© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de 43/03 17. Oktober 2003
 


Buchmesse
Terror in Filzpantoffeln
Andreas Wild

Die alten Schlägerinstinkte funktionieren noch. Man könnte auch sagen: Gelernt ist gelernt. Als jetzt auf der Frankfurter Buchmesse der Alt-68er und heutige "Lindenstraßen"-Produzent Hans W. Geißendörfer am Stand der JUNGEN FREIHEIT vorbeistapfte und auf die jungen Leute blickte, die sich dort aufhielten, wandte er sich an einen der Besucher und murmelte in seinen Bart: "So was hätten wir vor zwanzig, dreißig Jahren einfach zusammengeschlagen. Seid bloß froh, daß wir inzwischen so alt und weise geworden sind. "Offenbar nicht weise genug. Etwas später gab es einige Stände weiter einen Zwischenfall. Dort hatte die Edition Antaios ihre Zelte aufgeschlagen, ein feiner kleiner rechtsintellektueller Verlag, der mit Büchern über Georges Sorel, Arnold Gehlen oder Botho Strauß brilliert. Einigen aufmerksamen "Lindenstraßen"-Guckern paßte das nicht ins aufgeklärte Menschenbild, und so "stellten sie Öffentlichkeit her", ließen törichte Parolen ab, vergraulten seriöse Interessenten, alles ganz wie in seligen 68er-Zeiten. Als sich die Antaios-Verantwortlichen das unerlaubte Fotografieren verbaten, flogen sofort die Fäuste. Es kam zu einer Schlägerei, der erst die Messe-Ordner ein Ende machen konnten. Was lernt man daraus? Man erfährt zunächst, daß es hierzulande mittlerweile eine richtige Tradition linken Geistesterrors gibt, die sich nicht so leicht ins Schattenreich abschieben läßt. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Beweis ist nicht zuletzt Geißendörfers "Lindenstraße", in der es ja nur scheinbar friedlich zugeht. Alle Gutmenschen sind sich dort in geradezu fanatischer Weise einig, so daß inkorrekte Abweichler sofort als solche markiert und dem allgemeinen Abscheu preisgegeben werden. Holzauge, sei wachsam! Wenn der (medienverstärkte) Abscheu nicht mehr genügt, wenn sich Abweichler nun sogar auf der Buchmesse breitmachen und das Interesse junger Leser auf sich ziehen, erinnert man sich sehr schnell der alten, bewährten "Direktmethoden". Die Schlägerfaust bleibt gewissermaßen ständig im Sack geballt, es ist ein Terror in Filzpantoffeln, der durchaus gefährlich werden kann.Freilich, er ist auch irgendwie lächerlich, so als wollte einer Nüsse mit Klaviermusik knacken. Die Konvergenz des Geißendörfer-Auftritts vor dem JF-Stand mit der Aktion am Antaios-Stand lieferte dafür ein einprägsames Symbol: Hier der etablierte, immerhin noch mit erinnerten Ideen ausgerüstete Großveteran, der das Zusammenhauen von Buchmesseständen als köstliches Ereignis seiner revolutionären Jugend im Herzen hegt, da die Schläger des Jahres 2003, die auch nicht die Spur von Idee oder Erinnerung mehr im Kopf haben, nur noch wie Automaten des offiziell geforderten Gutmenschentums reagieren. Wie sagte einst Karl Marx? Alle Dinge passieren zweimal, einmal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Danach kann man zur Sache selbst kommen.


 
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