© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/03 14. November 2003

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Kulturkampf
Karl Heinzen

Inmitten all der Empörung über den Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann war es ausgerechnet Laurenz Meyer, der Scharfblick bewies. Obwohl er gefährliche Mißverständnisse befürchten mußte, nahm er seinen Parteifreund auf Abruf vor dem Vorwurf des Antisemitismus teilweise in Schutz und wies darauf hin, daß man ihn vielleicht eher als eine Art Fundamentalist bezeichnen sollte.

In der Tat sind die Parallelen zu der allerdings folgenlosen Aufregung über Ansichten, die Kardinal Meisner in Budapest geäußert haben soll, nicht zu übersehen. Martin Hohmann geht von der eventuell zeitlosen, sicherlich aber unzeitgemäßen Annahme aus, daß Gottes Liebe und Gottes Zorn nicht davon abhängen, welcher nationalen oder sonstwie definierten Gemeinschaft ein Mensch angehört. Der Kölner Erzbischof erlaubte sich den Hinweis, daß ein richtig, das heißt für ihn katholisch verstandenes Christentum die Anerkennung einer Schöpfungsordnung beinhaltet, die nicht durch die abweichende zeitgenössische Lebenspraxis vieler, und wäre sie auch massenhaft zu beobachten, außer Kraft gesetzt werden kann. Beides verträgt sich nicht mit einem Verfassungsverständnis, das sich längst von der verengten Sichtweise emanzipiert hat, in welcher die Väter und Mütter des Grundgesetzes befangen waren.

Der modus vivendi, den das organisierte Christentum mit der demokratischen Zivilreligion wie weiland mit dem Kommunismus oder dem Nationalsozialismus gefunden hat, darf nicht vergessen machen, daß so etwas wie ein "Kulturkampf" immer wieder in der Luft liegt. Derjenige, den unser Gemeinwesen führt, unterscheidet sich dabei von dem historischen in wesentlichen Punkten: Er richtet sich nicht gegen eine bestimmte Konfession, sondern gegen alle Personen und Gruppen, denen ihre Glaubenslehre nicht bloß ein privates Bekenntnis zu sein scheint. Er kommt ohne klassische staatliche Repressalien aus und begnügt sich mit Hohn und Stigmatisierung. Seine Motive sind weniger in einem pragmatischen Machtkalkül als in der tiefen Überzeugung zu suchen, selber im Besitz der wahren Wahrheit zu sein.

In einer Demokratie entscheidet nicht Gott, sondern der Gesetzgeber über die Regeln des menschlichen Zusammenlebens. Was gut ist, ergibt sich aus dem öffentlichen Diskurs und nicht aus den Vorgaben antiker Literatur. Wenn sich der Einzelne ethisch überfordert fühlt, findet er Orientierung im Vorbild demokratisch legitimierter oder von Amts wegen berufener Experten. Wer diese simplen Rahmenvereinbarungen eines modernen Gemeinwesens nicht akzeptieren möchte, sondern lieber einer Offenbarung vertraut, der die weltgeschichtlich einzigartigen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts nicht zur Verfügung standen, begibt sich aus der Gemeinschaft des Grundgesetzes heraus. So willkommen der Anlaß für die Kampagne gegen Martin Hohmann auch war: Sie verfehlt ihren pädagogischen Zweck, wenn dieser Hintergrund seiner Ächtung nicht deutlich wird.


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