© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/03 31. Oktober 2003

Deutsche Wege
Transatlantik oder Eurasien: Erich Vad und Eberhard Straub streiten über Vorzüge und Nachteile zukünftiger außenpolitischer Konzeptione
Norman Gutschow

Der Berliner Burschenschaft Gothia gelingt es immer wieder, zu ihren Veranstaltungen großartige Referenten einzuladen und hochaktuelle und kontroverse Themen anzuschneiden. So befaßten sich zuletzt zwei Vorträge mit der deutschen Außenpolitik. Besonders galt das Augenmerk dem Verhältnis zu den USA, wobei sich eine eher transatlantische und eine eher "eurasische" Sicht der Dinge herauskristallisierten.

Den Anfang machte der Außen- und Sicherheitspolitische Berater der CSU-Bundestagsgruppe Erich Vad, der bereits am 27. Juli seinen Vortrag "Perspektiven der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik" vorstellte. Eberhard Straub, ehemaliger FAZ-Redakteur und langjähriger Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, folgte am 22. Oktober mit seinen das Thema ergänzenden Gedanken über "Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen". Trotz vieler Gemeinsamkeiten in der Analyse der aktuellen politischen Weltlage zeigten sich doch zwei grundverschiedene Konzeptionen zukünftiger deutscher Außenpolitik.

Für Vad ist klar, daß die transatlantischen Beziehungen in einer tiefen Krise stecken. Der Verlauf des Irak-Konflikts verdeutlichte, daß Deutschland für die USA kein ernstzunehmender Partner und noch viel weniger ein Gegengewicht ist. Der dritte Golfkrieg bezeugte nicht nur die Grenzen der Vereinten Nationen und der Nato, sondern auch die eines Europas, das unfähig ist, mit einer Stimme zu sprechen.

Deshalb warnt Vad, Deutschland sowie die gesamte Nato könnten zum reinen Handlanger der USA bei Ad-hoc-Koalitionen für internationale Einsätze verkommen. Eigene militärische Stärke und die Bereitschaft, an internationalen Einsätzen teilzunehmen, müßten ausgebaut werden, um bei der Bewältigung internationaler Krisen mitsprechen zu können. Dies geht Vad zufolge jedoch nur gemeinsam mit den USA und nicht gegen sie. Eine Verschiebung von der transatlantischen Partnerschaft hin zu einem für ihn obskuren "Achsendenken" mit zweifelhaften Koalitionen würde zur internationalen militärischen Isolation Deutschlands führen.

An diesem Punkt setzte Eberhard Straub mit seiner Argumentation an. Für ihn ist die Nato bereits seit Ende des Kalten Krieges erledigt, ebenso erscheint ihm die Militärpräsenz der USA in Europa und speziell in Deutschland als überflüssig, da die Bedrohung durch die Sowjetunion nicht mehr existiert. Amerika stelle eine nach Carl Schmitt "raumfremde Macht" dar, die ihren Stützpunkt in Europa nicht verlieren möchte und deshalb mit der Einteilung in ein "neues" und ein "altes" Europa die Einheit der EU zu verhindern suche.

Rußland dagegen stellt sich als europäische Macht dar, die in vielerlei Hinsicht die Interessen der EU und Deutschlands teilt. Mit Verweis auf die Heilige Allianz versucht er zu zeigen, daß schon einmal ein Bündnis in Europa den Frieden erhalten hat. Straub fordert denn auch ein deutsch-französisches Kerneuropa, welches als Hegemon in der Europäischen Union die Fäden in die Hand nehmen solle, ähnlich wie im Deutschen Bund Österreich und Preußen zusammen agierten. In Kooperation mit Rußland wäre für ihn dann die Achse Paris-Berlin-Moskau ein echtes Gegengewicht zur Weltmacht USA. Ähnlich wie bis 1914 in Europa sieht Straub für das 21. Jahrhundert verschiedene Großmächte durch Diplomatie den Frieden bewahren. Die EU und Rußland würden einen Block bilden, während die USA wieder auf ihren Kontinent beschränkt wären.

Solch ein Szenario ist laut Vad zwar theoretisch denkbar, aber aufgrund der ökonomischen Situation Rußlands und aufgrund der desolaten militärischen Verhältnisse Europas allzu unwahrscheinlich. Solange Europa und speziell Deutschland nicht in der Lage ist, seine militärischen Fähigkeiten auf ein internationales Niveau zu bringen, das ihm erlaubt, in internationalen Krisen zu agieren, sind eurasische Konzeptionen für ihn Wunschträume, die mit der aktuellen internationalen Realität nichts zu tun haben.

Die chronische Unterfinanzierung der europäischen Armeen und insbesondere der Bundeswehr war beiden Referenten ein wichtiges Anliegen: Ob man mit den USA zusammen Weltpolitik betreiben oder diese als europäisch-russisches Bündnis gestalten möchte, ohne Investitionen in Streitkräfte und Diskussion um Strategien internationalen Handelns ist Außen- und Sicherheitspolitik nicht machbar.

Foto: Außenminister Colin Powell, Joschka Fischer: Europa erweist sich als unfähig, gegenüber den USA mit einer Stimme zu sprechen


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