© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/03 10. Oktober 2003

 
Deutsche Werbekultur: Warum die eigene Sprache lieber nicht vernutzt werden sollte
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Silke Lührmann

Drei deutsche Worte, heißt es, kenne fast jeder Ausländer: "Vorsprung durch Technik". Ob er sie auch versteht, ist eine andere Frage, und zwar eine zweitrangige. Sofern die Produktidentifikation gelingt - wenn also der Verbraucher bei diesem Slogan "Audi" denkt und "super" -, ist das Kommunikationsziel voll erreicht. Werbung soll nicht informieren, geschweige denn komplexe Sachverhalte vermitteln, sondern eine einfache Botschaft: "Kauf mich!" Der Hohn, mit dem jüngst die deutsche Werbebranche überzogen wurde, nachdem der Kölner Fachmann Bernd M. Samland herausfand, daß viele Deutsche englischsprachige "Claims" nicht korrekt übersetzen konnten, verfehlt also sein Ziel.

"Samlands Bienen-Inspektion hat zwar die Sense schwer stimuliert, was das sprachliche Masturbationsvermögen seiner Branche angeht", blödelte sogar der Spiegel, ansonsten nicht gerade ein Hort verletzten Nationalstolzes, ob der Ergebnisse von Samlands Studie. Seine Agentur Endmark AG hatte 1.104 deutschen Muttersprachlern im Alter von 14 bis 49 Jahren ein Dutzend "Claims aus hochfrequenter bundesweiter Publikumswerbung" vorgelegt, wie es in schönstem Fachchinesisch heißt - die Auswahl geschah "random nach soziodemographischem Schlüssel".

Die Befragten sollten die englischen Slogans übersetzen und persönlich beurteilen. Dabei wurde dann eben aus "Drive alive" (Mitsubishi) der Wunsch, die Fahrt lebend zu überstehen, aus "Be inspired" (Siemens mobile) eine "Bienen-Inspektion" und aus "Stimulate your senses" (Loewe) die Aufforderung zur Selbstbefriedigung. Weiter grämt sich der Spiegel: "Aber das Grundproblem wird seit Jahren ebenso leidenschaftlich wie erfolglos debattiert. Englisch gilt hiesigen Werbern, Vorstandschefs und wohl auch Konsumenten als schick, modern und weltläufig. Zwar verstand nicht einmal jeder Fünfte, daß die Audi-Botschaft 'Driven by Instinct' soviel heißt wie 'Angetrieben vom Instinkt'. Dennoch fand die Mehrheit den Spruch gut. Irgendwie. Gefühlsmäßig."

Um nicht mehr und nicht weniger als dieses "Gefühl" aber geht es: Ob eine Kundin "Komm rein und finde wieder heraus" versteht, wenn sie "Come in and find out" hört, kann der Parfümerie Douglas gehupft wie gesprungen sein, solange ihre Neugier sie zum Besuch einer Filiale verführt. Reklame will Bedeutung nicht in mühsamer Denkarbeit erschließen, sondern - sozusagen am Verstand vorbei - suggerieren. Sie will Begierde wecken, und welche Sehnsucht ist elementarer als die nach der Ferne, nach Exotik, nach der weiten Welt, wo in fremden Zungen geredet wird?

Werbung hat ihre eigene Sprache, die eher ein Kauderwelsch ist, sie besteht aus Satzfetzen und Wortgeklingel, das sich desto verlockender anhört, je weniger verständlich es ist. Um so besser, wenn man nicht auf den ersten Blick erkennt, wie einfalls- und niveaulos, wie hohl ihre Verheißungen in Wirklichkeit sind!

Um so besser auch, wenn nicht die Muttersprache zu solchen Zwecken verhunzt und vernutzt wird. Den Verfall der deutschen Sprache ausgerechnet den Anglizismen in der Werbung anzulasten, ist ebenfalls unberechtigt. Stellt "Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso" eine echte Bereicherung unseres Zitatenschatzes dar? Wäre der deutschen Sprache wirklich geholfen, wenn auf Plakaten statt "Things to do your thing" (Philips) stünde "Dinge, um Dein Ding zu machen", oder auf den Einkaufstaschen von H&M "Genießen Sie Ihre Einzelheiten" statt "Enjoy your details"? Sicherlich nicht - dafür der englischen um so mehr, wenn sie nicht länger als global-egales Dummschwätz herhalten müßte, dessen Verballhornungen selbst Muttersprachlern nur noch spanisch vorkommen: wenn das Mobiltelefon nicht mehr "Hendi" hieße und der City Call wieder "Ortsgespräch".

"Irgendwie gefühlsmäßig" haben die Deutschen das durchaus begriffen, auch wenn es mit ihren Sprachkenntnissen bisweilen hapert. Während 73 Prozent der Briten die Hervorbringungen der Werbeagenturen als unterhaltsam empfinden, sind fast 80 Prozent aller Deutschen ihrer überdrüssig, das ergab eine europaweite Untersuchung der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Noch satter haben sie die Spanier (91,7 Prozent), denen die neuesten Schokoriegel, Kosmetika, Breitbildfernseher und alles andere, was der Mensch eigentlich nicht braucht, zumeist in der Landessprache angepriesen werden. Go figure, könnte man sagen, wäre man des Englischen kundig - nein, das heißt nicht "Figur ab!", sondern etwa: "Da stecke noch einer dahinter!"

Viel mehr sollte nämlich zu denken geben, daß über zwei Drittel der von der Endmark AG Befragten sich nicht in der Lage sahen, simpel gestrickte, grammatikalisch einwandfreie und eins-zu-eins übesetzbare Slogans wie "Where Money Lives" (Citibank) oder "We are drivers too" (Esso) zu verstehen. Mit Nationalstolz hat das überhaupt nichts zu tun, mit Bildungskrise schon eher. Für unsere Nachbarn im Norden ist die dänische Flagge im Garten ebenso selbstverständlich wie - vom, Pardon, Hot-Dog-Verkäufer über den Busfahrer bis zum Bankangestellten - das Geschick, zwischen Deutsch und Englisch hin- und herzuspringen, von dem hiesige Anglistikstudenten nur träumen können.

Eine oder mehrere Fremdsprachen wirklich fließend zu beherrschen, statt sich nur radebrechend zu verständigen, erfordert ein linguistisches Interesse und Feingefühl, eine Sorgfalt und Kompetenz, die dem Ausdrucksvermögen in der Muttersprache eher zu- als abträglich sind. Im Gegenteil sensibilisiert erst der Umgang mit anderen Sprachen für die Widersprüche, die Ecken und Kanten der eigenen: Daß Sinn nicht gegeben ist, sondern gemacht wird, ist zum Beispiel eine Erkenntnis, der man sich nicht unbedingt verschließen muß. Und Unsinn? Der natürlich erst recht!