantopoulou bereits mit Sanktionen wegen verzögerter Umsetzung der EU-Richtlinie 2000/43. Im persönlichen Umgang gilt die Griechin als freundlich und umgänglich. Hinter der charmanten Fassade verbirgt sich jedoch eine knallharte linke Ideologin. Die studierte Bauingenieurin, mit 43 Jahren eines der jüngsten Mitglieder der Brüsseler Kommission, stammt aus der sozialistischen Regierungspartei Pasok Griechenlands und kann auf eine steile Karriere zurückblicken. Schon Mitte der achtziger Jahre stieg sie zur Gouverneurin einer nordgriechischen Provinz auf, anschließend war sie stellvertretende Ministerin für Entwicklung. 2000 folgte der Karrieresprung nach Brüssel. Ihre feministischen Überzeugungen vertritt sie auch international, etwa als sie eine abtreibungskritische Initiative der US-Regierung als "Rückschritt für die Frauenrechte" kritisierte.


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