© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de 44/03 24. Oktober 2003
 


Pankraz,
das Billard und die Macht der spin doctors

Britische Politbeobachter sind sich einig: Daß Premier Tony Blair die für ihn so heikle "Kelly-Affäre" faktisch unbeschadet, wahrscheinlich sogar mit Prestigegewinn überstanden hat, war ausschließlich das Werk der "spin doctors", jener speziell auf Medienmassage und mediales Ränkespiel getrimmten Regierungsberater, deren es seit Machtantritt von Labour in London in jedem Ministerium gleich einige gibt, jeder von ihnen mit allen Wassern der Täuschungskunst und des "Türkenbauens" gewaschen. Kontinentale Regierungschefs in Nöten haben Witterung aufgenommen. Sollten nicht auch sie sich schnellstmöglich um die Anschaffung von "spin doctors" kümmern?

Was ist ein "spin doctor"? Er ist kein simpler Pressesprecher, keine bloße Meinungstrompete seines jeweiligen Dienstherrn und erst recht keine quasi automatisch reagierende Demen-tiermaschine. Zwar ressortiert er üblicherweise unter dem Titel "Pressesprecher" oder "Medienberater", seine eigentliche Funktion aber ist die des medialen Billardspielers, möglichst in Gestalt des "Snookers".

"Snooker" ist eine englische Billard-Spezialität und läuft darauf hinaus, nicht unbedingt selber Kugeln einzulochen, sondern in erster Linie den Gegner durch raffiniertes Stellungsspiel daran zu hindern, seinerseits Kugeln einlochen zu können. Der natürliche Gegner des "spin doctors" sind die Medien, und seine Aufgabe besteht also darin, die Medien zu verwirren, sie aus dem Konzept zu bringen und im besten Falle lahmzulegen, so daß die Politiker unbehelligt ihre schmutzigen kleinen oder größeren Geschäfte abwickeln können. Ein "spin doctor" hat sein Ziel erreicht, wenn in der Öffentlichkeit niemand mehr weiß, was eigentlich läuft und was hinten und vorne ist.

Pressesprecher und Medienberater alten Stils gaben (und geben noch immer) mündliche und schriftliche Verlautbarungen ab, die vor Eigenlob und Gutwettermachen geradezu troffen bzw. triefen und deren Propaganda-Charakter schon von jedem Redaktionsvolontär durchschaut wird. Außerdem "pflegen" sie die Medien, laden befreundete Journalisten zum Vieraugengespräch ein und nehmen sie auf Reisen mit, verweigern sich dagegen strikt jenen Zeitungen und Sendern, die der Regierung und den sie tragenden Parteien kritisch gegenüberstehen. Ein moderner "spin doctor" kann über solche Praktiken nur lachen.

Seine Spezialität besteht gerade darin, gegnerischen Medien in aller Jovialität "Exklusivmaterial" zukommen zu lassen, keineswegs immer nur sogenannte "Enten", die man dann nach Veröffentlichung in aller Gelassenheit oder mit dem Gestus gut gespielter Empörung dementieren kann, sondern durchaus auch hochwertige Infos mit garantiertem Realitätsgehalt. So bringt man die Medienfronten in Verwirrung, stiftet Unfrieden unter ihnen.

Ein weiterer beliebter Trick der "spin doctors" ist die generelle Überinformation. Man stattet seine Mitteilungen mit so viel Redundanz, mit so viel zusätzlichen und im Grunde überflüssigen Details aus, daß der Kern der Botschaft darunter völlig verschwindet. Es jagen sich gewissermaßen die Nachrichten, obwohl bei Lichte betrachtet nichts passiert oder eine Sache längst so oder so entschieden ist.

Da wird auf irgendwelchen Konferenzen hinter verschlossenen Türen über gewisse Probleme in geradezu herkulischem Maßstab "gerungen", es gibt angeblich Wutausbrüche oder gar Nervenzusammenbrüche der beteiligten Kontrahenten. Immer steht etwas "auf der Kippe", die Parteien drohen mit "Abbruch" oder "Verschlechterung des Klimas" - bis dann "endlich" der "Durchbruch" kommt und die beteiligten Kräfte befreiten Herzens "vor die Kameras treten" können. In Wirklichkeit war alles schon vorher komplett erledigt, und man ist während des "Ringens" ganz gemütlich ein Bier trinken gegangen.

Als besonders gelungen gilt beim "Snooker" die Herstellung einer Konstellation, wo der Gegner, der nun an der Reihe ist, durch seinen Stoß nicht nur nichts für sich selber einlochen und nicht einmal den anderen seinerseits "snookern", also zur Ineffizienz verurteilen kann, sondern wo er - wie immer er auch stößt - dem anderen den Weg bereiten und zum Sieg verhelfen muß. Entsprechend gilt es für "spin doctors" als höchstes der Gefühle, wenn es ihnen gelingt, auch die allerkritischsten und gnadenlosesten Medien im Sinne der Regierung in Gang zu setzen.

Was sie auch schreiben oder senden, es nützt der Regierung und nicht der Opposition, widerwillig machen sie der Regierung den Weg frei und halten sich dabei sogar noch für besonders kritisch und über den Parteien stehend. Das ist dann die Sternstunde der "spin doctors".

Haben wir in Deutschland wirklich keine solchen "spin doctors"? Auf den ersten Blick scheint es so. Die Tage der Bölling und Boenisch, der Fritzenkötter und Hombach sind ja längst vorbei. Was zur Zeit in Pressebüros und Kanzlerämtern auf den Beinen ist, ist bestenfalls Durchschnitt, wahrscheinlich Unterdurchschnitt, und die Medien machen anscheinend, was sie wollen.

Trotzdem fällt auf, daß die Dinge bei uns genauso laufen, als seien sie von "spin doctors" arrangiert und angerührt. Die Regierungskoalition "ringt" herkulisch und mitleiderregend um das richtige "Reformkonzept", Tag für Tag prasselt auf den Medienkonsumenten ein Wust von Kommissionsberichten hernieder, in dem sich niemand zurechtfindet, und die "kritischen" Medien nebst Opposition und Hyperopposition sind total "gesnookert", starren auf Bälle, die ihrem Stoß im Weg stehen, und nutzen mit ihrem Gelaber à la longue dem Gegner und niemand anderem.

Offenbar brauchen wir hierzulande gar keine regierungsamtlichen Ränkeschmiede und hinterfotzigen "Snooker"-Genies mehr. Die "kritischen" Medien und die "Opposition" reagieren von ganz allein systemkonform. Glückliches Deutschland? Armes Deutschland.


 
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