© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/03 07. November 2003

9. November 1989
Tag der deutschen Freiheit
Dieter Stein

Als am Abend des 9. November 1989 die ersten Ost-Berliner die Grenzposten an den Übergängen nach West-Berlin bedrängten und diese endlich nachgaben, da brachen sie endlich entzwei: die Ketten, in die die Freiheit der Deutschen gelegt war. Noch heute verwirrt dieses Datum, weil so gewaltlos und friedlich in sich zusammensank, was mit so viel Macht und Brutalität aufgerichtet worden war.

Die Spaltung der Nation aufgrund der Aufteilung des besiegten Deutschlands in Besatzungszonen und der folgenden Ost-West-Konfrontation wurde im Laufe der Jahre aus der Sicht der westdeutschen politischen Klasse schleichend umgedeutet als eine notwendige Konsequenz aus der deutschen Geschichte.

Die Teilung Deutschlands wurde interpretiert als Beitrag zur Sicherung des europäischen Friedens und als gerechte Strafe für die Schuld, die die Deutschen durch die Verbrechen des Dritten Reiches auf sich geladen hätten. Wie gesagt - das ganze eine primär westdeutsche Sicht, die es nebenbei elegant gestattete, sich im weltpolitischen Windschatten der Mauer in der westdeutschen Bundesrepublik bequem einzurichten und die deutsche Frage friedlich einschlafen zu lassen.

Dieser spezifisch westdeutschen Sicht der Dinge haben die Mitteldeutschen mit ihren Demonstrationen im Oktober und dem Sturm der Grenzübergänge am 9. November 1989 einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Deutschen, die nicht das Vergnügen hatten, westlich der Mauer zu leben, haben die deutsche Einheit erzwungen - gegen den unkoordinierten, schließlich schnell zusammenbrechenden Widerstand westdeutscher Eliten, die sich von der Einheit der Nation längst grundsätzlich verabschiedet hatten. Lediglich blanker Opportunismus und schließlich doch ein Patriotismus, der damals selbst die kältesten Herzen übermannte und gegen den auch der Bornierteste nicht gefeit ist, sorgten dafür, daß der Weg zur Wiedervereinigung beschritten wurde.

Wie verunsichert die westdeutsche politische Klasse durch den 9. November 1989 war, sieht man auch daran, daß sie nicht den Mut hatte, den denkwürdigen Tag zum Nationalfeiertag des vereinten Deutschland zu machen.

So setzte sich die arrogante politische Bürokratie mit dem von oben verordneten "Tag der deutschen Einheit" am 3. Oktober ein bizarres Denkmal, während der 9. November fortan quasi als "Tag der deutschen Freiheit" zum heimlichen Feiertag des Volkes wurde. Er erinnert daran, wer in einer Demokratie der Souverän ist: das Volk - das notfalls bereit ist, auf die Barrikaden zu gehen und Schranken einzureißen, Fesseln zu sprengen, die die Freiheit einengen oder abschnüren.

Wie klein der Spielraum der Freiheit in Deutschland ist und wieviel Mut es kostet, für diese Freiheit einzustehen, kann man in diesen Tagen erleben. Im Namen der "Political Correctness" sollen Meinungen unterdrückt und unbequeme Kritiker buchstäblich ausgeschaltet werden. In dieser Stunde wünscht man sich die Leichtigkeit des Seins zurück, die Leipzig, Dresden und Berlin im Herbst 1989 kennzeichnete. 


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