© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/03 31. Oktober 2003

Hinterlistiger Rettungsanker der Regierung
Lebensversicherungen: Steuerwirksame Aktienverluste und sinkender Garantiezins verunsichern nicht nur die Kunden
Bernd-Thomas Ramb

Mit großer Zufriedenheit haben die Lebensversicherungsunternehmen auf die Ankündigung der Bundesregierung reagiert, eine Reihe von Erleichterungen - teilweise sogar rückwirkend - einzuführen. Allen voran steht die steuerliche Berücksichtigung der Wertberichtigung von Aktienvermögen. Kursverluste der Aktien in den zurückliegenden Jahren dürfen jetzt als Abschreibungen bilanziert werden.

Die Lebensversicherungsgesellschaften zahlen dadurch nicht nur weniger Steuern, sie können auch Rückstellungen auflösen, die zum Ausgleich dieser und möglicher künftiger Verluste gebildet wurden. Nutznießer sind vorgeblich die Versicherungsnehmer, die künftig auf höhere Eträge hoffen könnten. Die Regierungsentscheidung, auf Steuereinnahmen zu verzichten, erscheint zudem widersprüchlich. Schließlich fehlt es im Haushalt an allen Ecken und Enden so belastend, daß sogar das eherne Mantra der Sozialpolitik "Die Rente ist sicher" eingestellt wird. Den Beziehern der staatlichen Altersversorgung wird die Rente gekürzt und die Erträge der privaten Vorsorger erhöht.

Bei genauer Betrachtung steht jedoch die generelle Erhaltung der Lebensversicherungsleistungen im Mittelpunkt der politischen Rettungsaktion. Zu frisch ist die Erinnerung an den Fall der Mannheimer Lebensversicherung (deren seriöse Schaden- und Unfallversicherung war nicht betroffen), deren diesjährige Pleite aufgrund am Aktienmarkt verzockter Lebensversicherungsbeiträge einen Schock auslöste. Eine ganze Branche droht zu stürzen, zumindest aber ins Straucheln zu geraten.

Bei der Mannheimer Lebensversicherung gelang es, die Auffanggesellschaft Protektor als Retter zu aktivieren. Sie übernahm nicht nur alle laufenden Lebensversicherungsverträge, sondern auch den Großteil des Personals der Mannheimer Lebensversicherung. Die in der Übertragungsbilanz festgestellte Unterdeckung in Höhe von 193,1 Millionen Euro muß die Mannheimer AG Holding allerdings aus ihren künftigen Jahresüberschüssen tilgen.

Die Protektor Lebensversicherungs-AG wird seit dem vergangenen Jahr von den Lebensversicherungsunternehmen als gemeinsamer Notnagel unterhalten - auf Druck der staatlichen Kontrollbehörde für die Versicherungswirtschaft, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Ein Versicherter, der dort landet, kann natürlich nicht mit den gleichen Erträgen rechnen wie die Versicherten bei den noch halbwegs florierenden Konkurrenzfirmen.

Evaluierungsverfahren durch Finanzaufsicht

Möglicherweise werden demnächst weitere kleinere Unternehmen die Protektor-Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Zur Zeit müssen sich alle Lebensversicherungen einem Evaluierungsverfahren durch die BaFin unterziehen. Im "Streßverfahren" wird überprüft, ob die zugesagte Versicherungsleistung eingehalten werden kann, wenn das Kapitalvermögen der Gesellschaft ein weiteres Absinken der Aktienkurs um 20 oder 30 Prozent verkraftet muß und gleichzeitig die Zinssätze für den festverzinsten Wertpapierbestand um fünf bis zehn Prozent fallen. Den Härtetest haben bisher nur die Brancheriesen Allianz und Hamburg-Mannheimer bestanden. Bei den nicht so kapitalkräftigen Versicherungen herrscht dagegen zum Teil große Panik.

Die nun in Aussicht gestellten Steuererleichterungen bieten den Lebensversicherungsgesellschaften nur eine vorübergehende Linderung ihrer Kapitalprobleme. Realisiert die Bundesregierung ihren zusätzlichen Plan, alle Lebensversicherer zur Teilnahme an einem Notfonds zu verpflichten, der im Insolvenzfall die Versicherungszusagen abdecken soll, kommen sogar neue Kapitalbelastungen auf die Unternehmen zu. Der vorsorgende Versuch der Versicherungsbranche, durch die freiwillige Gründung der Protektor-Versicherung eine staatliche Regulierung abzuwenden, müßte dann als gescheitert gelten.

Die Gesamtsituation wird sich damit zwangsläufig verschlechtern. Erstens wird die Überführung maroder Gesellschaften in die Protektor-Versicherung dort zu niedrigeren Leistungen führen, zweitens bewirkt der Fortfall konkurrierender Versicherungsfirmen einen Rückgang des Wettbewerbs und damit eine Verschlechterung der allgemeinen Versicherungsrendite, und drittens bedeutet die Bindung von Kapitalbeträgen - sei es in dem staatlich vorgeschriebenen Notfonds, sei es in der privaten Protektor-Versicherung - eine Verringerung des anlagefähigen Kapitals und damit eine Verringerung des Versicherungsgewinns. Kurz - die Erträge aus den Lebensversicherungen sinken in jedem Fall.

Andererseits steigt die Bedeutung der Lebensversicherung bei der Sicherung des Alterseinkommens, nachdem das staatliche Rentensystem praktisch seine Bankrotterklärung abgeliefert hat. Will die Bundesregierung, die offen auf die dringende Notwendigkeit privater Vorsorge hinweist, nicht weiter an Glaubwürdigkeit einbüßen, muß sie die Lage der Lebensversicherer verbessern. Die Steuererleichterungen bilden die eine Seite, die Erlaubnis zu verringerter Renditeankündigungen die andere Seite der Stützungsmaßnahmen. Lebensversicherer dürfen künftig ihr Versprechen einer Mindestrendite (Garantiezins) bei Neuverträgen von 3,25 auf 2,75 senken. Die Sicherheit, daß die Versicherunger diese Zusage einhalten können, wird zwar steigen, den Versicherten aber wenig helfen.

Für die Kalkulation eines festen Alterseinkommens bedeutet eine niedrigere Verzinsung des angesparten Kapitals, daß jetzt mehr Kapital angespart werden muß. Andernfalls sinkt das zu erwartende Alterseinkommen. Dies gilt um so mehr, als die Bundesregierung argumentiert: Werden die Aktienverluste steuerlich berücksichtigt, muß dies umgekehrt auch für die Aktiengewinne gelten. Der um die Steuern reduzierte Aktiengewinn kommt zwar den Versicherten zugute. Doch dann schlägt der Staat ein zweites Mal zu, mit der künftigen Besteuerung der Lebensversicherungserträge bei der Auszahlung.

Die Versicherungsgesellschaften mögen durch die vorgebliche Großherzigkeit der Bundesregierung einstweilen vor dem Ertrinken gerettet sein, die Alterseinkommen treiben aber noch weiter vom sicheren Ufer weg.


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