© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/03 26. September 2003

 
Und Gregor ging zum Regenbogen . . .
Das neue Buch des ehemaligen PDS-Chefs Gysi dokumentiert, daß er statt für ernstzunehmende Politik nur noch für das Showgeschäft taugt
Ronald Gläser

Er ist das Multitalent der deutschen Politik. Er ist der Robin Hood für Ossis, der größte Wirtschaftssenator aller Zeiten, der begabteste Talkshowgastgeber des deutschen Fernsehens und der genialste Parteistratege der Gegenwart. Jedenfalls sieht sich Gregor Gysi selbst so.

Nun verrät schon der Titel seines neuen Buches eine große Traditionslinie zwischen ihm und keinem geringeren als Wladimir Iljitsch Lenin: "Was nun?" fragte auch schon Rußlands Oberrevoluzzer vor achtzig Jahren. Auch mit anderen Großen hat er Ähnlichkeiten. So teile Kofi Annan seine Ansichten zum Nahen Osten, läßt uns Gysi wissen.

Schon die Buchvorstellung im Berliner Bundespresseamt sprach Bände. Gysi hatte sich den für seine rhetorischen Fähigkeiten landauf, landab geschätzten SPD-Genralsekretär Olaf Scholz eingeladen, um das Buch vorzustellen. Alle Berlin-Korrespondenten mit Rang und Namen waren anwesend. Pikant ist insbesondere, daß Scholz als Vollstrecker des Kanzlers den Begriff "demokratischer Sozialismus" aus dem SPD-Parteiprogramm tilgen soll. Dieser Staatsform widmet Gysi mehrere Seiten.

SPD und PDS standen sich schon einmal näher. Gysi beschreibt in seinem Buch die Zeit seit seinem Ausscheiden aus der Führung der PDS-Bundestagsfraktion im Oktober 2000. Im darauffolgenden Jahr wechselte er auf Bitten seiner Partei in die Berliner Landespolitik. In der Hauptstadt wurden zu diesem Zeitpunkt die Weichen für den Wechsel gestellt. Über das Zustandekommen der Koalition, welches durch den Berliner SPD-Chef Peter Strieder und Klaus Wowereit schon während der später geplatzten Koalitionsverhandlung mit den Grünen vorbereitet wurde, erfährt der Leser von Gysi nichts. Obwohl er als PDS-Spitzenkandidat eine zentrale Rolle gespielt haben dürfte, verschweigt er genauere Details.

Statt dessen langweilt Gysi den Leser mit Phrasen wie "Mir war klar, daß ich unverzüglich eine Berlinkompetenz zu entwickeln hatte." Darüber hinaus erfährt der Leser Anekdoten aus dem Wahlkampf oder wie Gysi Personenschutz zugeteilt wurde. Selbst von diesen Leibwächtern sieht sich Gysi bestätigt: "Mein Arbeitspensum schien ihnen aber irgendwie herauszuragen."

Gysi schildert dann die zahllosen Probleme der hochverschuldeten Bundeshauptstadt. Universitätskliniken müssen geschlossen werden, Kindergärtnerinnen müssen die Gehälter drastisch gesenkt werden. Zwischen den Zeilen erkennt der Leser, daß Gysi vor den Herausforderungen kapituliert hat. Er trat im Sommer 2002 zurück. Als Grund gab er an, Bonusmeilen privat genutzt zu haben, was wenig glaubwürdig klingt.

Immerhin gibt Gysi zu, daß auch der neue Wowereit-Senat die alten Strukturen von Filz und Postenschieberei in Berlin nicht beseitigt hat. Über Parteipolitiker im Aufsichtsrat der landeseigenen Berliner Wasserholding sagt Gysi, der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin habe ihm erklärt, "daß es in unserer Gesellschaft nicht nur einen Sozialmißbrauch gebe, sondern auch einen Mißbrauch solcher Posten".

Trotz seines Ausscheidens aus der Politik hat Gysi zu jedem und allem einen Kommentar parat. So widmet er sich der Möllemann-Affäre und stellt fest, dessen Äußerungen seien antisemitisch gewesen. Dazu schreibt er folgenden Satz: "Keine Christin und keine Christ, keine Atheistin und kein Atheist ist verpflichtet, sympathisch zu sein, und sie sind es genauso häufig und genauso selten wie Jüdinnen und Juden." Neben den Worthülsen, die Gysi liefert, zeigt dies auch, wie krampfhaft er jede Personengruppe in männlicher und weiblicher Schreibweise aufführt. Es ist immer die Rede von "Unternehmerinnen und Unternehmern", von "Rentnerinnen und Rentnern" usw. Der Leser ertappt sich bald bei der Hoffnung, endlich eine Passage zu finden, in der Gysi vergessen hat, daß es auch weibliche Ärzte, Gewerkschafter oder Baggerfahrer gibt. Doch Gysi bleibt zumindest hier seiner Linie treu.

SPD-Generalsekretär Scholz ließ selbst bei der Präsentation kaum ein gutes Haar an den 256 Seiten postkommunistischer Politliteratur: Auch wenn man sie gelesen habe, sei man nicht schlauer. Gysi rechtfertigt sich damit, daß er gar keine Antworten habe geben wollen.

In Hinblick auf 2006 denke er an Berlin. Erst einige Sätze später dämmert selbst dem aufmerksamen Zuhörer, daß er damit ein Mandat im Bundestag meint, nicht die Berliner Landespolitik, aus der er ja nach wenigen Monaten wieder ausgeschieden ist. Für das Berliner Abgeordnetenhaus hat er nur Spott übrig: "Das Parlament mutet eher provinziell an." Lokalpolitik? Nichts für einen Weltenlenker wie Gregor Gysi.

Das ganze Buch strotzt von der Eitelkeit des Autors, die Gysi selber mehrfach erwähnt. Ansonsten sind sich die Rezensenten, die es vorab in allen maßgeblichen Publikationen besprochen hatten, einig und sortieren Gysis Werk in "das Regal für Bücher, die die Welt nicht braucht". Den letzten rhetorischen Coup landet Gysi, als er die Spekulationen, er wolle zur SPD wechseln, einmal wieder ins Reich der Phantasie verweist. Dabei gibt es niemanden, der sich weniger über dieses - wahrscheinlich von ihm selbst gestreute - Gerücht freut. Sein Problem ist nur, daß ihn die SPD gar nicht will. Und seine zu Papier gebrachten Eitelkeiten will auch niemand. 

Foto: Oliver Geißen, Katarina Witt, Nina Hagen und Gregor Gysi in der "DDR-Show" am 10. September 2003: Zu Papier gebrachte Eitelkeit

Gregor Gysi: Was nun? Über Deutschlands Zustand und meinen eigenen. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2003, gebunden, 256 Seiten, 18,90 Euro


 
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